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Torquato Tasso

Akt 1, Szene 3-4

Zusammenfassung

(I, 3) Tasso übergibt sein Werk, ein in Pergament geheftetes Buch, dem Herzog. Die Sorge, undankbar und ängstlich zu erscheinen, überwiege bei ihm nun die Sorge, ein noch unfertiges Werk zu überreichen. Der Herzog zeigt sich überrascht und erfreut. Tasso begründet die Zueignung an den Herzog biografisch: Zwar habe er beim Schreiben das Gefühl gehabt, seine Dichtung gehöre ihm; doch aus der Entfernung müsse er gestehen, dass er das Beste daran einzig Alphons verdanke, denn dieser habe ihn in der Jugend, nach einem unverschuldeten Unglück der Eltern, aus der Not befreit und ihm die Möglichkeit gegeben, sein dichterisches Talent zu entfalten. Viel von dem Weltwissen, das in die Dichtung geflossen sei, verdanke er ihm. Leonores Verweis auf den allgemeinen Ruhm, dessen er sich bald erfreuen solle, beantwortet Tasso mit der Erklärung, nur die anwesenden Freunde habe er als Adressaten im Sinn gehabt, sie allein stellten ihm die Welt vor. Der Herzog nimmt das Wort auf und möchte Tasso stellvertretend für die Welt mit dem Lorbeerkranz ehren, den er auf Vergils Büste findet. Tasso weicht, hierin das höchste Glück erkennend, zurück, doch endlich setzt die Prinzessin ihm den Kranz aufs Haupt.

Jetzt weist Tasso, wie in Fieberhitze, die Ehrung von sich. Wie von einem Sonnenstrahl werde ihm die Kraft zu denken genommen. Dass der Kranz in Wirklichkeit vor der Sonne schütze, diesen Einwand Leonores nimmt er auf, indem er sagt, nur Helden gebühre diese Kühlung: Der Kranz solle weit entrückt in den Wolken schweben, damit er weiter danach als einem Ideal streben könne. Alphons hat einen lebensklugen Einwand: Der frühe Besitz erzeuge früh das rechte Gefühl für den Besitz und wecke die Kräfte, die zu seinem Erhalt nötig seien. Gerade die Widerstands- und Beharrungskraft entweiche ihm jetzt, sagt Tasso, und bittet noch einmal die Prinzessin, den Kranz von seiner Stirn zu nehmen. Sie fordert ihn auf, den Kranz, wie sonst sein Talent, zu tragen, und erklärt die Ehrung für unwiderruflich.

Tasso verfällt darauf in eine Vision: Er müsse sich also in einem Hain verbergen, wo nichts ihn an das unverdiente Glück erinnerte. Wenn er sich in einem klaren Brunnen gespiegelt sähe, würde er sich – den bekränzten Jüngling – nicht wiedererkennen, und ihm, der wie aus einer vergangenen Zeit erschiene, die Gesellschaft der alten Helden und Poeten wünschen, die immer fest aneinander gebunden gewesen wären. Leonore ruft, er solle erwachen, und Tasso, wie benommen, erklärt, er sei entzückt. Die Prinzessin gibt ihrem Gefallen an seinem Geistergespräch Ausdruck und ein Page erscheint, der dem Herzog Antonios Ankunft meldet.

