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Torquato Tasso

Zitate und Textstellen

  • »Prinzessin: Du siehst mich lächelnd an, Eleonore, | Und siehst dich selber an und lächelst wieder. | Was hast du? Laß es eine Freundin wissen! | Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt.«
    – (1-4)

    ›Bedenklich‹ bedeutet hier, nach älterem Sprachgebrauch, soviel wie ›nachdenklich‹. – Es handelt sich um die Eröffnungsverse des Stückes. Die vielen Wiederholungen (2x sehen, 2x lächeln, 2x scheinen) verleihen ihnen eine schöne Musikalität, doch was ist ihr Sinn? Wie kann Leonore sich selbst ansehen? Hängt in dem Garten ein Spiegel? Oder ist gemeint, dass sie sich in der Prinzessin selbst ansieht, weil die Prinzessin ihr Lächeln spiegelt? Schaut sie einfach an sich herab, oder auf ihre den Kranz flechtenden Hände? Das Vergnügen oder das Glück, das Leonore empfindet, scheint noch in dem Vorfeld zu liegen, wo es sich nicht ausspricht, wo es nicht manifest wird. In ihrer Antwort erklärt sie ihr Vergnügen mit der angenehmen Beschäftigung, ihrer angenehmen Lage – den paradoxen Zusatz der Bedenklichkeit erklärt sie nicht. Man würde erwarten, dass die prominent platzierten Verse und das von ihnen Bezeichnete für das gesamte Stück von Bedeutung bleiben – doch so ist es nicht. Leonores Weg ist nicht der aus einer glücklichen, emotionalen Befangenheit heraus; in ihr treten stattdessen die eitlen und intriganten Züge hervor.

  • »Prinzessin: Wer Ein Verdienst so wohl zu schätzen weiß | Der wird das andre nicht verkennen. Du | Sollst uns dereinst in Tassos Liedern zeigen | Was wir gefühlt und was nur du erkennst.«
    – (742-745)

    Dies sagt Eleonore von Este, nachdem Antonio über 30 Verse lang den mit Blumen gekränzten und toten Ariost gepriesen hatte, obwohl der lebende und mit dem Lorbeerkranz geehrte Tasso, der soeben sein Hauptwerk dem Herzog übergeben hatte, neben ihm stand. Die Prinzessin spürt die Verletzung des Takts, die in dieser Missachtung liegt, und versucht die Situation in einer Art höflichem Dreisatz zu retten: Antonios spezielle Begeisterung für Ariost nimmt sie als Hinweis seiner allgemeinen Begeisterung für hervorragende Dichtung; von Tassos Wert überzeugt, kann sie voraussetzen und vorwegnehmen, dass auch Antonio diesen Wert erkennen wird. Zugleich lobt sie Antonios Fähigkeit, die Vorzüge eines Dichters nicht nur zu empfinden, sondern auch auszudrücken.

  • »Prinzessin: Und soll ich dir noch einen Vorzug sagen | Den unvermerkt sich dieses Lied erschleicht? | Es lockt uns nach und nach, wir hören zu, | Wir hören und wir glauben zu verstehen, | Was wir verstehen, das können wir nicht tadeln, | Und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt.«
    – (1109-1114)

    Dies ist der Kulminationspunkt des langen Gesprächs zwischen Tasso und der Prinzessin in der ersten Szene des zweiten Akts. Tasso wertet die Worte als Liebesgeständnis, und die Prinzessin widerspricht dieser Deutung nicht, wenn sie auch fordert, dass Tasso in den Konsequenzen, die er daraus zieht, Mäßigung walten lassen solle (vgl. 1119-1124). Geschildert wird das Entstehen der Liebe bei der Lektüre. Tasso hatte zuvor seinem Epos – oder wenigstens den Frauengestalten darin – einen geheimen Sinn gegeben: Sie alle seien durch ein Urbild, nämlich die Prinzessin, inspiriert. Stellt man die folgende Aussage etwas um (1105-1108), sagt Tasso, er habe das Geheimnis seiner Liebe seiner Dichtung anvertraut. Die Prinzessin antwortet, indem sie sagt: Sie habe diesen geheimen Gehalt des Epos bereits verstanden; und weil sie seiner Liebe durch die Lektüre innewurde, weil die Werbung diesen Weg nahm, war sie erfolgreich. Denn dieser war ein schleichender Weg, der die kognitiven Kräfte der Umworbenen herausforderte. Sie musste in die Lektüre etwas investieren, und dieser bereits geleistete Aufwand, dies Entgegenkommen vor dem eigentlichen Verstehen, nimmt sie für ihn ein, bevor sie es bemerkt. – Die rhetorische Figur ist die der Gradatio (Schema: … x | x … y | y … z | z …), nach dem Muster einer fortgesetzten Anadiplose (Schema: … x | x …).

