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Torquato Tasso

Rezeption und Kritik

Die umfangreichste Rezension nach Erscheinen des Dramas im Jahr 1789 findet sich in der von Friedrich Nicolai herausgegebenen »Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freien Künste«. Der Rezensent hält das Stück für misslungen, weil es die Anforderungen, die an ein Drama zu stellen seien, missachte. Bemängelt wird die Unterordnung der Handlung unter den Charakter. Schon Aristoteles fordere das umgekehrte Verhältnis: Nur die Handlung bestimme, welcher charakterliche Aspekt der Figuren etwa hervortrete; sie sei die Hauptsache. Die einer Charakterdarstellung entsprechende Gattung sei der Roman.

    Aber der »Taßo« ist weder ein Roman, noch ein Theaterspiel, noch überhaupt ein Drama in Aristoteles Sinn. Uns scheint es nichts weiter zu seyn, als eine dramatische Schilderung eines Charakters, oder vielmehr nur einer besonderen Seite desselben unter verschiedenen Gesichtspunkten; eine Reihe von Situationen, eine Folge von Scenen, deren jede für sich einen vorzüglichen Wert hat, und deren zuweilen drey oder viere ein poetisches Ganze ausmachen, die aber durch nichts zusammen gehalten werden, als höchstens durch eine Leidenschaft, die weder Anfang, Mittel, noch Ende hat. (zit. nach S. 1405)

Goethe sah selbst für eine Aufführung seines Stückes wenig Erfolgschancen, und er bemühte sich über anderthalb Jahrzehnte erfolgreich, es vom Theater fernzuhalten. Die Uraufführung fand erst am 16.2.1807 am Weimarer Hoftheater unter allerdings besonderen Bedingungen statt. Weimar war von napoleonischen Truppen besetzt und der Theaterbetrieb vorübergehend eingestellt worden.

    1. Die Schauspieler, die zunächst für sechs Wochen weiterbezahlt und anschließend beurlaubt wurden, nutzten die freie Zeit zu eigenständigen Studien. Ohne Goethe davon in Kenntnis zu setzen, studierten sie den Tasso ein, wobei sie, um Kosten zu sparen, die Rollenbücher selbst verfertigten. Nach einigen geheimen Proben spielten sie dem Autor das Stück vor und verliehen damit ihrem Wunsch einer öffentlichen Aufführung Nachdruck. Noch während der französischen Besatzung war Goethe und Kirms die Wiederaufnahme des Spielbetriebs gelungen, und so willigte er, weniger von den schauspielerischen Leistungen als von der Hingabebereitschaft seiner »lieben Zöglinge« beeindruckt, endlich ein. (Sämtliche Werke Bd. 6, Dramen 1791-1832, S. 1213)

Goethe fertigte für die Aufführung eine eigene Bühnenfassung an, in der etwa ein Fünftel der Verse gestrichen wurden – der größte Anteil hiervon bei Tasso selbst.

Die Aufführung war ein überraschender Erfolg und bereitete weiteren Inszenierungen den Weg. Noch im selben Jahr, am 23.11.1807, ging das Stück in Berlin unter dem Theaterdirektor August Wilhelm Iffland auf die Bühne, und unter Goethes Theaterleitung in Weimar bis 1817 kam es zu dreizehn Wiederholungen, darunter erfolgreiche Gastspiele in Leipzig und Lauchstädt (vgl. S. 1409).

Literaturhistorisch ist von einer Wirkung im engeren und im weiteren Sinn zu reden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt es zu einer Reihe von Tasso-Dichtungen, die alle auf Goethes Drama zurückgehen und von denen keine die Qualität des Vorbilds auch nur annähernd erreicht. Vor allem der Schluss wurde bei Goethe als unbefriedigend empfunden und in Trauerspielen, die Tassos Tod im Titel führen, eindeutiger gestaltet (vgl. 1407). Bedeutendere Aufnahmen des Stoffes finden sich im Ausland: in Lord Byrons Rollengedicht »The Lament of Tasso« von 1809, in Delacroix‘ Gemälde »Le Tasse à l’Ospedale di Sant’Anna, à Ferrare« von 1839 und dem auf dieses Gemälde im Jahr 1842 verfassten Gedicht Baudelaires.

Seinen literaturhistorisch herausragenden Rang hat »Torquato Tasso« aber in einem weiteren Sinn als das erste Künstlerdrama der Weltliteratur.

Veröffentlicht am 15. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2024.