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Torquato Tasso

Historischer Hintergrund und Epoche

»Torquato Tasso« gehört neben »Egmont« und »Iphigenie auf Tauris« zu den klassischen Dramen Goethes. Diese Stücke bilden – wenn man von dem Jugendstück »Götz von Berlichingen« und dem Lebenswerk »Faust« absieht – den eigentlichen Beitrag Goethes zum Welttheater. »Torquato Tasso« ist das letzte Stück dieser Reihe. Es wurde 1789, im Jahr der Französischen Revolution, vollendet, das in Goethes dramatischem Schaffen eine bedeutende Zäsur darstellt. »Glücklicherweise ward mein Tasso noch abgeschlossen« – so schreibt er später in der »Campagne in Frankreich« – »aber dann nahm die weltgeschichtliche Gegenwart meinen Geist völlig ein.« (S. 903)

Das Drama entsteht in drei Phasen in den Jahren 1780/81, 1786/87 und 1788/89. Den Beginn markiert eine Tagebuchaufzeichnung vom 30.3.1780: »Zu Mittag nach Tiefurt zu Fuß Gute Erfindung Tasso.« (S. 1376) Doch erst ab September, und bis zum Ende des folgenden Jahres, stellt Goethe »in poetischer Prosa« (S. 1379) zwei Akte fertig, die er in der späteren Umarbeitung vollständig verwirft und von denen kein Zeugnis erhalten ist. Während dieser Produktionsphase stellt er in Briefen an Charlotte von Stein einen Bezug ihres intensiven Verhältnisses zu der entstehenden Dichtung her – z. B. am 23.4.1781: »Diesen Morgen ward mir’s so wohl, daß mich ein Regen zum Tasso weckte. Als Anrufung an Dich ist gewiß gut, was ich geschrieben habe. Ob’s als Szene und an dem Orte gut ist, weiß ich nicht.« (S. 1377)

Als Goethe im September 1786 nach Italien aufbricht, nimmt er sich – neben anderen unvollendeten Vorhaben – auch die zwei Akte »Tasso« mit. Mit Vollendung der »Iphigenie« und während der Überfahrt nach Sizilien im Februar 1787 rückt der »Tasso« kurz in den Fokus: Hier verwirft Goethe, was er bisher ausgeführt hatte, vollständig, behält aber den Plan der Handlung bei. »Diese beiden Akte, in Absicht auf Plan und Gang ungefähr den gegenwärtigen gleich, aber schon vor zehn Jahren geschrieben, hatten etwas Weichliches, Nebelhaftes, welches sich bald verlor, als ich nach neueren Ansichten die Form vorwalten und den Rhythmus eintreten ließ.« (S. 1379 f.) Die Umarbeitung einer ersten Prosafassung erfolgt also ähnlich wie bei der zuvor beendeten »Iphigenie«. Betroffen ist nur die Ebene der Elocutio (der sprachlichen Ausführung), nicht die der Dispositio (Anordnung) und Inventio (Erfindung).

Goethe wendet sich dann aber doch erst noch dem »Egmont« zu und nimmt erst nach dessen Fertigstellung die Arbeit am »Tasso« wieder auf. Als wichtige Anregungen kommen nun die Tasso-Biografie des Abbate Serassi (Rom 1785) hinzu; inspirierend wirkt auf der Rückreise nach Weimar der Aufenthalt in den florentinischen Gärten, und in der letzten Entstehungsphase setzt sich Goethe in versifikatorischen Fragen mit Karl Philipp Moritz auseinander, der von Dezember 1788 bis Anfang Februar 1789 in Weimar bleibt. Die Niederschrift erfolgt rückwärts – Goethe beginnt mit der Fertigstellung der beiden letzten Akte (sie werden am 4. November 1788 dem Schreiber übergeben) und beendet die Eingangsszene als letztes, am 15.2.1789. Wie der Tasso in seinem Stück wird er aber nicht müde, weiter an der Diktion zu feilen, und arbeitet bis zum Sommer an den Handschriften.

