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Torquato Tasso

Akt 2, Szene 1-2

Zusammenfassung

(I, 1) Tasso ist, anstatt die Einsamkeit zu suchen, der Prinzessin in einen Saal gefolgt. Er gesteht ihr die Verwirrung, in die er durch die Ankunft Antonios geraten ist, und der die Prinzessin, wenn beide sich nur wieder aneinander gewöhnten, eine baldige Beruhigung verspricht: Gewiss werde Antonio die Ebenbürtigkeit Tassos und Ariosts dann erkennen. Das Lob Ariosts habe ihn nicht gekränkt, entgegnet Tasso; sondern die Beschreibung des päpstlichen Hofes und der großen Welt habe ihm das Herz bewegt und die eigene Nichtigkeit spüren lassen. Die Prinzessin gemahnt ihn an die innige Verbindung von Held und Dichter, die Tasso selbst in seiner Vision beschworen hatte: neben der Tat habe auch die Poesie ihren Wert, die von den Taten zeuge.

In der Tat, meint Tasso, sei er, als Knabe in Ferrara eingetroffen, Zeuge einer beispiellosen Versammlung der ehrenwertesten und tapfersten Männer Italiens geworden – eine Erinnerung, die ihn jetzt nur an seinen Unwert gemahnt. Die Prinzessin erwidert, sie habe diese Blütezeit des Ferrareser Hofes auf dem Krankenlager verbracht; und als sie genas, habe die Schwester Lukrezia sie mit Tasso bekannt gemacht. Dieser schildert die Begegnung seinerseits als heilsames Erwachen aus dem festlichen Rausch, als Erkennen des wahrhaft Wünschenswerten. Die schöne Zeit, die so begann, sieht die Prinzessin durch die Heirat und den Fortgang der Schwester vorzeitig beendet, und Tasso gesteht seine Eifersucht auf Lukrezia, den lang gehegten Wunsch, der Prinzessin auch etwas zu gelten und die daraus entstehenden Verwirrungen und seine Ungeschicklichkeiten.

Um seinen guten Willen habe sie immer gewusst, meint die Prinzessin; doch wirklich gehe ihm die Fähigkeit der Schwester ab, jeden unbefangen zu nehmen, wie er sei. Wem anders, entgegnet Tasso, könne er wie der Prinzessin vertrauen? Der Herzog, den sie vorschlägt, sei sein Herr, ihm schulde er Gehorsam; Antonio hätte ihm, von so gegensätzlicher Natur, viel zu bieten, doch fehlten ihm Freundlichkeit und Anmut, sodass er keinen Frieden bei ihm finden könne; Leonore handle immer mit Vorsatz und er habe sie nur, um der Prinzessin zu gehorchen, nicht gemieden. Die Prinzessin sieht ihn so auf dem Weg in die Einsamkeit und bei dem vergeblichen Versuch, sich als Kompensation die goldene Zeit im Innern zu erschaffen, die Tasso in der Tat hierauf zu beschwören anhebt: sie als ein Hirtendasein beschreibend, als einen Zustand der Freiheit und Gewaltlosigkeit, in dem alles erlaubt sei, was gefällt. Die Prinzessin bestreitet, dass es dies jemals anders als in einem übertragenen Sinne gegeben habe; nur wenn verwandte Herzen sich der Welt erfreuten, kehre diese Zeit jedesmal zurück; allerdings gelte dann, dass alles erlaubt sei, was sich zieme. Tasso bezweifelt, dass es über das Schickliche einen verlässlichen Konsens gebe; in Wirklichkeit werde es durch den Eigennutz überformt. Die Prinzessin aber sieht in edlen Frauen die geeigneten Richter der Sittlichkeit, denn sie bedürften ihrer zum Schutz gegen die Zudringlichkeit der Männer; für die Frauen bedeutete das die goldene Zeit, wenn Männer einmal den wahren Wert weiblicher Treue und Liebe erkennten und sich nicht von Schönheit blenden, von Krankheit und Alter irremachen ließen.

