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Homo faber

Zitate und Textstellen

  • »Ich schätze das Schach, weil man Stunden lang nichts zu reden braucht. Man braucht nicht einmal zu hören, wenn der andere redet.«
    – (Ich-Erzähler, S. 23)

    Der Mensch als ein soziales Wesen ist auf die Kommunikation angewiesen, denn sie dient ihm als Mittel des Informationsaustauschs. Eine weitaus wichtigere Funktion ist jedoch die zwischenmenschliche Interaktion, die dabei stattfindet. Diese Aussage Fabers verdeutlicht, dass sein Kommunikations- und Sozialverhalten erhebliche Defizite aufweist. Er spielt lieber Schach, anstatt mit seinem Gegenüber zu kommunizieren. Die hohe Konzentration auf das Schachspiel hemmt oder verhindert sogar den Austausch; Faber und Hencke reden in der Wüste ständig aneinander vorbei.

  • »Ich fühle mich nicht wohl, wenn unrasiert; nicht wegen der Leute, sondern meinetwegen. Ich habe das Gefühl, ich werde etwas wie eine Pflanze, wenn ich nicht rasiert bin, und ich greife unwillkürlich an mein Kinn.«
    – (Ich-Erzähler, S. 27)

    Faber zeigt geradezu ein zwanghaftes Verhalten in Bezug auf das Rasieren. Mehrere Male äußert er im Verlauf der Geschichte sein Unwohlsein darüber, wenn er sich nicht rasieren kann. Dies symbolisiert seine Abwehr gegen die biologische Natur des Menschen. Das Wachsen des Bartes erinnert ihn an das ungehemmte Wachstum der Natur, die er nicht kontrollieren kann. In seinem Weltbild muss der zivilisierte Mensch die Natur beherrschen können, und dies geschieht mithilfe der Technik. So wird Faber auch sichtlich nervös, wenn die Technik nicht funktioniert, was schon von einer gewissen Abhängigkeit zeugt und im weitesten Sinne als eine Kritik an der hohen Technikgläubigkeit des Menschen interpretiert werden kann.

  • »Ich platzte nur, wenn Marcel sich über meine Tätigkeit äußerte, beziehungsweise über die Unesco: der Techniker als letzte Ausgabe des weißen Missionars, Industrialisierung als letztes Evangelium einer sterbenden Rasse, Lebensstandard als Ersatz für Lebenssinn – «
    – (Ich-Erzähler, S. 50)

    In Zeiten des Kalten Kriegs war die sogenannte »Entwicklungshilfe für Dritte-Welt-Länder« ein wichtiger Baustein in der Politik. Sie diente vor allem dazu, den sowjetischen Einfluss in diesen Ländern in Schach zu halten und war aus diesem Grund stark vom Eurozentrismus geprägt. Die westlichen Wertvorstellungen galten als Maßstab für die ganze Welt und sollten den sogenannten unterentwickelten Ländern nahegebracht werden. Von Marcel wird diese überhebliche Haltung Europas kritisiert, wodurch Faber sich persönlich angegriffen fühlt. Denn er vertritt durch seine Tätigkeit als Techniker bei der UNESCO nicht nur die Haltung der Regierenden, sondern ist davon selbst auch überzeugt.

  • »Ivy heißt Efeu, und so heißen für mich eigentlich alle Frauen.«
    – (Ich-Erzähler, S. 91)

    Diese Aussage ist bezeichnend für Fabers Frauenbild, das er sich zugelegt hat und symbolisiert sein gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht. Der Vergleich mit dieser Kletterpflanze zielt auf das Verhalten Ivys ab und soll ihren umklammernden Charakter verdeutlichen. Nach Faber hat Ivy, so wie alle Frauen, nichts anderes vor, als ihn zu umschlingen, ihn sexuell gefügig zu machen und ihn zu heiraten. Da Faber den Verführungskünsten immer unterliegt, stellt die Frau an sich für ihn eine Bedrohung dar. Denn in Beziehung zu ihr gibt er seine Distanz auf, verliert seine Kontrolle, wird zum Opfer und somit zum Beherrschten. Dieses einzementierte klischeehafte Rollenbild, das Faber mit sich herumträgt, hindert ihn daran, hinter der Frau den Menschen zu sehen, denn Ivy empfindet tatsächlich Liebe für ihn, was er nicht zu erkennen vermag.

  • »Schwangerschaftsunterbrechung: eine Konsequenz der Kultur, nur der Dschungel gebärt und verwest, wie die Natur will. Der Mensch plant.«
    – (Ich-Erzähler, S. 106)

    Der Schwangerschaftsabbruch ist im deutschen Strafgesetzbuch unter dem Paragrafen 218 geregelt. Seit seiner Existenz (1871) ist er bis heute Gegenstand harter politischer Auseinandersetzungen. In den 50er-Jahren war es in der deutschen konservativen Gesellschaft im Zuge des Kalten Krieges die Befürwortung der Mehrkinderfamilie als Kraftquelle des Staates, die den öffentlichen Diskurs in dieser Thematik bestimmte. Ein Schwangerschaftsabbruch galt generell als Straftat. Für Faber steht es jedoch außer Frage – jenseits aller religiösen, moralischen und politischen Einwände –, dass hier das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person greifen muss. Es gehört zu den zivilisatorischen Errungenschaften des Menschen, dass er als verantwortungsbewusstes, rationales Wesen selbst in der Lage ist, hier eine Entscheidung zu treffen.

