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Torquato Tasso

Akt 2, Szene 3-5

Zusammenfassung

(II, 3) Tasso bietet dem herzugekommenen Antonio überschwänglich Herz und Hand an, doch dieser weist ihn ab. Er wisse noch nicht, ob er Tassos Freundschaft in gleichem Maß erwidern könne. Tasso verweist auf ein intuitives Wissen der Seele, das die Vorsicht außer Acht zu lassen in wenigen Momenten erlaube, doch Antonio merkt an, ob ein solcher Moment eingetroffen sei, könne nur jeder bei sich entscheiden. Tasso nimmt daraufhin von seinem Angebot Abstand. Er habe der Prinzessin Bitte erfüllt und sei bereit, sich in Geduld zu üben. Er stellt in Aussicht, Antonio könne die kalte Abfuhr einmal bereuen. Antonio verbittet sich den Vorwurf der Kälte, die nichts als Mäßigung sei, und unterstellt Tasso, er glaube sich mit mehr Wärme, mehr Gefühl begabt als andere, nur weil er gelegentlich von Hitze, von heftigen und unbedachten Empfindungen überfallen werde. Tasso ist mit diesen Wertungen ganz einverstanden und gesteht Antonio das Recht zu, ihm Ratschläge zu geben – und nimmt es sogleich wieder zurück: Antonio habe viel Erfahrung, doch auch Tasso bilde sich durch stilles Aufmerken im Innern. Dies will Antonio nicht gelten lassen: Nur der Umgang mit den Menschen bewahre den Menschen vor Selbsttäuschung.

Tasso versucht einen neuen Anlauf und wirft Antonio vor, ihn absichtlich zu verkennen. Er porträtiert ihn als gutgesinnten Tatmenschen, der hauptsächlich an andere denke; er sieht sich zu seinem Freund geeignet, wenn Antonio ihn nur als solchen annähme; er möchte von ihm lernen und schämt sich seiner Unerfahrenheit nicht. Wieder verweigert sich Antonio, indem er auf die Zeit deutet, die eine solche Freundschaft zum Entstehen bräuchte. Tasso beruft sich auf die Tugend, die sie beide verbinden sollte, und auf die Prinzessin. Antonio sieht in der Bitte das Zeichen einer Siegesverwöhntheit und weist ihn abermals ab: Zu weit lägen sie auseinander. Den Unterschied an Jahren und an Erfahrung gesteht Tasso gerne zu, doch meint er ihn mit frohem Mut und Willen ausgleichen zu können. Das lässt Antonio nicht gelten: Den Schwierigkeiten, Kronen zu erwerben, stellt er die leichte Verfügbarkeit von Kränzen gegenüber.

Hierauf beginnt eine kurze Auseinandersetzung über das poetische Verdienst Tassos, das Antonio nicht gelten lassen will; es sei Werk der zufälligen Begabung und keiner Belohnung würdig.

Tasso wechselt nun die Grundhaltung. Er ersetzt die gute Meinung, die er vorher von Antonio hatte, durch die in der Auseinandersetzung gewonnene, neue Erkenntnis von seinem Charakter. Er weist den Angriff auf den Dichterkranz, den er sich erworben hat, zurück und macht zugleich deutlich, dass er ihn willig hingäbe, wenn Antonio ihm einen Dichter wiese, der dem Ideal Tassos entspräche oder nur näherkomme als er. Antonio tadelt die Heftigkeit der Verteidigung Tassos und gemahnt ihn an den Ort, an dem sie sich befinden: einen Ort, an dem offener Streit oder gar Gewalttätigkeit streng verboten sind. Tasso weist den Tadel zurück: Gerade hier habe ein hoher, freier Sinn seinen Platz. Im raschen Wechsel der Reden steigert sich der Konflikt, bis Tasso unverstellt zum Duell fordert. Antonio weist die Forderung mit Verweis auf den höfischen Schutzraum zurück, und endlich zieht Tasso den Degen.

(II, 4) Alphons unterbricht die Auseinandersetzung und fordert Erklärungen. Tasso weist Antonio alle Schuld zu, der ihn abgewiesen und zur Wut gereizt habe. Antonio wendet ein, auf die genaue Rekonstruktion des Streits komme es gar nicht mehr an, denn Tasso sei, als jemand, der das Gesetz gebrochen habe, kein freier Mann mehr, und für ihn kein ebenbürtiger Gegner. Tasso rechtfertigt sich noch einmal mit der Abweisung und der Verachtung, die er erfahren habe, erklärt sich aber auch die schwerste Strafe zu tragen bereit. Antonio spottet über den Überschwang, der auch aus dieser Leidensbereitschaft spricht, und erläutert den Sinn und die Würde des Gesetzes, das Tasso verurteilt. Alphons urteilt milde, indem er Tasso nur zum Gefangenen macht: Er solle sich in seinem Zimmer selbst bewachen.
Tasso hat offenbar Mühe, den Schuldspruch anzunehmen, und sieht, bei der Aushändigung seines Degens, sich aus der Sphäre der Taten für immer ausgeschlossen. Zugleich gibt er seinen Kranz hin, den er ohnehin zu früh erhalten und niemals wirklich verdient habe. Reflexionen über die Flüchtigkeit selbst der göttlichen Gaben begleiten seinen Abgang, während der Herzog ihm anzudeuten sucht, dass Tasso seine gute Meinung und seine Gewogenheit durchaus nicht verloren habe.