Torquato Tasso, der wohl bedeutendste italienische Dichter des 16. Jahrhunderts, kam im Jahr 1565 mit 21 Jahren an den Hof von Ferrara und trat 1572 in den Dienst des Herzogs Alfonso II. von Este. Dort hatte er in dem Dichter Giovanni Battista Guarini, dem Diplomat und Hofgeschichtsschreiber Giovanni Battista Pigna und dessen Nachfolger als Staatssekretär Antonio Montecatino wichtige Feinde. 1575 vollendete er nach zehnjähriger Arbeit sein Hauptwerk »La Gerusalemme liberata« (Das befreite Jerusalem) und unternahm im Anschluss eine Reise nach Rom und Florenz zur Verteidigung und Vorstellung seines Epos in den literarischen Kreisen. Verhandlungen, die er mit den Florentiner Mediceern aufnahm, trafen Herzog Alfons empfindlich, doch konnte er den Dichter durch günstige Konditionen weiter an seinen Hof binden. Tasso bleibt von nun aber unstet und sein Geisteszustand verschlechtert sich. Sein Verfolgungswahn tritt stärker hervor und religiöse Wahnideen verleiten ihn zur Umarbeitung seines Hauptwerks. Er wird gefangen gehalten, kommt in einem Kloster unter, flieht zu seiner Schwester Cornelia Sersale nach Sorrent, kehrt nach Ferrara zurück, wird am Hof von Turin verpflichtet, kehrt wieder nach Ferrara und wütet dort gegen den Herzog. Sieben Jahre bringt man ihn in der Geisteskrankenabteilung des Hospizes von Sant‘ Anna unter, wo er poetisch weiter produktiv bleibt. Der Herzog von Mantua, Vicenzo Gonzaga, ruft ihn 1586 zu sich nach Mantua, doch bald setzt Tasso sein Wanderleben fort. Er stirbt am 25. April 1595 in Rom, kurz bevor er durch Papst Clemens VIII. auf dem Kapitol mit einem Lorbeerkranz geehrt werden soll.

Sein Epos gehört zu den prägenden Lektüreerlebnissen des jungen Goethe und spielt in »Wilhelm Meisters Lehrjahre« eine wichtige Rolle. Tassos Biografie macht ihn zum Prototyp des melancholischen Dichters. Früh beginnt um sein Verhältnis zu Leonore von Este und anderen Damen am Ferrareser Hof mit dem gleichen Namen die Legendenbildung. In einer Lebensbeschreibung von Lodovico Antonio Muratori (1735) heißt es das erste Mal, »Tasso sei für geisteskrank erklärt worden, weil er versucht habe, die Prinzessin Leonore öffentlich zu umarmen und zu küssen.« (S. 1396) Belege für ein Liebesverhältnis der beiden, das über die üblichen Huldigungen eines Hofdichters hinausginge, gibt es nicht.

Zu betonen ist schließlich, dass Goethes Situation am Weimarer Hof mit der Situation Tassos, wie sie in dem Stück geschildert wird, kaum zu vergleichen ist. Während Tasso zur Fertigstellung seines Hauptwerks von allen sonstigen höfischen Verpflichtungen freigestellt ist, tritt Goethe in Weimar hauptsächlich im Bereich der politischen Praxis in Erscheinung, und als Dichter nur in streng anlassgebundener Form: zur Verschönerung der Feste etc. Er gleicht mithin eher Antonio als Tasso, den man aber mit Christoph Martin Wieland in Verbindung bringen könnte: »Bei der Uraufführung des Tasso wurde übrigens die bekränzte Herme Ariosts durch die Büste Wielands ersetzt. Antonios Verse 707-741 offenbarten sich so als eine versteckte Wieland-Huldigung Goethes.« (Muratori, S. 1413)

Veröffentlicht am 15. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2024.