Skip to main content

Torquato Tasso

Aufbau des Werkes

Das Stück ist in fünf Akte (im Stück Aufzüge) und insgesamt 24 Szenen (Auftritte) unterteilt (4-5-5-5-5).

Insgesamt umfasst es 3453 Verse, die Akte umfassen 749, 900, 540, 671 und 624 Verse.

Monologe gibt es in den Szenen II, 2, III 1, 3 und 5, IV 1, 3 und 5 und V, 3, also in insgesamt acht Szenen. Mehr als zwei Figuren treten in den Szenen I, 2-4, II, 4, und V, 4 auf, also in nur fünf Szenen.

Für die Akte gibt es zwei Strukturtypen. Im ersten Akt nimmt die Figurenzahl kontinuierlich zu (erst zwei, dann drei, dann vier, dann fünf) – das ist der Steigerungstyp. Ab dem zweiten Akt etabliert sich der zweite Strukturtyp, der eine Zweiteilung und zwei wichtige Dialoge vorsieht. Rein ausgeprägt findet sich dieser binäre Typ im dritten und im vierten Akt, wo die beiden Dialoge jeweils von drei Monologen gerahmt werden. Im zweiten Akt finden sich bereits die zwei wichtigen Dialoge (Prinzessin-Tasso, Tasso-Antonio), aufgrund der Eskalation im zweiten Dialog treten am Ende des Akts aber weitere Figuren hinzu. Der Akt hat also Anteile am Steigerungstyp. Der Schlussakt kombiniert die bekannten Muster auf noch einmal neue Weise. Wie im ersten Akt gibt es keine Doppelachse von zwei wichtigen Dialogen. Wie im zweiten Akt gibt es aufgrund einer Eskalation gegen Ende einen sprunghaften Anstieg des Personals. Wie in den Akten II-IV gibt es einen transitorischen Monolog. Völlig neu ist aber die Gestalt der Schlussszene, in der sich nicht mehr zwei Figuren mit ähnlichen Redeanteilen miteinander auseinandersetzen, sondern eine Figur sich in monologhaften Reden ergeht und nur sporadisch, aber nicht unbedeutend, unterbrochen wird.

Die Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung sind streng gewahrt. Schauplatz ist das Lustschloss Belriguardo (1. Akt: der Garten; 2.-3. Akt: ein Saal; 4. Akt: Tassos Zimmer; 5. Akt: der Garten). Das Stück spielt an einem einzigen Tag. Thema ist das Verhältnis Tassos zum Hof: Die Rückkehr Antonios an den Hof setzt die Handlung in Gang.

Neben die Aktstruktur und die Verteilung der Schauplätze ist noch ein weiteres formales Element zu setzen, das den Eingangs- und Schlussakt in ihrer rahmenden Funktion stärkt: In den Binnenakten ist jeweils eine Figur abwesend (II: Leonore, III: Tasso, IV: Prinzessin).

Am meisten für die kausale Integration des Stücks leistet der Konflikt zwischen Antonio und Tasso, das heißt, die meisten Szenen haben im Rahmen dieses Konflikts eine Funktion. Auslöser des Konflikts ist die Ehrung Tassos mit dem Lorbeerkranz (I, 3) zufällig genau in dem Moment, in dem Antonio erfolgreich von seiner diplomatischen Mission an den Hof zurückkehrt (I, 4). Die ersten beiden Szenen enthalten die Voraussetzungen dieser Ehrung (I, 1-2). Der Konflikt ist in I, 4 noch in Latenz, jedoch bereits so weit greifbar, dass ihn Tasso und die Prinzessin zum Gesprächsgegenstand machen können. Die Prinzessin ermuntert Tasso durch ihr Liebesgeständnis und durch die Bedingungen, die sie an die Annahme seiner Liebe knüpft, dazu, Antonio die Freundschaft anzubieten und den schwelenden Konflikt gleichsam zu überspringen (II, 1-2). Dies misslingt und führt im Gegenteil zum Ausbruch des Konflikts. Tasso setzt sich durch das Ziehen des Degens ins Unrecht (II, 3) und liefert sich dem Gesetz aus. Obwohl Alphons die Strafe herabmildert, sieht sich Tasso vollständig aus der Gunst des Herzogs gesetzt und nimmt eigenhändig die Ehrung mit dem Lorbeerkranz zurück (II, 4). Alphons sieht in Wirklichkeit Antonio als den Hauptschuldigen und befiehlt ihm, sich mit Tasso zu versöhnen; vorher soll Leonore ihn besänftigen (II, 5).

Das so festgelegte Gesprächsprogramm zur Beseitigung des Konflikts wird tatsächlich umgesetzt und führt bis zum Ende des vorletzten Akts. Die beiden vorgesehenen Unterredungen finden im vierten Akt statt (IV, 2; IV, 4) und werden im dritten Akt vorbereitet. Diese Vorbereitung besteht in der Entwicklung eines Sonderprogramms der ersten Gesprächspartnerin Tassos: Leonore Sanvitale sondiert die Erfolgschancen ihres Plans zur Wegnahme Tassos zuerst mit der Prinzessin – hier sieht die Sache für sie günstig aus (III, 2) – und dann mit Antonio – hier weniger günstig (III, 4).