Tasso sieht dies als Anspielung auf eine mögliche Verheiratung der Prinzessin, doch darüber beruhigt sie ihn; wenn er sie bei sich behalten wolle, solle er sich selbst ein glückliches Leben schaffen, dann hätte sie auch eines. Tasso sagt, ihr seien ohnehin alle seine Tage gewidmet; nur durch sie habe er erfahren, was göttlich sei, nämlich eine milde Unempfindlichkeit gegen die menschlichen, gegen die eigenen Qualen und Verstrickungen. Die Prinzessin verweist auf die schmeichelhaften Frauendarstellungen in Tassos Dichtung, und Tasso erklärt, alle seine Frauenfiguren sei er nur einer Frau schuldig, die kein unbestimmtes Ideal sei, sondern wirklich lebte. Wenn sein Epos sich ein Anrecht auf eine lange Überlieferung erworben habe, dann, weil ihm das Geheimnis dieser Liebe anvertraut sei. Noch ein Vorzug dieser Dichtung sei, ergänzt die Prinzessin, dass sie den Hörer, der nach und nach versteht, gewinne. Tasso erklärt, ein überwältigendes Glück eröffne sich ihm hier und die Prinzessin gemahnt ihn gleich zur Mäßigung, dem rechten Weg zur Erfüllung in der Liebe.

(II, 2) Tasso versucht sich die Tragweite ihrer Äußerung klarzumachen. Die Liebeserklärung, die er in ihren Worten erkennt, sieht er als eine beinahe göttliche Gnade an, die er nicht verdient hat, und die alles in ihm verändern muss. Neben der Mäßigung, die sie verlangt hat, ist er bereit, alles für sie zu tun, ja zum Helden in der größten Gefahr und zum Streiter in einer erlesenen Schar für sie zu werden. Er bittet für das verjüngte Leben, das er in sich fühlt, um die himmlische Gunst.

Analyse

Auch den zweiten Akt eröffnet ein komplexes Zwiegespräch, in dem die elegante Verkettung der Redebeiträge leicht über die Vielfalt der berührten Themen und Fragestellungen hinwegtäuscht. Anders als in I, 1 gibt es aber jetzt auch eine deutliche, zur Vereinheitlichung des Dialogs beitragende Dynamik der Steigerung und Intensivierung: Was als Aussprache über den gerade erlebten Zusammenstoß mit Antonio beginnt, mündet in einer beinahe ausdrücklichen, wechselseitigen Liebeserklärung, deren Folgen Tasso in dem nachgestellten Monolog reflektiert.

Die Themen sind etwa die folgenden:

- Tassos Reaktion auf Antonios Ankunft; sein Verhältnis zur Sphäre der Tat und der Politik.

- Die Geschichte der Bekanntschaft von ihm und der Prinzessin. Der Stellenwert ihrer Schwester Lukrezia und die Möglichkeit einer Heirat der Prinzessin.

- Tassos aktuelles soziales Umfeld. Er vertraut nur der Prinzessin.

- Die Vorstellung von der goldenen Zeit als innere Kompensation einer defizitären Sozialität unter dem Zeichen der Freiheit (Tasso) oder als Metapher für ein geglücktes Sich-Zusammenfinden gleichgesinnter Herzen unter dem Zeichen der Schicklichkeit (die Prinzessin).

- Das Geschlechterverhältnis: Was für eine Art Liebe die Prinzessin sich wünscht.

- Die Frauendarstellungen in Tassos Dichtung.

