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Homo faber

Erste Station, S. 69-96

Zusammenfassung

Faber erblickt das Mädchen zum ersten Mal in einem Speisesaal. Dabei sieht er nicht ihr Gesicht, sondern nur ihren Pferdeschwanz, da sie in einer Warteschlange vor ihm steht. Später sieht er sie hier erneut beim Tischtennisspiel mit einem jungen Mann. Faber hebt ihr sogar einmal den Ball auf, sie bedankt sich, beachtet ihn jedoch nicht weiter.

Faber schiebt in seinen Bericht jetzt eine Rechtfertigung darüber ein, dass er damals noch nicht wissen konnte, dass es sich bei dieser ersten Begegnung mit dem Mädchen um seine Tochter gehandelt hat. Er habe eben seine Ahnungslosigkeit, sein Nichtwissenkönnen beweisen können – aber das ändere nichts. Die Folgen seien dennoch dieselben gewesen. Er weigert sich jedoch zu glauben, dass diese Begegnung eine Fügung gewesen sei, denn es hätte auch anders kommen können.

Faber spielt schon am ersten Abend mit ihr Tischtennis, da zwischen ihnen kaum ein Gespräch möglich ist. Als ihr Freund auftaucht, hört er auf, mit ihr zu spielen. Abends trifft er sie an Deck wieder, wobei ein Gespräch zwischen beiden zustande kommt. Er nennt sie nun Sabeth, weil er den Namen Elisabeth nicht mag.

Am nächsten Morgen spricht das Mädchen ihn an. Er erklärt ihr etwas von Kybernetik und hält Vorträge über die Technik, wobei sie interessiert zuhört. Der berichtende Faber betont immer wieder, dass er im Grunde genommen gar kein Interesse an dem Mädchen gehabt habe. Da er auf dem Schiff jedoch fünf Tage zum Nichtstun verdammt war, dienten diese Gespräche auch zu seinem Zeitvertreib.

Eines Morgens setzt sich Sabeth zu ihm und dem Baptisten an den Frühstückstisch. Sie sprechen über den Louvre in Paris, aus dem Faber sich nichts macht. Dabei regt er sich über den Baptisten auf, da er seiner Ansicht nach mit Sabeth flirtet und jede Gelegenheit nutzt, sie anfassen zu können. Später äußert Sabeth den Wunsch, einmal mit Faber den Maschinenraum zu besichtigen. Des Weiteren bietet sie ihm ihren Deckstuhl an, da er sich nicht um einen eigenen Platz gekümmert hat. Bei dieser Gelegenheit erfährt er nun ihren Nachnamen Piper.

Faber muss jetzt öfter an Hanna, seine frühere Jugendliebe, denken, und aus Langeweile vergleicht er die beiden Frauen miteinander. Er bildet sich ein, Hanna wiedererkennen zu können. Dabei schlendert er über das Deck, um zu schauen, ob sie vielleicht auf dem Schiff anwesend ist.

Sabeth wird seekrank, und gemeinsam mit ihrem Freund kümmert er sich um sie in ihrer Kabine. Hier überkommt ihn Eifersucht auf den jungen Mann. Er lädt ihn schließlich zum Tischtennisspiel ein, um ihn von Sabeth fernzuhalten. Faber bringt Sabeth Tabletten, sie lässt ihn jedoch nicht in ihre Kabine hinein.

Er weiß von ihr, dass sie ein Semester in Yale studiert hat und jetzt auf der Heimreise nach Athen ist, da ihre Mutter dort lebt. Der Vater wohnt in Ostdeutschland, denn er ist ein überzeugter Kommunist. Sabeth, nun 20 Jahre alt, hat noch keine konkreten Zukunftspläne. Ihre Berufswünsche schwanken zwischen Kinderärztin, Kunstgewerblerin oder Stewardess. Später möchte sie nach Indien und China reisen. Jetzt geht es aber erst einmal nach Paris, dann per Anhalter nach Rom und von da aus nach Athen.

In der Bar, in der Faber mit Sabeth eines Abends zusammensitzt, trinkt er zu viel und erzählt ihr von seinem toten Freund, ohne jedoch seinen Namen zu nennen.

Er filmt sie, was sie ärgerlich macht, und es kommt zum Streit zwischen ihnen, bei dem sie ihn fragt, was er denn von ihr wolle. Um sich wieder mit ihr zu versöhnen, bietet er ihr eine gemeinsame Besichtigung des Maschinenraums an. Dabei erklärt er ihr exakt die Funktionen der einzelnen Maschinen. Zudem spürt er wieder eine gewisse Eifersucht auf die Maschinisten. Hier kommt es auch zu einem ersten Körperkontakt zwischen beiden, denn Faber hebt Sabeth von einer Leiter auf den Boden.