  • »… ich langweilte sie mit Lebenserfahrung, und sie machte mich alt, indem sie von Morgen bis Abend überall auf meine Begeisterung wartete …«
    – (Ich-Erzähler, S. 110)

    Auf der gemeinsamen Reise mit Sabeth wird sich Faber immer mehr darüber bewusst, was er im Laufe seines Lebens schon verloren oder vielleicht auch nie besessen hat – wie leer sein eigenes Leben ist. Es ist nicht nur Sabeths Jugend, sondern mehr noch ihre Begeisterung und Lebensfreude, die ihn in ihren Bann zieht. Sabeth spricht in seinem Inneren eine Seite an, die er bisher unterdrückt und verdrängt hat. Sie spiegelt ihm wider, wie anders Leben auch sein kann. Sabeth interessiert nicht, mit wie viel Lebenserfahrung er in seinem Alter aufwarten kann, vielmehr will sie mit allen Sinnen im Gegenwärtigen leben und freut sich auf das Zukünftige. Da Faber hier jedoch ein Defizit hat, fühlt er sich in der Beziehung mit ihr oftmals als Unterlegener, was ihn einerseits sehr anzieht, andererseits macht ihm dies aber auch zu schaffen.

  • »Ich hatte die Badezimmertür nicht abgeschlossen, und Hanna (so dachte ich) könnte ohne weiteres eintreten, um mich von rückwärts mit einer Axt zu erschlagen;«
    – (Ich-Erzähler, S. 136)

    Als Faber nach Sabeths Tod in Hannas Wohnung ein Bad nimmt, fühlt er sich vollkommen erschöpft und ausgelaugt, sodass er sich zu nichts entschließen kann. In diesem Zustand gibt er sich Todesfantasien hin, denn das Geschehene belastet ihn. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher weiß, dass Sabeth seine Tochter ist – Hanna verweigert ihm darüber die Auskunft –, scheint er es im tiefsten Inneren zu spüren. Da für ihn ein Selbstmord nicht infrage kommt, ist die Fantasie, die er hier zum Ausdruck bringt, als Sehnsucht nach einer Strafe für sein Vergehen des Inzests zu deuten. Unterlegt wird diese durch den griechischen Mythos von Agamemnon und Klytaimnestra. Der griechische Feldherr wird im Bad von seiner Frau und deren Geliebten getötet – als Strafe für die Opferung seiner Tochter Iphigenie.

  • »Wunsch, Heu zu riechen! Nie wieder fliegen! Wunsch, auf der Erde zu gehen – dort unter den letzten Föhren, die in der Sonne stehen, ihr Harz riechen und das Wasser hören, vermutlich ein Tosen, Wasser trinken – «
    – (Ich-Erzähler, S. 195)

    Auf seinem letzten Flug von Zürich nach Athen sitzt Faber wieder in einer Super-Constellation, die noch vor ein paar Monaten der Inbegriff des technischen Fortschritts für ihn war. Es war nicht nur die Schnelligkeit des Fortbewegungsmittels, sondern auch die Distanz zur Erde, die ihm bei seinen Reisen sehr entgegenkamen. Nun schaut er aus dem Fenster und wünscht sich nichts sehnlicher als das Leben auf der Erde unmittelbar zu spüren, zu riechen, zu sehen und zu hören, um es mit allen Sinnen in sich aufsaugen zu können. Die Natur, die Faber so verabscheut hat, möchte er jetzt erfahren und genießen. Diese Sehnsüchte drücken aus, dass Faber nach dem Tod Sabeths eine innere Wandlung vollzogen hat und bereit ist, sich seinem Leben zu stellen.

  • »Marcel hat recht: ihre falsche Gesundheit, ihre falsche Jugendlichkeit, ihre Weiber, die nicht zugeben können, dass sie älter werden, […] ihre obszöne Jugendlichkeit – «
    – (Ich-Erzähler, S. 177)

    Auf Kuba läuft Faber durch die Straßen Havannas und ist fasziniert vom prallen Leben der Kubanerinnen und Kubaner, das ihm hier entgegenschlägt. Er lässt sich von ihrer Lebenslust und Gelassenheit anstecken und taucht zum ersten Mal in das Leben ein. Hier beginnt er, den amerikanischen Lebensstil, den er bis vor Kurzem selbst noch lebte und vor Marcel vehement verteidigte, zu hinterfragen. Ihm wird plötzlich bewusst, wie falsch und fassadenhaft das Leben der amerikanischen Bevölkerung doch ist und wie falsch sein eigenes Leben bisher war. So kommt Faber jetzt zu der Einsicht, dass Marcel, den er damals im Dschungel wegen seiner Kritik an diesem Lebensstil so verhöhnte, doch Recht hatte.

  • »Ich hänge an diesem Leben wie noch nie, […] ich werde hoffen, obschon ich weiß, daß ich verloren bin. Aber ich bin nicht allein, Hanna ist mein Freund, und ich bin nicht allein.«
    – (Ich-Erzähler, S. 216)

    Seine Krankheit hat Faber bis zuletzt verdrängt und die Auseinandersetzung damit verweigert. Nun wird ihm kurz vor der bevorstehenden Operation bewusst, dass seine Lebenszeit begrenzt ist. Dadurch kann er das Leben endlich wertschätzen und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass er noch eine Menge davon genießen kann. Denn durch Sabeth hat er gelernt, was das Leben lebenswert macht. Seine Haltung zeigt eine gewisse Demut – auch gegenüber seinem Tod, den er jetzt akzeptieren kann. Zudem ist er dankbar, dass ihm Hanna zur Seite steht. Faber, der das Alleinsein als einzig akzeptable Lebensform in den höchsten Tönen gepriesen hat, gesteht sich ein, dass er froh ist um Hannas Anwesenheit und Freundschaft.

Veröffentlicht am 18. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. Juli 2023.