(II, 5) So fürchtet der Herzog – allein geblieben mit Antonio –, zu schwer gestraft zu haben. Antonio erklärt noch einmal, sich keiner Beleidigung bewusst zu sein, die ein Duell unausweichlich gemacht hätte. Alphons gibt ihm, als dem Klügeren, die Hauptschuld an dem Vorfall und befiehlt ihm, Frieden zu schaffen. Leonore Sanvitale solle ihn zuerst besänftigen, dann Antonio ihm in des Herzogs Namen die Freiheit schenken und sich mit ihm versöhnen. Er solle als Freund und Vater zu ihm sprechen. Antonio verspricht Gehorsam.

Analyse

Der zweite Akt entwickelt in geradezu prototypischer Weise die im ersten Akt angelegten Handlungslinien: In den ersten beiden Szenen kam die Liebeshandlung zwischen Tasso und der Prinzessin zu einer ersten Krisis, in den letzten drei Szenen kommt es zwischen Antonio und Tasso zur (beinahe gewaltsamen) Konfrontation. Beide Teile sind kausal miteinander verknüpft: Den Überschwang, mit dem Tasso sich Antonio öffnet und der diesen so abschreckt, nimmt der Dichter aus der Begegnung mit der Prinzessin mit. Dieser Umstand rechtfertigt in gewissem Maße die Skepsis Antonios. Tatsächlich ist es nicht der reine Vorsatz, die Welt kennenzulernen und Antonios Freund zu werden, der Tasso antreibt; sondern durch die Bewährung in der Welt will er die Prinzessin gewinnen, und dafür braucht er Antonio.

Dass Antonio nicht den einfachen Weg wählt, die Freundschaft erst einmal anzunehmen, und weiter bei sich dahingestellt sein zu lassen, ob sie sich bewähren, ob sie sich festigen wird – dass er die Vorbehalte Tasso so deutlich fühlen lässt und gar den Versuch eines vertrauteren Verhältnisses ablehnt; dieses Verhalten lässt sich nur aus einem eigentlich destruktiven Impuls heraus verstehen, einer Lust an der Erniedrigung des Dichters. Annehmen muss man – heißt das –, dass Antonio Tasso um seine Gaben beneidet. Betreffen dürfte dies das eigentlich dichterische Talent, vielleicht aber auch mehr. Tasso hatte gegenüber der Prinzessin ein durchaus harsches Urteil über ihn gesprochen: »Doch – haben alle Götter sich versammelt | Geschenke seiner Wiege darzubringen? | Die Grazien sind leider ausgeblieben, […].« (945-947) Wenn ihm das Gefällige, Einnehmende, das Angenehme und spielerisch Erobernde wirklich abgeht, ist der Neid Antonios umso begreiflicher.

Die Szene hat in enger zeitlicher Nachbarschaft einen berühmten Zwilling. Die Konfrontation zwischen Elisabeth, der Königin von England, und Maria Stuart bildet in Friedrich Schillers gleichnamigem Drama (1800) die Mittelachse und den Höhepunkt (Akt III, Szene 4). Auch dort verharrt Maria über etwa zwei Drittel des Dialogs in einer bittenden Stellung (sie kniet), auch dort weist die eigentlich überlegene Figur die Geste kalt ab, auch dort gibt es einen Umschlag, wenn der Stolz die erniedrigte Figur zwingt, die eigene Blöße wieder zu decken und zum Gegenangriff überzugehen. In beiden Fällen zielt dieser Gegenangriff auf die ästhetische Dimension. Der Überschuss in Elisabeths Verachtung kann nicht vernünftig und politisch erklärt werden, er hat erotischen Neid auf Marias Schönheit und ihren freien Umgang mit ihrer Sexualität zur Ursache. Hier findet Maria den wunden Punkt, der Elisabeth – im Rahmen der Konfrontation – gleichsam vernichtet. Auch Antonio lässt, wie es scheint, Tasso für seine Überlegenheit im ästhetischen Bereich büßen. Für Tasso wie für Maria Stuart hat der Gegenangriff fatale Konsequenzen. Maria Stuart zahlt für den augenblicklichen Triumph mit dem Verlust jeder Hoffnung auf Gnade, und Tasso begibt sich mit der gewaltsamen Provokation schon wieder auf das Feld, auf dem er seinem Kontrahenten hoffnungslos unterlegen ist. Antonio vergisst sich nicht, er weiß um das Gesetz, das das Ziehen der Waffe im Schloss bei strenger Strafe verbietet und er unterscheidet streng zwischen Beleidigungen, die ein Duell unausweichlich machten und – allem anderen Verhalten, sei es auch noch so verletzend: »Ich wüßte kaum zu sagen wie’s geschah. | Als Menschen hab ich ihn vielleicht gekränkt. | Als Edelmann hab ich ihn nie beleidigt.« (1612-1614) Einen besseren Plan hätte er sich nicht ausdenken können: Tasso reizen, seine Wut anfachen, das Duell verweigern – und dann Tasso, den die Hitze zum Ziehen der Waffe verleitet, sich ins Unrecht setzen lassen.

Der Herzog lässt die ungleichen Voraussetzungen der Kontrahenten indes nicht außer Acht – er gibt Antonio die Verantwortung für den Streit und Tasso eine Strafe nur der Form halber; was Tasso nicht begreift. Für den Fortgang des Stückes stellt sich nun die Frage, ob die hyperbolische Verblendung Tassos geheilt werden kann (er empfindet das Urteil als schwere Schmach, als endgültiges Scheitern seiner Versuche, in der Sphäre der Tat etwas zu werden, und weist gar die Ehrung, die er als Dichter erfuhr, von sich), ob Antonio dem Befehl seines Herrn Genüge tun und sich mit Tasso aussöhnen kann – und wie dies alles auf das Verhältnis Tassos und der Prinzessin zurückwirkt.

Veröffentlicht am 11. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 11. April 2024.