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Homo faber

Erste Station, S. 96-125

Zusammenfassung

In Paris angekommen, erwartet Faber sofort viel Arbeit. Sein Chef Williams rät ihm dazu, sich eine Auszeit zu nehmen, da er schlecht aussehe. Faber fühlt sich durch diesen Vorschlag gekränkt, da er seiner Meinung nach immer noch eine gute Leistung bringt, zuverlässig arbeitet und sich noch nie etwas hat zuschulden kommen lassen.

In einem Restaurant ärgert er sich plötzlich über sich selbst. Obwohl er sich immer noch als attraktiv empfindet, was er durch einen Blick in den dort hängenden Spiegel auch bestätigt sieht, kann er sein Essen nicht genießen und fühlt sich vom Kellner nun auch noch unangemessen behandelt. Am Sonntag geht er in den Louvre, in der Hoffnung, Sabeth dort anzutreffen. Das Vorhaben, zum Arzt zu gehen, vergisst er.

Der berichtende Faber fügt an dieser Stelle eine Schilderung seiner ersten Liebeserfahrung ein, die er mit der Frau seines Lehrers gehabt hatte. Damals half er an den Wochenenden seinem Lehrer bei Korrekturarbeiten in Mathematik aus. Sie war jedoch krank und starb, sodass er die Episode schnell wieder vergaß.

Faber trifft Sabeth nun tatsächlich bei einem Besuch im Louvre wieder. Beim gemeinsamen Kaffeetrinken erzählt sie ihm, dass sie noch immer nach Rom trampen möchte. Um sie nochmals wiederzusehen, lädt er sie für den Abend zu einem Opernbesuch ein. Wegen dieses Treffens kommt Faber zum ersten Mal zu spät zu einer Konferenz.

Er begegnet seinem früheren Lehrer, Professor O., den er zuerst nicht wiedererkennt, da er durch ein Magenkrebsleiden stark gezeichnet ist. Seine Einladung zu einem Kaffee lehnt er ab. Faber beschließt, nun doch eine Auszeit zu nehmen, um Sabeth auf ihrer Europareise zu begleiten. Sein Chef stellt ihm seinen Wagen zur Verfügung.

Der berichtende Faber denkt an dieser Stelle darüber nach, warum er dieses Kind, mit dem er an diesem Abend in die Oper gehen wollte, damals nicht hatte haben wollen. Er legt nochmals rückblickend dar, warum er und Hanna eine Schwangerschaftsunterbrechung vereinbart hatten.

Faber bricht mit Sabeth zu einer gemeinsamen Reise auf. Zuerst schildert Faber ihre Erlebnisse in Italien. Sabeth hat ein starkes Interesse an Kultur, sodass sie viele Museen besichtigt, die ihn wiederum nicht interessieren. Da er in ihrer Nähe sein möchte, geht er des Öfteren mit ihr mit. Im Nationalmuseum in Rom blitzt plötzlich auch bei ihm kurz ein Interesse an Kultur auf, als er den Kopf einer schlafenden Erinnye (einer griechischen Rachegöttin) betrachtet.

Sabeth interessiert sich wenig für seine Lebenserfahrungen. Sie freut sich wie ein Kind auf das Leben, das noch vor ihr liegt. Er hingegen fragt sich, ob die Zukunft für ihn noch etwas bereithält, was er nicht schon kennt.

Er erfährt beim Essen mehr über Sabeths Mutter. Sie hat Philologie studiert und arbeitet jetzt in einem Archäologischen Institut in Athen. Von ihrem Mann, einem Herrn Piper, lebt sie schon seit einigen Jahren getrennt. Er erfährt auch, dass dieser Mann nicht Sabeths Vater ist: Sabeth stammt aus einer früheren Ehe.