Für den Zuschauer eine wichtige Information ist, dass Tasso die Taktlosigkeit Antonios kaum empfunden zu haben scheint, oder jedenfalls sie ihn nicht hauptsächlich bewegt. Anstatt sein Selbstbewusstsein ganz aus seinem Dichtertum zu schöpfen, plagt ihn, dass er auf dem anderen Feld öffentlichen Wirkens nichts geleistet hat.
Gerechtfertigt wird so Alphons‘ Plan, Tasso nach Vollendung seines Epos in die Welt zu führen. Trotz seiner Beteuerungen, die erlesene und reduzierte höfische Gesellschaft Ferraras stelle ihm die ganze Welt vor (vgl. 443-456), fühlt er sich von Antonios Schilderung des päpstlichen Hofes schmerzlich angezogen.

Wie Tasso und die Prinzessin einander zum ersten Mal begegneten – diese Geschichte eignet sich zur Grundlegung einer Liebesgeschichte vortrefflich. Für beide bedeutet die Begegnung eine Art von Erweckung, einen Übertritt in eine andere Daseinsform. Für die Prinzessin verknüpft sie sich mit dem Überwinden einer lebensbedrohlichen Krankheit, bei Tasso bewirkt sie das Erwachen aus dem Sinnenrausch, in den er, gerade am Ferrareser Hof angekommen, als Teilnehmer der höfischen Feste (vermutlich anlässlich der Hochzeit des Herzogs – vgl. S. 1435 f.) geraten ist. Er gewinnt durch ihre Bekanntschaft in der neuen Umgebung erst Orientierung (884: »Und lernte nun das wünschenswerte kennen«). Die Einwirkung ist deshalb auf Tassos Seite wohl größer (die Prinzessin gibt nicht an, eigentlich durch die Begegnung verändert worden zu sein), und er vergleicht sie hyperbolisch mit der Einwirkung der Götter. Doch ist hier die Geschlechterdifferenz in Rechnung zu stellen und ihre schlichten Worte (866 f.: »Da hofft‘ ich viel für dich und mich, auch hat | Uns bis hierher die Hoffnung nicht betrogen.«) haben vielleicht mehr Gewicht als seine poetischen Reden (885-887: »So sucht man in dem weiten Sand des Meers | Vergebens eine Perle […].«).

Das soziale Talent der von der Prinzessin schmerzlich vermissten Schwester setzt Tassos Unvermögen ins Relief, Freundschaft anzunehmen und zu unterhalten. Der Passus (vgl. 888-923) macht klar, dass Leonore von Este Tasso nur in einem harmonischen sozialen Zusammenhalt lieben, dass er ihr ein unbefangen-geselliges Leben nicht ersetzen könnte. Der folgende Durchgang durch das Dramenpersonal räumt vor allem die Kandidatur Leonore Sanvitales für eine mögliche Liebeshandlung mit Tasso ab – und zwar auf überraschend schroffe Weise (vgl. 963-969), nimmt man einmal an, dass die schöne Frau, die Blumen flocht, das Publikum etwas für sich einnehmen konnte.

Die Reden von der goldenen Zeit (vgl. 970-1047) sind in ihren Implikationen komplex. Es lohnt daher, die einzelnen Aussagegehalte einmal isoliert aufzufassen – gewissermaßen eine Faktorisierung der Passage:

Von Tasso ist zu sagen, (1) dass in ihm die Sehnsucht nach einer ursprünglicheren, egalitären Sozialform, in der keine natürlichen Gefahren drohen und es keine normativen Beschränkungen gibt, tatsächlich groß ist. (2) Seine Diagnose der gegenwärtigen Gesellschaft bildet zu diesem Wunschbild eine eigenartige Entsprechung: Auch jetzt gebe es – wenigstens im Bereich des Schicklichen – keinen gesellschaftlichen Konsens, der zu gültigen Normen führte; was sich (im Gewand nur des Schicklichen) durchsetzte, sei der Eigennutz.