Sie ist am Ende nicht erfolgreich; die Versöhnung Antonios und Tassos hat zur Folge, dass Tasso bittet, nach Rom reisen zu dürfen. Dieses Gesuch bildet den Gegenstand einer kleineren, bis kurz vor das Ende des Stückes führenden Sequenz, denn Antonio bespricht sich deswegen zunächst allein mit dem Herzog (V, 1), dann erst tritt Tasso vor seinen Herrn und ihm wird die Bitte gewährt (V, 2).

Obwohl Antonio und Tasso zuletzt alleine auf der Bühne stehen, bildet ihr Konflikt den Gegenstand der letzten Entwicklung des Stückes nicht mehr. Antonio bewährt hier, indem er Tasso trotz dessen hyperbolischer Anklage nicht verlässt, nur seine versöhnte Haltung, die er bereits dadurch, dass er ihm das Einverständnis des Herzogs zum Weggang nach Rom verschafft hat, bezeugt hatte. Tasso hingegen scheint in den Schlussworten, nachdem er sein Verstellen abgelegt hat, und obwohl er ihn noch für sein Scheitern verantwortlich hält, Antonio als Stütze seines zerrütteten Gemüts endlich anzunehmen.

Man sieht also, wie großflächig der Konflikt Tasso/Antonio das Stück strukturiert. Was gibt es noch?

Angesprochen wurde bereits die Sequenz der Intrige Leonores, die über den gesamten dritten Akt bis in die zweite Szene des vierten Akts reicht. Sie ist in die übergeordnete Versöhnungssequenz eingegliedert. Ihre einzige kausale Funkton für den weiteren Fortgang des Stückes mag darin liegen, dass Tassos allgemeines Misstrauen dadurch gesteigert wird, dass es speziell in ihrem Fall einmal gerechtfertigt ist (wiewohl er daraus die falschen Schlüsse zieht).

Wichtiger ist die Liebeshandlung zwischen Tasso und der Prinzessin, für die die Szenen II, 1 und V, 4 am wichtigsten sind. Die Voraussetzungen ihrer Beziehung deuten sich in den Szenen des ersten Akts an (vor allem I, 1), und das Geständnis der Prinzessin gegenüber Tasso findet in der Aussprache mit Leonore eine Parallele (III, 2). Die fehlende Kommunikation nach Tassos Verhaftung (IV, 1) und die durch Leonore überbrachte Nachricht, die Prinzessin sei mit seinem Weggang einverstanden (III, 3), führen auf Tassos Seite zu einem großen Vertrauensverlust, der für die dann doch aufscheinende Liebe in der vorletzten Szene den für die Heftigkeit des Liebesausbruchs nötigen Kontrast schafft. Zuvor hatte die Liebeshandlung für den Konflikt Tassos und Antonios bereits eine katalysatorische, also verstärkende und zum Ausbruch führende Funktion gehabt.

Festzuhalten bleibt, dass das, was das Stück in seiner Erstreckung strukturiert hatte (der Konflikt Tasso-Antonio in sechs Phasen: Schaffung des Anlasses, Latenz, Ausbruch, Vorbereitung der Versöhnung, Versöhnung, Folgen und Bewährung der Versöhnung) nicht auch die letzte, entscheidende Entwicklung bestimmt; sondern dass hier eine zweite Handlungsebene zum Tragen kommt, die wesentlich weniger Text regiert und hauptsächlich in der ersten Hälfte des Stückes prominent geworden, dann aber vernachlässigt worden war (die Liebeshandlung in sechs Phasen: Latenz, Liebesgeständnis und Bedingung der Bewährung, Scheitern der Bewährung, vermeintliche Abkehr, erneutes Liebesgeständnis und Grenzüberschreitung, Abkehr).

Es ist vor allem die Offenheit des Endes, die eine abschließende Bewertung der kausalen Struktur des Stücks erschwert. Es ist unwahrscheinlich, dass Tassos zweite Grenzüberschreitung auf größere Härte stößt als die erste – dafür stehen schon Antonios beruhigende Worte zu Beginn der Schlussszene und Alphons‘ Befehl an Antonio, Tasso festzuhalten (3286-3293). Wie aber geht es dann weiter? Reist er nun nach Rom – kann die Prinzessin ihm seinen Ausbruch verzeihen? Findet er nun wirklich über Antonio in die höfische Gesellschaft zurück oder wird der Verfolgungswahn nur immer größer? Die Fragen bleiben – wenn man sie nicht mit den historischen Tatsachen beantworten will – offen; und damit bleiben die wichtigsten Handlungsstränge ohne zufriedenstellenden Abschluss. Wir wissen weder, wie sich das Liebesverhältnis zur Prinzessin gestalten wird, noch wie Tassos Verhältnis zum Hof von Ferrara und zu Antonio. In allen drei Perspektiven gibt es zwar nicht einfach nur nichts (die Zurückweisung der Prinzessin, Alphons‘ Milde, Antonios Dableiben und Tassos Schlussworte) – aber doch nichts Definitives.

Veröffentlicht am 15. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2024.