Wenig später, als sie nach einem Spaziergang auf der Via Appia gemeinsam im Gras liegen, kommt bei einer weiteren Unterhaltung der Name ihrer Mutter, Hanna Landsberg, ans zur Sprache. Faber schließt zwar daraus nicht sofort, dass es sich bei Sabeth um seine Tochter handelt. Er rechnet jedoch nach, ob dies zutreffen könnte. Bei einem gemeinsamen Essen am Abend stellt er sogar nochmals eine schriftliche Rechnung auf. Als er sich danach sicher ist, dass Sabeth Joachims Tochter sein muss, verbringen sie noch einen ausgelassenen Abend miteinander.

Faber stellt sich in einem gedanklichen Rückblick die Frage nach seiner Schuld und beteuert dabei, dass er die Beziehung mit Sabeth nicht vorangetrieben habe. Er erinnert sich nun an die entscheidende Nacht in Avignon, in der sie miteinander schliefen. Nach einem romantischen Zusammensein bei Mondfinsternis küsste Sabeth ihn und kam dann später zu ihm auf sein Zimmer.

Analyse

Die Differenz von Selbst- und Fremdwahrnehmung Fabers wird zu Beginn seines Pariser Aufenthalts mehrfach thematisiert. Sein Chef Williams rät ihm dringend zu einer Auszeit, da er von seinem schlechten Aussehen überrascht ist. Faber hat jedoch ein anderes Empfinden – »[…] ich war sonnengebräunt, wie noch selten, […]« (S. 97) –, sodass er sich von der Äußerung gekränkt fühlt. Der Autor setzt seine Hauptfigur in einem Restaurant ihrem eigenen Spiegelbild aus, sodass Faber die Chance bekommt, sich darüber bewusst zu werden, wie es tatsächlich um ihn steht. Aber Faber übersieht wieder die Zeichen und redet sich sein Aussehen schön: »[...] ich sah ausgezeichnet aus.« (S. 98)
Gleichzeitig merkt er jedoch, dass die Aussage Williams ihn verunsichert hat, sodass er sich sogar vor dem Kellner als minderwertig empfindet. Faber kann sich seinen Zustand der Unsicherheit nicht erklären (S. 98), beschließt jedoch, dass kein Grund zur Beunruhigung besteht: »Ich fühlte mich vollkommen normal.« (S. 99)

Die anschließende Begegnung mit Professor O., seinem alten Lehrer von der ETH Zürich, verwirrt ihn ebenso wie der Blick in den Spiegel. Da der Professor Magenkrebs hat, ist er schon vom Tod gezeichnet. Faber fühlt sich durch seinen »Totenschädel« und dem »Ballon von Bauch« (S. 105) abgeschreckt. Der Autor setzt mit dieser Figur, die hier wie ein Todesbote erscheint, einen Hinweis auf die eigene Krankheit Fabers und den damit verbundenen möglichen Tod. Da Faber jedoch damit nicht konfrontiert werden möchte, lehnt er die Einladung des Professors ab und wendet sich lieber dem blühenden Leben in Form eines 20-jährigen jungen Mädchens, nämlich Sabeth, zu. Damit ist er »glücklich wie noch nie in diesem Paris« (S. 104). Jedoch scheint die Begegnung mit seinem Professor innerlich in ihm zu wirken, denn danach entscheidet er spontan, sich doch eine Auszeit zu nehmen und Sabeth mit dem Auto seines Chefs auf ihrer Tour durch Europa zu begleiten.

Mit seinem gegenwärtigen Wissen, dass Sabeth seine Tochter ist, die er damals im Einvernehmen mit Hanna nicht hatte haben wollen, erklärt der berichtende Faber, wie er zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung steht. Im Deutschland der 50er-Jahre stand dieser Eingriff durch den umstrittenen Paragrafen 218 unter Strafe, sodass der Autor mit der Haltung seiner Figur, »Schwangerschaftsunterbrechung ist heutzutage eine Selbstverständlichkeit« (S. 105), zum einen eine sehr moderne Auffassung zu dieser Thematik darlegt. Abgesehen davon, dass er als Gründe »die drohende Überbevölkerung« (S. 105) sowie die »Rohstoff-Frage« (S.106) anspricht, ist es auch das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das er erwähnt: »In jedem Fall ist es ein menschlicher Wille, kein Kind zu haben.« (S. 106) Zum anderen bezweckt der Autor jedoch auch, zu verdeutlichen, wie sehr Faber seine Gewissensbisse quälen; ständig muss er seine damalige verantwortungslose Haltung gegenüber Hanna und dem Kind rechtfertigen.