Von der Prinzessin ist zu sagen, (1) dass sie Tassos Sehnsucht nach der goldenen Zeit für den zum Scheitern verurteilten Versuch einer innerlichen Kompensation äußerer Missverhältnisse hält – eine Annahme, der Tasso nicht widerspricht. (2) Sie hält die goldene Zeit für eine Metapher, die ihre Entsprechung in einem glücklichen, weltzugewandten Beisammensein verwandter Herzen hat. (3) Dabei bringt sie eine geschlechtsspezifische Differenz an: Tassos Wahlspruch, »erlaubt ist was gefällt« (994), bedeutet für sie als Frau einen Widerspruch zu der Gefahrlosigkeit, die das Goldene Zeitalter auszeichnen soll. Nur die sittliche Norm garantiere ihr den Schutz vor der männlichen Gewalt und Zudringlichkeit. (4) Tatsächlich ersetzt die Prinzessin ihre erste Definition der goldenen Zeit (s. o. Punkt 2) durch eine zweite, auf das zwischengeschlechtliche Verhältnis zugeschnittene: Für die Frauen bedeutete das die goldene Zeit, wenn die Männer ihre oberflächliche Reizbarkeit überwänden und den Wert der Treue und Liebe erkennten, die ein weibliches Herz ihnen schenken könnte.

Dieser Schlusspunkt der langen Passage bildet zu ihrem Beginn ein passendes Gegenstück: Tasso geht es um die (allgemeine, nicht geschlechtsspezifische) Freiheit des Genusses, der Prinzessin geht es um die (männliche) Preisgabe dieser Freiheit (die für die Frauen gefährlich ist) um eines höheren Guts willen. Deutlich zeichnet sich in dieser Gegenüberstellung die typische Struktur des Geschlechterdiskurses ab: Der Mann spricht im Allgemeinen, ohne besondere Markierung seiner männlichen Perspektive; erst die Frau trägt die Geschlechterdifferenz ein und enthüllt so den parteiischen Schwindel, der in der allgemeinen Formulierung begriffen lag.

Auch die letzte Passage über die Frauengestalten in Tassos Dichtung ist komplex (vgl. 1050-1124). Das mit einem Vorbehalt versehene, halb ausdrückliche Liebesgeständnis, mit dem die Szene endet, findet sich in einer Vorform schon, wenn die Prinzessin auf die Frage nach ihrer möglichen Heirat antwortet (vgl. 1060-1064). Tasso soll seine gesellschaftlichen Ängste überwinden und glücklich werden, soll zu sich und zu seiner Umgebung in ein harmonisches Verhältnis treten – so lautet hier die Bedingung; dann würde auch die Prinzessin glücklich. Tasso antwortet, indem er, wie schon öfters in dem Gespräch, die Prinzessin in hochpoetischer Rede, das heißt in einem weit gespannten Vergleich, mit dem Göttlichen identifiziert. In der poetischen Hyperbel steckt für die Prinzessin die Möglichkeit, sich aus der direkten Anspreche gewissermaßen hinauszurücken: Sie spricht in ihrer Antwort allgemein über die Art und Weise, in der Tasso in seiner Dichtung über die Frauen spricht – so als habe Tasso nicht sie gemeint, sondern einen Passus aus der Gerusalemme liberata zitiert. Tasso nimmt dies auf, indem er seine Liebeserklärung nun auf dem von ihr vorgeschlagenen Weg wiederholt: Alle Frauengestalten seiner Dichtung zeugten von seiner tatsächlichen Liebe (hier bekommt also, mit Blick auf die Auseinandersetzung zwischen ihr und Leonore in der Eröffnungsszene, die Prinzessin recht – vgl. 173-234). Und auf diesem Weg findet auch die Prinzessin für ihr Geständnis den passenden Code. Tasso drängt in seinem Überschwang natürlich auf eine deutlichere Benennung des neuen Verhältnisses, doch hier fordert sie Mäßigung und beendet das Gespräch.

Mit dem Monolog schließt sich der Kreis: zur Bewährung in der Sphäre der Tat, die er zu Beginn des Akts so schmerzlich vermisst hatte, fühlt er sich durch die Aussicht auf die Gegenliebe der Prinzessin ermutigt und befähigt.

Veröffentlicht am 11. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 11. April 2024.