Als die Reise zu Ende geht, merkt er, dass der Abschied ihm nicht leichtfällt. Der letzte Abend ist gleichzeitig sein fünfzigster Geburtstag (29.04.), was er jedoch niemandem erzählt. Auf dem Ball fühlt er sich unter den vielen Menschen unwohl. Auch sein Magen macht ihm wieder Probleme, sodass er beschließt, in Paris zum Arzt zu gehen.

Er geht auf Deck, und Sabeth folgt ihm nach. Er wünscht sich zum Abschied von ihr zwei Dinge: Sie soll keine Stewardess werden und nicht allein per Anhalter nach Rom trampen. Dabei bietet er ihr an, ihr die Reise per Bahn oder Flugzeug zu bezahlen.

Um Mitternacht gehen sie zusammen an das Büffet. Er macht sich Gedanken über sein Leben und stellt fest, dass sein glücklichster Zustand das Alleinsein ist. Sie schlägt ihm vor, zu heiraten. Er macht ihr an diesem Abend noch einen Heiratsantrag. Sie gibt darauf keine Antwort, sondern möchte von ihm wissen, ob er es tatsächlich ernst meine. Daraufhin küsst er sie mehrmals.

Am nächsten Morgen läuft das Schiff in Le Havre ein, und sie nehmen Abschied voneinander.

Der berichtende Faber beteuert nochmals, dass er nicht habe wissen können, dass sie seine Tochter gewesen sei.

Analyse

Fabers angetretene Schiffsreise nach Europa bildet den Höhepunkt der Geschichte, denn hier macht er die Bekanntschaft mit Sabeth, seiner Tochter: »Es war kurz nach der Ausfahrt, als ich das Mädchen mit dem blonden Roßschwanz zum ersten Mal erblickte, […].« (S. 69) Da der berichtende Faber sich noch genau an seine Betrachtung ihrer Person und die anschließende Beobachtung beim Tischtennisspiel erinnern kann, ist anzunehmen, dass er damals schon ein besonderes Interesse an ihr gehabt haben muss (S. 70f.). Dies verneint er jedoch mit folgenden Aussagen immer wieder: »Ich stellte ihr nicht nach« (S. 73), »Sie gefiel mir, aber ich flirtete in keiner Weise.« (S.74) Indem der Autor den inneren Zwiespalt seines Hauptprotagonisten zwischen Schuld und dem Wunsch nach Rechtfertigung darstellt, erzeugt er einen Spannungsaufbau, mit dem er die Lesenden langsam auf das kommende Drama vorbereitet: »Ich habe das Leben meines Kindes vernichtet und ich kann es nicht wiedergutmachen. Wozu noch ein Bericht? Ich war nicht verliebt in das Mädchen […], ich konnte nicht ahnen, daß sie meine Tochter ist, ich wußte ja nicht einmal, dass ich Vater bin.« (S. 72) Hinter dieser Aussage verbirgt sich auch ein erster Hinweis auf den Inzest zwischen Vater und Tochter.

Bei weiteren Begegnungen auf Deck teilt Faber Sabeth seine Begeisterung über den Fortschritt der modernen Technik mit (S. 74 f.) Deutlich wird hier, dass sich Frisch für seinen Roman eingehend über mathematische Gesetze, Maschinen, die Wahrscheinlichkeitstheorie, den Maxwellschen Dämon sowie die Kybernetik bei den entsprechenden Wissenschaftlern wie z. B. James Clerk, Bertrand Russell und Norbert Wiener informierte. Sein Hauptprotagonist schwelgt geradezu im Glauben daran, dass die Technik dem Menschen überlegen sei. Er berichtet von einem »Elektronen-Hirn«, das »heute schon jedes Menschenhirn übertrifft« (S.75). Zudem fasziniert ihn die Gefühllosigkeit der Maschine: »die Maschine erlebt nichts, sie hat keine Angst und keine Hoffnung, die nur stören, keine Wünsche in bezug auf das Ergebnis, sie arbeitet nach der reinen Logik der Wahrscheinlichkeit, […].« (S. 75)

In der Figur Sabeths wird vom Autor eine Gegenposition verdeutlicht, denn sie hat ein Faible für den russischen Schriftsteller Tolstoi und ist eine kunstbegeisterte junge Frau, die sich für die Kunstwerke und Skulpturen im Louvre begeistern kann. Bei einem Tischgespräch tauscht sie sich mit ihrem Nachbarn über Kunst aus, sodass Faber eifersüchtig wird. Er verdrängt seine Gefühle und beharrt auf seiner Position als Techniker: »Die Primitiven versuchen den Tod zu annullieren, indem sie den Menschenleib abbilden – wir, indem wir den Menschenleib ersetzen. Technik statt Mystik!« (S. 77)

