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Torquato Tasso

Prüfungsfragen

  • Inwiefern entspricht »Torquato Tasso« den aus der aristotelischen Poetik abgeleiteten Forderungen an das Drama?

    »Torquato Tasso« setzt auf geradezu vorbildliche Weise die sogenannten drei Einheiten um. In der Formulierung Boileaus: »Qu’en un lieu, qu’en un jour, un seul fait accompli | Tienne jusqu’à la fin le théâtre rempli.« (L‘Art poétique, Chant III; dt.: »An einem Ort und Tag, von einer Tat das Bild | Sei das Theater bis zum Ende angefüllt.«) Das Stück spielt an einem einzigen Frühlingstag an nur einem Ort (Belriguardo) und hat durchgehend das Verhältnis Tassos zum Hof zum Thema. Umgesetzt ist außerdem die Ständeklausel: Wie für die klassizistische Tragödie gefordert, setzt sich das Personal einzig aus Adligen zusammen. Selbst Vertraute und Diener fehlen.

  • Inwiefern verfehlt »Torquato Tasso« die von den Zeitgenossen an die Gattung des Dramas gestellten Erwartungen?

    Aus der aristotelischen Poetik lässt sich ein Primat der Handlung ableiten. Auf sie käme es hauptsächlich an, sie gelte es auf dem Theater nachzuahmen. Der Charakter der Figuren kommt nur insofern in Betracht, als die Handlung ihm zur Erscheinung verhilft. Im »Tasso« sah man – nicht ganz zu Unrecht – eine Umkehrung dieses Verhältnisses. Die Handlung hat zu wenig Substanz: Der Streit mit Antonio, der den meisten Raum einnimmt, wird am Ende beigelegt; die Liebeshandlung mit der Prinzessin besteht am Ende nur aus zwei Unterredungen, die zwar dynamische Spitzen des dramatischen Geschehens darstellen, aber doch den gesamten Text nicht integrieren können.

  • Welche Bedeutung hat die Vorstellung des »Goldenen Zeitalters« im höfischen Kontext?

    Für die Prinzessin Leonore von Este und ihre Hofdame Leonore Sanvitale stellt die Verkleidung als Schäferin und ein entsprechender Aufenthalt in dem Garten des Lustschlosses einen angenehmen Zeitvertreib dar. Der Herzog scheint diese aus einer literarischen Tradition sich speisende Praxis mit etwas Spott zu billigen. Tasso bedient die bukolische Fiktion, indem er seine Liebesgedichte an Bäumen ausstellt.

  • Welche Bedeutung hat die Vorstellung des »Goldenen Zeitalters« für Tasso?

    Der historische Tasso hat 1573 mit seiner »Aminta« das erste Schäfer-Drama von literarischem Rang geschaffen (von dem übrigens angenommen wird, dass die Figuren das Hofpersonal Ferraras widerspiegeln). Goethes Tasso beschwört das Goldene Zeitalter als eine Zeit, in der in der Natur keine Gefahr drohte und die Lebewesen einträchtig zusammenlebten; in der außerdem keine Normen verhinderten, dass sich die Menschen einzig nach dem richteten, was ihnen gefällt.

  • Welche Bedeutung gibt die Prinzessin der Vorstellung vom »Goldenen Zeitalter«?

    Für die Prinzessin ist die reine Herrschaft des Lustprinzips, wie sie Tasso vorschwebt, keine ideale Vorstellung, weil sie dann das weibliche Geschlecht der Lust der Männer schutzlos ausgeliefert sieht. Nicht was gefällt, sei schon erlaubt, sondern nur, was sich schicke. Den Maßstab für die Schicklichkeit setzten die gebildeten Frauen, die dieses Schutzes bedürften.

  • Welche Rolle spielt die politische Dimension für die Handlung des Stücks?

    So gut wie keine. Der politische Handlungsbereich wird ins Spiel gebracht, als Antonio vom Erfolg seiner diplomatischen Mission in Rom berichtet: Dort verhandelte er immerhin eine Grenzerweiterung des Herzogtums Ferrara. Wir erfahren, dass die Sache noch nicht ganz abgehandelt ist, dass einige letzte Federstriche noch fehlen. Damit ergibt sich eine Parallele zum Epos Tassos, das fertig ist und doch noch nicht ganz fertig. Goethe verfolgt diesen Strang aber nicht weiter: Es gibt in dieser Sache keine Entwicklung oder Wendung mehr, wodurch ihre Funktion auf die exemplarische Illustration des Wirkens Antonios reduziert bleibt.

  • Charakterisieren Sie die Eröffnungsszene des Stückes!

    Es ist interessant, dass die erste Szene auch eine Komödie eröffnen könnte. Zwei schöne, als Schäferinnen verkleidete Frauen winden Kränze, sprechen über Kunst und über den Hofdichter, der zweideutige Liebesgedichte schreibt und über dessen wahre Neigung sie verschiedene Theorien haben. Die Stimmung ist heiter, allenfalls von der Aussicht auf eine baldige Trennung getrübt. Antonio – und was er repräsentiert – ist noch vollständig abwesend. Weder Tassos schwieriges Sozialverhalten spielt eine Rolle, noch wird sein reines Künstlertum als defizitär problematisiert.

  • Wie deuten Sie Goethes Nutzung der Regieanweisung?

    Goethe reduziert die Regieanweisungen auf das Äußerste. Das Winden und das Aufsetzen der Kränze haben hohe symbolische Bedeutung. Das Ziehen des Degens und das gewaltsame Umfassen der Prinzessin – das sind die beiden entscheidenden Grenzüberschreitungen Tassos, durch die er mit dem Hof und seinem Verhaltenskodex in offenen Konflikt gerät. Die übrige gestische Zurückhaltung und der Mangel an Requisiten stehen im Kontext der vornehmen Grundhaltung des ganzen Stückes, und in der Tradition des französisch-klassizistischen Dramas.

  • Welche Bedeutung haben Vorgeschichten in dem Stück?

    Es ist auffällig, dass von den fünf Personen nur die Prinzessin und Tasso über eine Vorgeschichte verfügen. Von Leonore wissen wir, dass sie verheiratet ist und einen Sohn hat – mehr nicht. Der Herzog und Antonio bleiben ohne ein Vorleben, das für die gegenwärtige Handlung relevant würde. Für Tasso und die Prinzessin hingegen sind die Umstände ihres ersten Treffens von Bedeutung: Für die Prinzessin bedeutete die Begegnung ein Wieder-zum-Leben-Kommen nach überstandener Krankheit, für Tasso den Gewinn von neuer Orientierung in dem Taumel, in den er als Zeuge der höfischen Prachtentfaltung geraten war.

  • Welche Symmetrien gibt es in dem Stück?

    Der erste und der letzte Akt unterscheiden sich hinsichtlich des Schauplatzes (der Garten) und hinsichtlich der Anzahl der auftretenden Figuren (alle fünf) von den drei Binnenakten (Innenräume, und jeweils eine Figur fehlt). Die Mitte, also der dritte Akt, ist dadurch hervorgehoben, dass hier die Titelfigur nicht auftritt. Eine symmetrische Anlage weisen außerdem die drei Binnenakte in sich auf: Um die Mittelachse eines transitorischen Monologs liegen zwei bedeutende Dialoge.

Veröffentlicht am 15. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2024.