(I, 4) Antonio wird von allen herzlich begrüßt, und er selbst ist voller Freude über seine Wiederkehr und den guten Ausgang seiner Mission in Rom: einer Grenzerweiterung des Ferrareser Herzogtums, die Alphons gewünscht hatte. Hierüber wird er von Alphons, der zwar allgemein durch Briefe schon unterrichtet ist, befragt. Antonios Erklärung über die Gründe des Gelingens ist ein Lob des Papstes, Gregors XIII., der hellsichtig und mit gesundem, gutem Urteil regierte; seine Verwandten nicht mehr als billig begünstigte und nur verlangte, was rechtens sei. Tasso fragt, ob er auch die Künste und Wissenschaften fördere, und Antonio antwortet, er tue dies nur, insofern sie dem Staate dienten. Nur ein paar Unterschriften bedürfe es noch, meint er zu Alphons, und die Sache sei abgemacht. Der Herzog verspricht ihm für den nächsten Tag eine Bürgerkrone aus Eichenlaub und bringt das Gespräch auf den gekränzten Tasso und sein vollendetes Werk über das befreite Jerusalem. Tasso gibt seine Demut zu erkennen, und Antonio spricht von der gewohnten Maßlosigkeit Alphons‘ im Belohnen. Die Prinzessin steht für den Wert des Epos ein, den Antonio mit einer höflichen Wendung zugesteht, um gleich darauf auf den bekränzten Ariost zu sprechen zu kommen. Er lobt die Hand, die ihm die Blumen gewidmet hat, und ergeht sich in einer begeisterten Beschreibung seiner so klugen wie phantastischen Dichtungen. Zuletzt entschuldigt er sich, Zeit und Ort kurz vergessen zu haben, und die Prinzessin versucht, den düpierten Tasso dadurch wieder in Würde zu setzen, dass sie die Hoffnung ausspricht, Antonio möge seinen Kunstverstand bald auch an dem Befreiten Jerusalem üben. Alphons aber fordert ihn zum Aufbruch wegen der Staatsgeschäfte; er geht mit ihm voraus, die anderen folgen.

Analyse

In einem Theaterstück kann eine Hochzeit an einer anderen Stelle als am Ende kaum eine glückliche Hochzeit sein. So verhält es sich auch mit der Auszeichnung, die Tasso im ersten Akt erfährt. Sie kommt zu früh und wird dadurch – statt zum Zeichen einer abgeschlossenen Entwicklung zu dienen – zum Ausgangspunkt eines Konflikts.

Nicht das Gefühl der künstlerischen Vollendung bringt Tasso dazu, sein Werk dem Mäzen zu übergeben, sondern soziale Skrupel. Er fürchtet, als undankbar und ängstlich zu gelten. Sorge stritte hier gegen Sorge, wie er selbst es ausdrückt: »Allein, war ich besorgt es unvollkommen | Dir hinzugeben, so bezwingt mich nun | Die neue Sorge: Möcht‘ ich doch nicht gern | Zu ängstlich, möchte‘ ich nicht undankbar scheinen.« (384-387) Dass diese Sorge berechtigt ist, weiß der Zuschauer aus dem vorangegangenen Auftritt, und Alphons nimmt denn auch die Gabe willig hin, ohne dem Dichter noch einmal Spielraum zu letzten Verbesserungen anzubieten.

Die Dankbarkeit, die sich in der Zueignung an den Herzog ausdrückt, macht Tasso beredt (vgl. 397-456) – sie ist gewiss echt. Erst die Auszeichnung, die ihm symbolisch einen erhöhten Platz in der Welt und in der literarischen Tradition zuweisen soll, bringt ihn aus der Fassung, denn das Bewusstsein über die Vollkommenheit seines Werks und über dessen Rang hat Tasso gerade nicht, über diesen Mangel hat er sich, aus Rücksicht gegen den Herzog, gerade hinweggesetzt. Und die Auszeichnenden können dieses Bewusstsein streng genommen auch noch nicht haben, denn sie kennen das Werk noch nicht. So muss Tasso das Gefühl haben, das, was er in der Tat als höchstes Glück anstrebte (vgl. 474 f.), an sich entwertet zu sehen und es als Ziel, dem er sein Streben widmen wollte, unglücklich zu verlieren.

Der Herzog wollte Tasso nach der Vollendung seines Epos gestärkt in die Welt führen, tatsächlich zeigt sich bei dem Dichter aber die entgegengesetzte Bewegung. Weil der Lorbeerkranz auf seiner Stirn ihn beschämt, weil er ihm »die Kraft | Des Denkens« aus der Stirn brennt (491 f.) und die Widerstandskraft gegen Unglück und Unrecht raubt (vgl. 510-516), sieht er die Flucht vor der Gesellschaft als einzigen Weg (vgl. 527). Er geht nicht wirklich hinweg, sondern entflieht in eine Vision seiner Flucht, die eine eigenartige Selbstbegegnung zum Ziel hat.

