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Torquato Tasso

Akt 5, Szene 1-5

Zusammenfassung

(V, 1) Antonio meldet dem Herzog Tassos Bitte. Alphons ist deswegen unzufrieden, denn er fürchtet, Tasso, der für seinen Ruf viel bedeutet, an Scipio Gonzaga oder an die Medici zu verlieren. Antonio bittet darum, von der Schuld an diesem Aufbruch freigesprochen zu werden und Alphons gewährt ihm diese Bitte gerne: Er vertraut Antonio noch und weiß Tassos Wunsch nur zu gut mit dem, was er von ihm kennt, zu vereinen. Antonio ergeht sich noch einmal in einem satirisch leicht zugespitzten Porträt des Dichters: Er schildert dessen Genusssucht und sein widersprüchliches Verhältnis zu seinen Ärzten, von denen er Genesung verlangt und deren Ratschläge er ablehnt; dann seinen Verfolgungswahn und die frühen Erfolge, die ihm lehrreiche Mühen erspart hätten. Alphons wendet ein, auch andere Fürsten hätten viel von großen Talenten geduldet – man müsse hier einen anderen Maßstab anlegen. Zuletzt empfiehlt Antonio, dem Willen Tassos stattzugeben und ihn gehen zu lassen, damit er begreife, was er allein in Ferrara finden könne.

Die praktischen Dispositionen sehen wie folgt aus: Die Prinzessin und Leonore wollen gleich nach Ferrara aufbrechen, der Herzog wird sie reitend überholen; Antonio soll auf Belriguardo Anordnungen wegen Tassos Aufenthalt und Abreise treffen und dann nachfolgen, denn Tasso wünsche – so Antonio – von hier aus aufzubrechen. Seine Sachen wolle er sich durch einen Freund herschicken lassen. Der Herzog will ihm nach Rom Briefe mitgeben.

(V, 2) Tasso bedankt sich bei dem Herzog um die wiedererlangte Gunst und um die Gnade, nach Rom fortgehen zu dürfen. Alphons bittet ihn auch in der Fremde eingedenk zu bleiben, dass er ihm, Alphons, zugehöre. Tasso antwortet mit der Bitte, das Manuskript seines Epos, an dem er weiterzuarbeiten, das er zu vervollkommnen gedenke, ihm wieder auszuhändigen. Alphons warnt ihn vor übereilten Korrekturen und möchte die Bitte gern zurückweisen: Er verspricht, Tasso eine Abschrift bald nachzusenden und fordert ihn auf, zur Herstellung der eigenen Gemütsruhe die Arbeit für eine Weile ruhen zu lassen und sich des Lebens zu freuen. Das, meint Tasso, sei ihm ganz unmöglich, gerade die Arbeit führe ihn wieder zu sich selbst. Er könne den Drang, zu dichten, nicht aufhalten und sei bereit, sein Leben daranzusetzen. Der Herzog entlässt ihn im Guten.

(V, 3) Allein mit sich hält Tasso fest, wie gut ihm die Verstellung gelinge. Er glaubt, nicht eigentlich den Herzog, sondern Antonio im Herzog gehört zu haben. Schon wähnt er sich so gut wie entkommen – da kommt die Prinzessin.

(V, 4) Die Prinzessin fasst zusammen, was sie von seinen Plänen weiß: Er wolle hier in Belriguardo zurückbleiben und dann nach Rom gehen? Tasso sagt, was er sich von dem Aufenthalt dort verspricht: mit der Hilfe der dort versammelten Meister und inspiriert durch die Baudenkmäler die Vollendung seines Werks. Doch dann zweifelt er an dem Gelingen und sieht sich weiter nach Neapel forteilen. Die Prinzessin gemahnt ihn, dass der Bann, der seinem Vater gegolten hat, für ihn noch nicht aufgehoben wurde. Deswegen, so Tasso, wolle er als Pilger oder Schäfer verkleidet wandern. Detailliert imaginiert er die Ankunft in Sorrent, wo er sich zu seiner Schwester Cornelia Sersale durchfragen wolle. Die Prinzessin erinnert ihn daran, was dieser Schritt für die, die er in Ferrara zurücklasse, bedeutete; ob er vergessen habe, wie sehr er hier geschätzt würde? Nicht ein kleines Geschenk könne man ihm zur Reise geben, denn alles werfe er weg.