  • »[Alphons:] Lenore Sanvitale mag ihn erst | Mit zarter Lippe zu besänft’gen suchen: | Dann tritt zu ihm, gib ihm in meinem Namen | Die volle Freiheit wieder, und gewinne | Mit edeln, wahren Worten sein Vertraun.«
    – (1627-1631)

    Am Ende des zweiten Akts ordnet Alphons die Versöhnung Antonios und Tassos an. Mit Antonio kann er sich deswegen unmittelbar aussprechen, Tasso hingegen soll dazu vorbereitet, soll dazu gewonnen werden. Den Weg hierfür zeichnet er an dieser Stelle vor – es ist der Weg, den das Stück bis zum Ende des vierten Akts gehen soll. Insofern hat die Stelle für die Lenkung der Publikumserwartung eine herausgehobene Bedeutung.

  • »Prinzessin: Zu fürchten ist das Schöne das Fürtreffliche, | Wie eine Flamme, die so herrlich nützt | So lange sie auf deinem Herde brennt, | So lang‘ sie dir von einer Fackel leuchtet, | Wie hold! wer mag, wer kann sie da entbehren? | Und frißt sie ungehütet um sich her | Wie elend kann sie machen! Laß mich nun. | Ich bin geschwätzig und verbärge besser | Auch selbst vor dir wir schwach ich bin und krank.«
    – (1840-1849)

    Dies ist das zweite Liebesgeständnis der Prinzessin, geäußert diesmal gegenüber ihrer Hofdame Leonore Sanvitale. Anlass der Äußerung ist die Aussicht auf die Wegreise Tassos mit Leonore nach Florenz. Obwohl das Geständnis weiterreicht als die Andeutung, die sie Tasso machte, handelt es sich auch hier um keine direkte Aussage. Tasso gegenüber sprach sie in der ersten Person Plural, so als ob jede Frau von seinem Epos zur Liebe bewegt werden könnte; jetzt kleidet sie ihr Geständnis in die Formulierung eines allgemeinen Sachverhalts, in den Topos von der Doppelnatur des Feuers, das nützlich ist und zugleich zerstörerisch. Über den sentenzhaften Umweg und dadurch, dass die so vorsichtige und taktvolle Prinzessin sie gebraucht, gelingt es Goethe, der abgenutztesten Liebesmetapher eine unmittelbare Wirkung zu verschaffen. Die Stelle kann als Beleg dafür dienen, dass die Prinzessin die Leidenschaft, die sich in Tassos Grenzüberschreitung am Ende des Stücks Bahn bricht, auch fühlt, oder wenigstens zu fühlen fürchtet. Leonore hält denn auch das, wovon die Prinzessin spricht, für eine »Krankheit des Gemütes« (1850).

  • »Antonio: Will etwa mich dein liebenswürdger Mund | Die Eitelkeit der Welt verachten lehren?«
    – (2040 f.)

    So spricht Antonio zu Leonore in der vierten Szene des dritten Akts, als sie ihm den geringen Wert der Ehrung klarzumachen sucht, die Tasso am Morgen erfahren habe. Antonio beweist mit der halb ironischen Bemerkung, dass er Leonores Hauptzug – ihre Eitelkeit – erkannt hat, und dass er bei ihr ein halbwegs reflektiertes Verhältnis zu dieser ihrer Schwäche voraussetzt. Zugleich schmeichelt er ihr, zugleich redet er darüber, dass es ihn schmerzen würde, ihre Gunst nicht zu besitzen. Dadurch, dass er von der Kränkung seiner Eitelkeit durch Tasso spricht, macht er sich verwundbar; er gibt Leonore die Gelegenheit, zu beweisen, dass sie ihn nicht weniger schätzt als den Dichter – ohne doch, dass sie die Gelegenheit entschieden ergriffe. In dem ganzen Gespräch liegt also eine verhaltene Erotik, die zu nuancieren, die auszustellen oder zurückzuhalten, Aufgabe der Regisseure und Darsteller bleibt.

  • »[Tasso:] Das häßliche zweideutige Geflügel, | Das leidige Gefolg der alten Nacht, | Es schwärmt hervor und schwirrt mir um das Haupt.«
    – (2235-2237)

    Im Auftaktmonolog des zweiten Akts umgibt sich Tasso gleichsam selbst mit den Attributen des Melancholikers: Fledermäusen und Eulen. Tatsächlich kommt die melancholische Grunddisposition des Dichters in der zweiten Dramenhälfte stärker zur Geltung als in der ersten. Jetzt spaltet sich die Hauptfigur: Ihr Verfolgungswahn teilt sich seiner Umgebung direkt nicht mehr mit und wird deshalb umso gefährlicher.
    Dass Tasso Melancholiker war, ist ein literaturhistorischer Gemeinplatz. Schon Montaigne hatte ihn in einem Essay so dargestellt, der übrigens als Quelle für die Figur des Hamlet gedient haben soll (vgl. 1421 f.).