Auf der Reise mit Sabeth stört ihn zwar »ihr Kunstbedürfnis« (S. 107), von ihrer Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit fühlt er sich jedoch angezogen. Vor allem ihre jugendliche Unbekümmertheit und das Gespanntsein auf die Zukunft faszinieren ihn, führen ihm jedoch auch sein eigenes Alter vor Augen (S.109). Obwohl ihn Museen langweilen, lässt er sich auf eine Kunstbetrachtung ein, um »ein Kunstwerk erleben« (S.110) zu können. Der Autor wählt dazu den »Kopf einer Erinnye« (S.111), der als Hinweis auf den bevorstehenden Vater-Tochter-Inzest gedeutet werden kann. Die Erinnye stellt nämlich in der griechischen Mythologie eine Rachegöttin dar, die insbesondere moralisch-sittliche Vergehen ahndet. Faber gesteht sich bei der Betrachtung ein, dass er diesen Kopf als »großartig, beeindruckend, famos, tiefbeeindruckend« (S. 111) empfindet. Sabeth macht ihn mit ihrem Kunstverstand zudem noch darauf aufmerksam, wie sich die Wahrnehmung des Kunstwerks durch einen bestimmten Schattenfall – verursacht durch ihn oder durch sie, wenn sie vor der »Geburt der Venus« stehen – nochmals verändert. Sie ist davon begeistert, während Faber sich mit der technischen Erklärung für das Phänomen – »eine Belichtungssache« (S. 111) – begnügt.

Bei einem Ausflug zur Via Appia erfährt Faber, dass Hanna Sabeths Mutter ist. Die Aussage des berichtenden Fabers: »Eine Überraschung war es ja nicht, bloß eine Gewißheit« (S. 118), zeugt davon, dass Faber es zu der Zeit schon geahnt hatte. Er dachte zwar sofort daran, dass Sabeth nun auch sein Kind sein könnte, konnte und wollte es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht glauben (S. 118). Im Nachhinein kann er sich nicht erklären, warum er »nicht schon damals, nach dem Gespräch an der Via Appia, alles wusste« (S. 118).

Den Lesenden ist jedoch klar, dass damals wieder seine Verdrängungsmechanismen griffen. Anstatt sich mit diesem Konflikt auseinanderzusetzen, wendet er sich mit einer Übersprungshandlung schnell einem anderen Thema zu: Er fragt Sabeth, ob sie vor ihm schon andere Männer gehabt hätte und verunsichert sie damit, sodass die unangenehme Situation für ihn vom Tisch ist. Im Stillen legt er sich jedoch eine Rechnung zurecht, die nur einen Schluss zulässt: »Sie konnte nur das Kind von Joachim sein!« (S. 121)

Im Rückblick stellt sich Faber nun die große Frage: »Was ist denn meine Schuld?« (S. 123) Indem er sich nochmals den Verlauf ihres Kennenlernens durch den Kopf gehen lässt, wird klar, dass er sich seiner Schuld nicht stellen kann, sondern sie mit seiner Schilderung nur von sich weist und sie sogar auf Sabeth überträgt. In der Nacht in Avignon, in der es zum Liebesakt zwischen beiden kommt, habe Mondfinsternis geherrscht, die ihn aus der Ruhe gebracht habe (S. 124). Zudem sei es Sabeth gewesen, die ihn geküsst habe, »wie nie vorher« (S. 124) und später sie, die ihn verführt habe: »Jedenfalls war es das Mädchen, das in jener Nacht, nachdem wir bis zum Schlottern draußen gestanden hatten, in mein Zimmer kam – « (S. 125). Damit spricht er sich von jeglicher Schuld frei.

Veröffentlicht am 17. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Juli 2023.