Tasso erkennt, dass sie ihn nicht verstoßen will, und bittet um die Aufnahme in ihren Schutz. Sie möge ihn zum Wärter eines der kaum gebrauchten Schlösser des Herzogs bestellen, dort werde er sich getreu um den Erhalt des Gebäudes und des Gartens kümmern. Die Prinzessin weiß keinen Rat mehr, nichts bringe ihm Frieden, und sie, die ihn nicht verlassen könne, müsse von ihm lassen. Er schilt auf sich, dass er an ihr habe zweifeln können und bittet sie ausdrücklicher um Rat: Wie kann er sich mit ihrem Bruder versöhnen und wieder in ihre Mitte finden? Das Mittel dazu, sagt sie, sei, dass er sich in ein harmonisches Verhältnis zu sich selbst setze: Seine Freude sei dann zugleich die ihrige. Er fragt sich in halbem Selbstgespräch nach der Natur des Gefühls, das ihn unwiderstehlich zu ihr zieht, und sieht in dessen Unterdrückung die Zerstörung seines Selbst. Die Prinzessin bittet um Mäßigung, soll das Gespräch fortgesetzt werden, doch Tasso steigert sich in eine vollkommene Entäußerung: Alles gehöre ihr, in ihr sei er jeder Not entkommen. Er fällt ihr in die Arme und drückt sie fest an sich, sie stößt ihn von sich und eilt hinweg. Leonore, die schon eine Weile entfernt dabeigestanden hatte, kommt herbei, ruft und geht der Prinzessin nach. Tasso will ihnen folgen, doch Alphons bittet Antonio – beide sind ebenfalls schon eine Zeitlang in der Nähe – ihn festzuhalten.

(V, 5) Antonio bleibt als einziger bei Tasso zurück. Er versucht ihm deutlich zu machen, wie irrig seine Annahme ist, er sei sein Feind; denn dann könnte er jetzt triumphieren. Er weiß aber wegen dessen, was geschehen ist, kaum sich zu fassen. Nach einer langen Pause spricht Tasso ihn als seinen Kerkermeister und Folterknecht an, der seine Vernichtung vollende. Er wendet sich in einer langen Rede, in der er sein Elend ausbuchstabiert, an die Abwesenden – den Herzog, die Prinzessin und Leonore – und sieht sie alle in dem Vorhaben vereint, ihn zu erniedrigen. Sein Werk habe man ihm rechtzeitig abgenommen – seinen einzigen Besitz. Verstellung herrsche zwischen den Menschen, und nur die Galeerensklaven kennten sich, die ihrer Ehrlosigkeit keinen falschen Schein gäben. Antonio bittet Tasso, sich zu fassen, damit er nichts sage, was er sich selbst nicht verzeihen könnte. Tasso bittet darum, fortgehen zu dürfen, doch Antonio sagt, er werde ihn in dieser Not nicht lassen. Tasso sieht sich also als sein Gefangener und ergibt sich darein. Er sieht (oder sieht nur im Geiste) die anderen abfahren und wünscht die Versöhnung. Sein ganzes Ich sieht er zerrüttet, nur eins sei ihm geblieben: die Möglichkeit, in Melodie und Rede sein Leiden auszudrücken. Antonio sei ihm wie der Felsen, an dem sein Schiff zerschellt sei, an den er, der Schiffer, sich festklammere.

Analyse

Im fünften Akt treten wieder alle Figuren auf (wie schon im ersten), jedoch mit ungleichen Anteilen: Leonore spricht keinen ganzen Vers (vgl. 3284), ist also praktisch abwesend.

Immer ist es außerdem bisher so gewesen, dass Antonio ein wichtiges Gespräch am Ende des Akts vorbehalten war: Auch jetzt ist er in der letzten Szene anwesend, jedoch in einer weitgehend stummen Rolle. Sein Gespräch mit dem Herzog findet sich hingegen zu Beginn des Akts.

Auch die binäre Aktstruktur wird beibehalten, diesmal wieder mit einem einfachen und kurzen transitorischen Monolog Tassos (V, 3). Die augenblickliche Anwesenheit aller Figuren auf der Bühne zum Ende der vierten Szene und die über weite Strecken monologische Schlussszene haben eine finalisierende Funktion. Dass Alphons, Leonore und Antonio sich unbemerkt schon während der Unterredung zwischen Tasso und der Prinzessin genähert haben – eine solche Bühnenanweisung ist sonst in dem Stück ohne Beispiel.

Die im vierten Akt begonnene Entwicklung wird in der ersten Hälfte des Schlussakts fortgeführt. Tasso hatte Leonores Plan eines Fortgangs mit ihr nach Florenz abgewiesen, sich mit Antonio versöhnt und bei ihm durchgesetzt, dass er sich beim Herzog für einen Romaufenthalt zur Besprechung seines Epos einsetzt. Antonio hat seinen Herrn richtig eingeschätzt (er lässt Tasso nur ungern ziehen, weil er befürchtet, ihn an Konkurrenten zu verlieren) und bleibt seinem ihm gegebenen Wort treu. Obwohl noch einmal breit ausführend (und nicht ohne Humor), welche Fehler Tasso hat (vgl. 2884-2970), nimmt seine Bitte die schlichte Form des Imperativs an – Zeugnis dies des Vertrauens, das er beim Herzog genießt: »Er kommt, entlaß ihn gnädig, gib ihm Zeit | In Rom und in Neapel, wo er will, | Das aufzusuchen was er hier vermißt | Und was er hier nur wiederfinden kann.« (2971-2974) Auch die Unterredung Tassos und des Herzogs in der zweiten Szene geht gerade noch gut, denn der Dichter kann sich mit einer Abschrift seines Werks, das er zur Überarbeitung zurückbekommen wollte, begnügen. Bis hierhin also handelt Tasso versöhnlich und vernünftig: Er weist das Entgegenkommen der anderen nicht ab. Das Publikum weiß, dass Tasso sich dabei verstellt – doch was tut’s! Immer noch ist möglich, was Antonio voraussagt, dass die Entfernung von Ferrara ihn von seinem Irrtum befreit und (woran Antonio nicht glaubt), dass die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern seinen Charakter zum Guten entwickelt. Der Argwohn, den er hegt, bindet ihn nicht, solange er ihn verbirgt.

