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Torquato Tasso

Akt 3, Szene 4-5

Zusammenfassung

(III, 4) Antonio und Leonore besprechen den Zusammenstoß zwischen Tasso und Antonio. Dieser bereut ihn und macht verschiedene Umstände für sein Verhalten geltend. Er sei im diplomatischen Geschäft und unter Fremden die Selbstkontrolle so gewohnt, dass er mit der Freiheit, die unter Freunden herrschte, kaum mehr umzugehen wüsste; gerade, weil er sich einmal in Sicherheit gewähnt habe, habe die Laune über ihn die Oberhand gewonnen. Er habe sich nach der mühevollen Arbeit in Rom auf die Erholung am Ferrareser Hof gefreut und Tasso als Konkurrenten wahrgenommen. Alles sei er zu teilen bereit, doch den Lorbeer gönne er nur dem Höchstverdienten und die Gunst der Frauen mit gutem Willen niemandem.

Leonore macht ihn auf den kategorialen Unterschied zwischen dem Lohn, den Antonio erwarten darf, und dem Lorbeerkranz des Dichters aufmerksam. Das Zeichen solle darüber hinwegtäuschen, dass man eigentlicher und handfester dem Dichter seine Mühen nicht erstatten kann. Antonio hingegen werde durch das Vertrauen des Fürsten und das allgemeine Zutrauen ausgezeichnet.

Wegen der Frauen stellt Leonore Tasso und Antonio einander gegenüber: Der Reiz Tassos für sie läge darin, dass man sich unablässig mit ihm beschäftigen könne, weil er für sich zu sorgen kaum in der Lage sei und weil sein Bedürfnis nach schöner, ordentlicher Kleidung in ihren Tätigkeitsbereich falle; der selbstständige und ordentliche Antonio hingegen biete der weiblichen Beschäftigung keinen Angriffspunkt. Antonio beschwert sich, dass also gerade die Schwächen Tassos ihm zum Vorteil gereichten und porträtiert ihn als sprunghaft, als unzuverlässig und von einem Extrem ins andere fallend, ohne je sich zu entwickeln. Ja, er sieht in ihm eine Gefahr für den Fürsten, den er, hingerissen von seinen Gefühlen, zu schmähen bereit sei.

Leonore bringt hier ihren Plan an, Tasso für eine Weile vom Hof wegzuführen, doch Antonio widerspricht: Das hätte den Anschein, als ob er daran Ursache hätte; er will sich aber, wie der Herzog befahl, mit ihm versöhnen. Dazu soll zuerst Leonore zu ihm gehen und ihm Bescheid geben, wenn Tasso hinreichend besänftigt sei.

(III, 5) Allein zurückgeblieben konstatiert Leonore knapp den Interessenskonflikt zwischen ihr und Antonio. Sie will die Unterredung mit Tasso nutzen, um ihn für ihren Plan zu gewinnen.

Analyse

Antonio als der gefährlichste Antagonist Tassos wird in der zweiten Hälfte des Mittelakts von Leonore abgelöst.
Überraschend reflektiert und überraschend versöhnlich zeigt sich der Staatssekretär, der in der Tat, wie es scheint, »sich auf der Stelle fassen kann« (2173). Er gibt die Verwundung seiner erotischen und seiner ehrbezogenen Eitelkeit unumwunden zu und hält die Klage gegen Tassos Charakter und gegen die Bevorzugung, die er von seiten der Frauen erfährt, aufrecht; doch gerade die klare Diagnose scheint ihn zur Versöhnung zu befähigen: »Um meinetwillen | Kann er an unserm Hofe ruhig bleiben; | Und wenn er sich mit mir versöhnen will, | Und wenn er meinen Rat befolgen kann, | So werden wir ganz leidlich leben.« (2156-2160) Es gebe ganz andere, die sie am Hofe, ohne sie verbessern zu können, dulden würden (vgl. 2166-2168).

Leonore gelingt es in ihren Reden, in der Gegenüberstellung von Tasso und Antonio die Linien noch einmal schärfer zu ziehen, das heißt, die Eigengesetzlichkeit des ästhetischen Bereichs, in dem Tasso agiert, kenntlich zu machen. Was von Antonio her Fehler sind – die Unselbstständigkeit, die Eitelkeit, die Unzuverlässigkeit des Dichters – das werden im zwischengeschlechtlichen Umgang Vorzüge, weil durch sie allein Reibungsflächen und Gelegenheiten zur Beschäftigung miteinander entstehen; zu einer Beschäftigung zumal, die den Frauen liegt und an der sie Vergnügen haben.

Der Lorbeerkranz auf der Dichterstirn ist – so muss man Leonore verstehen – nichts wert, es ist ein Zeichen bloß, ein wohlfeiles Mittel, um sich der Schuld gegen den Dichter zu entledigen. Antonio stünde im Genuss einer weniger sichtbaren, dafür aber realen Auszeichnung: der fürstlichen Gunst, des Zutrauens der Untertanen. Antonio gewinnt Einfluss und Gestaltungsmacht – Tasso nichts als ein Symbol.

Die Gefahr, auf die Antonio deutet – Tasso könne sich auch gegen den Fürsten einmal vergessen –, ist für Leonore der ideale Einsatzpunkt ihrer Intrige zur Entfernung Tassos, doch Antonio springt darauf nicht an, zu gut hat er den Willen seines Herrn verstanden. Leonore wird so als Gegenspielerin des Dichters isoliert, und sie hat gleich zur Umsetzung ihres Plans die günstige Gelegenheit bei der Hand: Sie soll Tasso auf die Versöhnung mit Antonio vorbereiten.

Eine offene Frage aber bleibt, nämlich, was sich in dessen Innerem den dritten Akt über getan hat: Ob er zu einer realistischeren Einschätzung der Bedeutung seiner Strafe gekommen ist, oder ob die gefühlte Schmach ihn zu verzweifelten Entschlüssen treibt.

Veröffentlicht am 11. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 11. April 2024.