Die ausbleibende Identifikation mit der erfahrenen Ehrung hat eine Dissoziation von Außen- und Selbstwahrnehmung zur Folge. Er imaginiert, sich selbst bekränzt in einem Brunnen gespiegelt zu sehen, ohne sich zu erkennen. Stattdessen würde er den Gesehenen für einen »Abgeschiedne[n] […] Jüngling | Aus der vergangnen Zeit« (539 f.) halten, nach seinem Verdient sich fragen und seine Einsamkeit bedauern: Denn jetzt müssten doch »die Poeten | Der alten Zeit« (545 f.) und die innigst mit ihnen verbundenen Helden »sich zu ihm | In freundlichem Gespräche […] gesellen« (543 f.). Einmal entrückt er sein Spiegelbild in eine idealisierte Vergangenheit, und zugleich empfindet er an ihm einen Mangel, der wiederum auf die Gegenwart deutet. Selbst der so schön bekränzte Jüngling steht unter dem Zeichen der Melancholie und Einsamkeit, und die Verbindung von Held und Dichter kann, so, wie sie beschworen wird, nur als eine verloren gegangene Verbindung gedacht werden. Eigenartigerweise drückt er, aus dieser Vision gerufen, nun doch Entzücken aus (vgl. 560 f.: »Es ist die Gegenwart die mich erhöht, | Abwesend schein ich nur, ich bin entzückt.«).

Im letzten Auftritt des ersten Aufzuges gerät die Ökonomie der Kränze noch einmal in Bewegung. Zu Beginn hatten der Lorbeer- und der Blumenkranz, hatten Vergil und Ariost, die Prinzessin und Leonore ein inhaltlich zwar hierarchisch qualifiziertes, doch insgesamt und für die Bühne ausgeglichenes Verhältnis gebildet; dann war der Lorbeerkranz vom Herzog Tasso auf die Stirn gesetzt und damit in eine singuläre Stellung gerückt worden. Natürlich ist die Ehrung des lebenden Dichters wichtiger als die des toten Dichters (vgl. 463-471). Mit Antonio kommt nun ein dritter Kranz ins Gespräch, eine Bürgerkrone aus Eichenlaub (nach antik-römischer Tradition), die die Frauen ihm nach dem Willen des Herzogs um die Stirne legen sollen (vgl. 681-683). Belohnt wird damit die erfolgreiche diplomatische Mission am päpstlichen Hof, die gleich nach Antonios Auftritt das Gespräch bestimmt und Tasso in den Hintergrund rückt: eine ohne Blutvergießen erreichte Grenzerweiterung des Herzogtums. Schließlich wertet der Staatssekretär Leonores Blumenkranz auf der Herme Ariosts auf, sodass am Ende ein prekäres Gleichgewicht zwischen den drei Kränzen zustande kommt: Tassos Lorbeerkranz ist von ihm selbst zunächst zurückgewiesen und von Antonio herabgewürdigt worden; der Blumenkranz gilt zwar einem toten Dichter, doch Antonio holt ihn – auf Kosten Tassos – aus dem Abseits, in das er deswegen geraten war, wieder heraus, indem er Ariosts Dichtung vergegenwärtigend preist; und die Bürgerkrone ist noch erst eine Versprechung, aber sie gilt demjenigen, der zweifellos die Initiative über das Gespräch gewonnen hat und der einen handfesten, politischen Erfolg vorzuweisen hat.

Die Zurückweisung, die Tasso von Antonio erfährt, ist in der Tat heftig. Es ist so taktlos, dem Beschenkten gegenüber von der Unmäßigkeit des Schenkenden zu sprechen (vgl. 697-699), wie es rücksichtslos ist, den verstorbenen Dichter zu rühmen, wenn der lebendige Dichter vor ihm steht und gerade sein Werk der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat. Dass Antonio davon etwas spürt und eine Entschuldigung beifügt (vgl. 736-741), macht die Sache nicht unbedingt besser.

Interessant ist aber auch die strukturelle Parallele von der Vision Tassos und der Begeisterung, in die Antonio gerät: Tasso sagt, daraus erwacht, er sei »entzückt« (561), Antonio entschuldigt sich als einen »Verzückte[n]« (737).

Die erotischen Fragen der Eröffnungsszene sind vollständig in den Hintergrund getreten. Nur wer genau hinschaut, sieht, wie geschickt die Prinzessin Tassos Partei hält und über etwaige Verlegenheiten taktvoll hinwegzuhelfen sucht (vgl. nur 562 f. und 742-745).

Veröffentlicht am 11. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 11. April 2024.