So kann das Stück freilich nicht enden, und die Prinzessin muss die Krisis herbeiführen, in der die Verdoppelung des Helden aufgehoben wird. Ihr gegenüber kann er sich nicht verstellen, und die Gunst, die sie ihm beweist, nicht für Verstellung halten. Doch vermag sie ihm den Argwohn nur in Bezug auf sich selbst zu nehmen: Zurückführen in die höfische Gesellschaft kann sie ihn nicht. Was er begeistert imaginiert, ist die Existenz eines von ihr verborgenen, eines abgelegen lebenden Liebhabers. Immer noch spricht sich das sinnliche Begehren nur stark sublimiert aus, wenn er von der getreuen Ausführung der Verrichtungen eines Kastellans fabuliert (vgl. 3197-3211). Die Prinzessin findet hier bezeichnenderweise keinen Anknüpfungspunkt, konstatiert nur ihre Ratlosigkeit und die Notwendigkeit, ihn zu verlassen. Tasso verhindert, dass sie sich abwendet, indem er sie um Rat fragt: Wie er sich mit ihr und ihrem Bruder, wie mit dem Hof versöhnen könne? Doch der Rat, den sie ihm gibt (und schon einmal gegeben hatte – vgl. 1062-1064), stürzt ihn, weil daraus ihre gute Meinung von ihm spricht, in nur noch größere Begeisterung. Die Liebe zu ihr wird zum letzten Refugium seiner gespalten gewesenen Persönlichkeit, in ihr hofft er, ein Verhältnis zur Totalität seiner Person zurückzugewinnen – ja, die Unterdrückung der Liebe sei Ursache seiner Selbstzerstörung gewesen. Das alles ginge hin, doch die körperliche Grenzüberschreitung – dass er ihr in die Arme fällt und sie fest an sich drückt – verzeiht die höfische Etikette nicht. Sie stellt ihn vor denen, die verborgene Zuschauer schon geworden waren, bloß und sprengt die Situation. Die Umarmung der Prinzessin ist insofern mit dem Ziehen des Degens am Ende des zweiten Akts gleichzusetzen.

Antonio hat in der Schlussszene einen starken Auftakt (er führt, dass er Tassos Fehltritt nicht ausnutzt, als Beweis für seine freundliche Haltung an), dann aber unterbricht er Tassos monologhafte Reden nur noch sporadisch. Die Konstellation aus Szene IV, 4 wiederholt sich: Wieder bittet Tasso, dass Antonio ihm forthelfe, wieder setzt dieser seinen Widerstand dagegen. Diesmal aber hält Tasso die Bitte nicht aufrecht, ja er gibt sofort, und sogar mit einer gewissen Befriedigung nach (vgl. 3380-3384). Am Schluss äußert sich Antonio nurmehr mit einer einfachen Geste: »[Er] tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand« (vor 3434) – auch dies anknüpfend an die beiden Handreichungen zwischen den Männern und Schlusselement der äußerst sparsamen Choreographie.

Noch in den Schlussreden Tassos gibt es ein ungewisses Changieren und eine Entwicklung. Die Zurückweisung, die er von der Prinzessin erfahren hat, führt zunächst zu einer heftigen Schmähung des gesamten Personals, das seinen Untergang suchte, das ihn nur ehrte, um ihn desto schmerzlicher erniedrigen zu können. Die Intervention Antonios und die Zurückweisung von Tassos Bitte führen zu einem Gefühlsumschlag. Indem Tasso sich in seine Gefangenschaft ergibt, wird der Wunsch nach einem letzten Verzeihen rege. Dann kehrt er den Blick zu sich selbst und findet dort als einzigen Trost die dichterische Begabung. Hier nimmt Antonio seine Hand, und Tasso fasst das paradoxe Verhältnis, in dem er zum Staatssekretär nun steht, in das Gleichnis von dem Felsen, das sein Schiff zertrümmert habe und an den er sich, als Schiffer, nun gleichwohl klammern müsse.

Veröffentlicht am 11. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 11. April 2024.