In Zusammenhang mit Sabeths Verhaltensweisen kommen bei dem erlebenden Faber Erinnerungen an Hanna auf, die er jedoch schnell wieder verdrängt, indem er sich auf seine Ratio besinnt: »Ich halte es mit der Vernunft.« (S. 80) Was die Leserschaft hier schon ahnen kann, nämlich dass Hanna Sabeths Mutter sein könnte, bleibt für Faber zu diesem Zeitpunkt noch im Dunkeln verborgen. Der berichtende Faber rechtfertigt sich später für seine damalige Ahnungslosigkeit: »ich bin ja nicht krankhaft, ich hätte meine Tochter als meine Tochter behandelt, ich bin nicht pervers! Alles war so natürlich – Eine harmlose Reisebekanntschaft – « (S. 81) Mit dieser Aussage gibt der Autor seiner Leserschaft einen indirekten, aber eindeutigen Hinweis darauf, dass es sich um einen Inzest handeln muss, von dem hier die Rede ist.

An einem Abend in der Bar erzählt Faber, schon leicht angetrunken, Sabeth vom Tod seines Freundes im Dschungel, ohne jedoch seinen Namen zu nennen. Deutlich wird, dass ihn der Anblick des erhängten Freundes traumatisiert hat, da er jede Einzelheit noch einmal wiedergibt – nur seinen Namen erwähnt er nicht. Erst später fällt dem berichtenden Faber auf, dass er den Namen seines Freundes damals gar nicht genannt und damit eine Chance vertan hat, das darauffolgende Unglück zu verhindern: »Hätte ich damals den Namen genannt, Joachim Hencke, so hätte sich alles aufgeklärt. Offenbar erwähnte ich nicht einmal seinen Vornamen, […].« (S. 85)

Bei einem gemeinsamen Besuch im Maschinenraum kommt es zu einer ersten körperlichen Berührung zwischen beiden. Der berichtende Faber betont im Nachhinein ausdrücklich, dass er sie zwar schön fand, »aber nicht aufreizend« (S. 87), denn niemand soll auf die Idee kommen, er hätte sie damals etwa begehrt. In den Worten, die er für die Beschreibung von Sabeths Erscheinung verwendet, bringt Faber in seinem Bericht jedoch unterschwellig zum Ausdruck, dass ein gewisses Verlangen schon bei ihm vorhanden war. Zudem berichtet er weiter, dass er seine Hände in den Hosentaschen ließ, um sie nicht anzufassen (S. 86f.). Hier wird den Lesenden deutlich, dass Faber schon damals auf dem Schiff in einem inneren Zwiespalt gestanden haben muss, den er selbst in der Situation noch nicht wahrnehmen konnte. Denn der erlebende Faber umfasst beim Hinuntersteigen auf der Eisenleiter Sabeths Hüften, um ihr auf den Boden zu helfen. Dabei vergleicht er diese mit dem »Steuerrad« seines »Studebakers« (S. 87), wodurch sein auf die Technik fixiertes Denken wieder zum Ausdruck kommt. Später rechtfertigt sich der berichtende Faber für die damals entstandene Nähe auf dem Schiff: »Ich wollte das Mädchen nicht anfassen« (S. 87), aber es war ja auch »nichts Aufreizendes dabei gewesen« (S. 87).

Auf dem Abschlussball bringt ihn Sabeths Vermutung, dass er durch sein Alleinsein traurig sei, dazu, ihr einen Vortrag über seine Lebensweise zu halten. Für ihn sei das Alleinsein der »einzigmögliche Zustand für Männer« (S. 91), denn alle Frauen seien im Grunde genommen wie seine Geliebte Ivy: »Ivy heißt Efeu, und so heißen für mich eigentlich alle Frauen.« (S. 91) Ständig fragen sie, wie Ivy, nach seinen Gefühlen oder haben bestimmte Erwartungen an ihn, die ihm lästig sind. Nach Faber umranken ihn die Frauen mit ihren Bedürfnissen wie eine Kletterpflanze, und er fühlt sich letztendlich in seinem Leben von ihnen eingeengt. Mit dieser Äußerung Fabers über die Frauen verdeutlicht der Autor, wie tief Faber in diesen stereotypen Geschlechterrollen verhaftet ist und er sich dadurch selbst behindert, ein erfülltes Leben zu führen.

Sabeth schlägt ihm daraufhin vor, doch zu heiraten (S. 93). Tatsächlich macht ihr Faber an diesem Abend noch einen Heiratsantrag (S. 95). Danach stellt Faber fest: »Mein Leben lag in ihrer Hand.« (S. 95)

Veröffentlicht am 17. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Juli 2023.