  • »[Tasso:] Lenore selbst, Lenore Sanvitale | Die zarte Freundin! Ha, dich kenn‘ ich nun! | O warum traut‘ ich ihrer Lippe je! | Sie war nicht redlich wenn sie noch so sehr | Mir ihre Gunst, mir ihre Zärtlichkeit | Mit süßen Worten zeigte! Nein, sie war | Und bleibt ein listig Herz, sie wendet sich | Mit leisen klugen Tritten nach der Gunst. || Wie oft hab‘ ich mich willig selbst betrogen, | Auch über sie, und doch im Grunde hat | Mich nur – die Eitelkeit betrogen. Wohl! | Ich kannte sie, und schmeichelte mir selbst. | So ist sie gegen andre, sagt‘ ich mir, | Doch gegen dich ist’s offne treue Meinung. | Nun seh‘ ichs wohl und seh es nur zu spät: | Ich war begünstigt, und sie schmiegte sich | So zart – an den Beglückten. Nun ich falle, | Sie wendet mir den Rücken wie das Glück.«
    – (2490-2507)

    Dies ist – in Tassos Monolog, der auf das Gespräch mit Leonore folgt – die zweite entscheidende Stelle zum Verhältnis zwischen Tasso und Leonore. Der Prinzessin gegenüber hatte Tasso schroff die Falschheit Leonores geschildert: Ihr könne er nicht vertrauen. Die hier vorliegende Stelle ist etwas differenzierter. Offenbar hat es erotische Kommunikation zwischen den beiden doch gegeben – im Rahmen des höfisch Schicklichen freilich, also ohne irgendwelche körperlichen Folgehandlungen. Das Stichwort ist auch hier wieder die Eitelkeit. Nur sie habe Tasso glauben gemacht, die von Leonore bekundete Neigung sei echt, nur sie habe ihn über das hinwegsehen lassen, was er schon erkannt habe: ihren falschen Charakter. Jetzt aber mischen sich bei ihm Klarsicht und Verblendung. Er liegt richtig darin, dass er ihr Bemühen für falsch und eigennützig hält, doch er irrt vollständig bei der Einschätzung ihrer Motivation. Sie hält ihn durchaus nicht für einen Gefallenen, der ihr keinen Gewinn mehr bringen könnte, und sie ist nicht in einen größeren höfischen Komplott verwickelt. Sie handelt eigensinnig und eigenständig gegen die Interessen der anderen bei Hof und wieder im Dienst ihrer Eitelkeit.

  • »[Tasso:] Unsägliche Gewalt die mich beherrscht | Entfließet deinen Lippen; ja, du machst | Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mir | Von meinem ganzen Ich mir künftig an.«
    – (3274-3277)

    So spricht Tasso in der vierten Szene des fünften Akts, kurz bevor er die Prinzessin an sich reißt und dadurch von sich abstößt. Die Stelle macht deutlich, dass Tasso in der Liebe zur Prinzessin eine Möglichkeit sieht, sein zerrissenes Selbst wieder einer Ganzheit zuzuführen. Es ist eine Selbstvernichtungs- und zugleich Selbstheilungsfantasie, denn in der Selbstvernichtung stellt sich die so schmerzlich vermisste Totalität wenigstens im Augenblick wieder her. Ein Programm, das sich in die Lebenswirklichkeit umsetzen ließe, ist das natürlich nicht – und zumal nicht in die höfische Lebenswirklichkeit, die auf der sicheren Konturierung der Personen und auf dem feinen Gefühl für die zwischen ihnen bestehenden Distanzen beruht.

  • »[Tasso:] So klammert sich der Schiffer endlich noch | Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.«
    – (3451 f.)

    Die Schlussworte Tassos sind keine regelrechte Beendigung der Szene, denn was folgt auf sie? Wie gehen die beiden schließlich auseinander? Tasso spricht von einer Umklammerung – und mit und während dieser Umklammerung, wenn damit das Halten der Hand des Staatssekretärs gemeint ist, endet das Stück durch eine künstliche Unterbrechung, also durch das Fallen des Vorhangs oder das Ausgehen des Bühnenlichts. Das Verspaar ist auf typische Weise zweideutig. Einerseits drückt sich darin die Annahme der Hilfe aus, die Antonio ihm anbietet, und dadurch die zweite und diesmal unverstellte Annahme seiner Freundschaft. Andererseits geschieht dies, ohne dass Tasso von der irrigen Vorstellung abrückt, Antonio sei der Grund seines Scheiterns. Denn ist er überhaupt gescheitert? Er hat die herzogliche Gunst in Wirklichkeit nicht verloren, und vielleicht auch die der Prinzessin nicht in dem Maße, das er jetzt annehmen mag. Dann mag der Konflikt mit Antonio der Anlass gewesen sein für die Entwicklungen, die ihn dahin gebracht haben, wo er am Ende steht, aber war Antonio, der so rasch zur Versöhnung bereit war, auch die eigentliche Ursache der Entwicklung? Die Hartnäckigkeit, mit der Tasso an seinen falschen Vorstellungen festhält, macht also zweifelhaft, ob die Annahme von Antonios Freundschaft wirklich Bestand haben kann.

Veröffentlicht am 15. April 2024. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2024.