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Torquato Tasso

Akt 3, Szene 1-3

Zusammenfassung

(III, 1) Die Prinzessin erwartet Leonore, um von ihr genauere Nachricht über den vorgefallenen Konflikt zu bekommen.

(III, 2) Leonore fasst ihr den Konflikt zusammen. Dass Tasso auf sein Zimmer verbannt worden sei, spreche dafür, dass er den Streit begonnen habe. Die Prinzessin vermutet aber, dass Antonio ihn dazu gereizt habe. Sie bereut, einer Vorahnung nicht gefolgt zu sein, die ihr noch am Morgen, bei Antonios Eintreffen, gesagt hätte, die beiden könnten nicht zueinander finden. Stattdessen habe sie sich auf den guten Charakter der beiden, auf Sitte und Höflichkeit verlassen. Letztlich habe sie Mitschuld an dem Streit, weil sie Tasso Antonio in die Arme getrieben hätte. Leonore rät – denn der Konflikt könne immer wieder ausbrechen, wenn er für diesmal auch geschlichtet würde –, dass Tasso sich eine Zeit lang entferne, nach Rom oder Florenz gehe, wo sie sich um ihn kümmern könne. Nach kurzem, raschem Widersprechen gibt die Prinzessin sich mit dem Plan zufrieden und bittet Leonore, für Tassos Unterhalt dadurch zu sorgen, dass sie Antonio bitten solle, sich beim Herzog für den Dichter einzusetzen. Ihr selbst falle das Bitten für sich und ihre Freunde – anders als ihrer Schwester – schwer. Sie bedauert den Verlust, den sie durch den Weggang Tassos erfahren wird und erklärt Leonore umständlich, was er ihr seit den Tagen ihrer Krankheit bedeutet – wie sie ihn liebt. Sie endet mit einer Klage über die Seltenheit und die Flüchtigkeit irdischen Glücks.

(III, 3) Leonore bespricht sich mit sich über das Mitleid, das sie gegenüber der Prinzessin empfindet. Doch seien ihre Leidenschaften wenig kräftig, und sie werde bald glücklich sein, sofern sie nur Tasso glücklich in der Ferne wüsste. Sie selbst gesteht sich ein, Tasso für ihren Ruhm und für das Bedürfnis ihrer Eitelkeit nicht entbehren zu können. Nur er könne sie in den Augen des ganzen Vaterlands verherrlichen und ihre Schönheit vor dem Verfall bewahren. Sie wolle ihn von Ferrara nicht endgültig lösen, sondern gelegentlich wiederkommen.

Analyse

Leonore war im zweiten Akt abwesend, im dritten ist es die Hauptfigur. Dennoch gibt es zwischen beiden Akten eine strukturelle Analogie: Die erste Hälfte ist durch die Prinzessin, die zweite durch Antonio geprägt. Ein Monolog der Person, die zuerst bei der Prinzessin war und dann zu Antonio geht, dient als Scharnier.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Dialog zwischen Leonore und der Prinzessin um eine verbreiternde Variation des Liebesgeständnisses, das sie Tasso machte: Was sie ihm gegenüber aus weiblicher Vorsicht noch zurückhalten musste, kann sie der Freundin, der sie (nicht ganz zurecht) vollkommen vertraut (vgl. 1851 f.), umständlicher darlegen.
Zugleich wirkt die Aussicht auf eine Trennung von Tasso auf die Aussprache katalysatorisch.

Die Prinzessin offenbart ihr soziales Feingefühl in der treffenden Einschätzung des Konflikts zwischen Tasso und Antonio (vgl. 1666 f.). Sie gibt die Mitschuld, die sie trifft, weil sie Tasso zu dem Freundschaftsangebot ermutigt hatte, unumwunden zu: einer richtigen Vorahnung hätte sie am Morgen folgen sollen. Bedeutend ist dabei nicht nur der charakterliche Unterschied, sondern auch eine Veränderung Antonios seit dem letzten Zusammentreffen, die diesen Unterschied akzentuiert: »Antonio erschien mir heute früh | Viel schroffer noch als je, in sich gezogner.« (1675 f.)

Sollte der Zuschauer mit Tasso fürchten, die Prinzessin läge den gescheiterten Annäherungsversuch dem Dichter zum Nachteil aus (im Sinne ihrer 1061-1064 gestellten Bedingung, Tasso solle sich ein »glücklich Leben« schaffen), wird ihm diese Furcht gleich benommen. Stattdessen erscheint die Prinzessin selbst als sozial Tasso gar nicht so weit überlegen, wie es im ersten Auftritt des zweiten Aufzugs noch scheinen mochte. Ihr mangelt es an Durchsetzungskraft, sie kann nicht für sich selbst und ihre Freunde bitten und gibt Tasso der vermeintlichen Freundin nach nur einem kurzen Wortwechsel preis, dessen Duellcharakter mehr in der Form der Stichomythie ausgedrückt wird als in den eigentlichen Propositionen (vgl. 1729-1740). Leonore schließt von dem schwachen sozialen Temperament auf die Natur ihrer Leidenschaften:

    Du mußt ihn haben, und ihr nimmst du nichts: | Denn ihre Neigung zu dem werten Manne | Ist ihren andern Leidenschaften gleich. | Sie leuchten, wie der stille Schein des Monds | Dem Wandrer spärlich auf dem Pfad zu Nacht: | Sie wärmen nicht und gießen keine Lust | Noch Lebensfreud‘ umher. (1953-1959)

Das ist falsch geschlossen – sie hätte besser zuhören sollen. Die Prinzessin hatte ihr gesagt:

    Zu fürchten ist das Schöne das Fürtreffliche, | Wie eine Flamme, die so herrlich nützt | So lange sie auf deinem Herde brennt, | So lang‘ sie dir von einer Fackel leuchtet, | Wie hold! wer mag, wer kann sie da entbehren? | Und frißt sie ungehütet um sich her | Wie elend kann sie machen! Laß mich nun. | Ich bin geschwätzig und verbärge besser | Auch selbst vor dir wie schwach ich bin und krank. (1840-1848)

Vollständig aufgelöst ist jetzt das von der Eröffnungsszene aufgegebene Rätsel: Die erotischen Interessen der beiden Frauenfiguren liegen offen. Leonore möchte Tasso nur aus Eitelkeit an sich binden. Sie liebt ihn nicht – ja selbst eine unschuldige Tändelei ist ihr Ziel nicht, wie das bukolisch-anakreontische Register hatte glauben machen. Tassos schroffe Einschätzung ihrer Person wird durch ihren Monolog gerechtfertigt.

Alle Figuren, die sich in Belriguardo aufhalten, wollen oder sollen von dort aufbrechen – mit Ausnahme der Prinzessin. Leonore soll nach Florenz, Alphons und Antonio wollten an diesem Tag noch wegen der Staatsgeschäfte nach Ferrara und Tasso sollte von Alphons nach der Fertigstellung seines Epos in die Welt geführt werden. Jetzt soll dieser Aufbruch früher geschehen und mit Leonore Sanvitale statt mit dem Herzog.

Veröffentlicht am 11. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 11. April 2024.