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Das Haus in der Dorotheenstraße

Kapitel 2

Zusammenfassung

Gottfried erreicht wenige Stunden später seine Zweizimmerwohnung in London. Er plant, eine größere und teurere Wohnung zu beziehen, sobald Xenia nachkommt. Sechs Wochen vergehen und Gottfried und Xenia halten Kontakt über das Telefon. Das schlechte Wetter in London setzt Gottfried zu. Es trägt zu seiner Unzufriedenheit bei. Er steht auf einer Brücke bei Wind und Regen, als er seine Entscheidung, nach London zu ziehen, hinterfragt.

Auch in London verfasst er seine Artikel weiterhin detailgetreu mit präziser Recherche. In der Redaktion ist er für den Bereich Wirtschaft zuständig. Außerhalb seiner Arbeit besucht er öfter eine Brücke an der Themse. Um dem routinierten Alltag zu entfliehen und nicht nur am Rechner zu sitzen, besucht Gottfried eines Tages eine Aufführung der Royal Shakespeare Company. Sie geben das Stück »The Tragedy of Othello, the Moor of Venice«, das von einem Mann handelt, der aufgrund einer Intrige vermutet, seine Frau sei untreu. Der Mann ermordet schließlich seine Frau, ohne Vernunft walten zu lassen oder ihrem Unschuldsbekenntnis Glauben zu schenken. Gottfried findet das Verhalten Othellos unglaubwürdig, doch ist er vom Schauspiel und der Inszenierung beeindruckt.

Sobald Gottfried wieder in seiner Wohnung ankommt, ruft er seine Frau an. Er lässt ihr Handy lange klingeln, aber Xenia nimmt nicht ab. Er vermutet, sie habe ihr Handy nicht bei sich, weshalb er über das Festnetz anruft. Obwohl sich die beiden zum Telefonat verabredet hatten, geht Xenia noch immer nicht ans Telefon. Gottfried legt sich schlafen. Er ist müde und für ein langes Gespräch ist es nun zu spät. Der Erzähler gibt einen Einblick in die Welt des Schlafenden: Die Möbel werfen Schatten, der Mond scheint über den Dächern; die Außenwelt scheint von dem Schlafenden abgelöst. Der Erzähler beendet seine allgemeine Beschreibung damit, dass der Schlafende mit einem Seufzer aufwacht und sich auf die Bettkante setzt. Dann heißt es wieder: Gottfried sei verwirrt und frage sich, wo er sei, wie spät es sei und warum Xenia nicht zurückrufe.

Analyse

Das Kapitel beschreibt zunächst Gottfrieds erste Zeit in London. Die Trennung setzt Gottfried und Xenia zu, denn Gottfried war wegen der Wohnungsfrage gezwungen, »seine Frau, wenn sie miteinander telefonierten, zu vertrösten« (S. 76). Auch Gottfried verstimmt seine neue Lebenssituation. Das schlechte Wetter ist eine zusätzliche Belastung. Er hinterfragt die Entscheidung, die er traf: »Vielleicht hätte ich doch nicht hierherkommen sollen« (S. 76). Offenbar bedeutet die Fernbeziehung für das Paar eine Erschwernis.

Der Alltag in London erscheint eintönig. Selbst in seiner Freizeit widmet Gottfried sich seinen Artikeln: »es machte ihm Spaß, aber es war die übliche Routine« (S. 77). Vor diesem Hintergrund versucht Gottfried, Abwechslung in sein Leben zu bringen. Dies ist der Moment, in dem Gottfried zum ersten Mal in eine Welt der Illusion eintaucht. Er besucht das Theaterstück »The Tragedy of Othello, the Moor of Venice«. Die Rationalität seiner Denkweise wird sichtbar, als er das Stück als »vollkommen unglaubwürdig« (S. 77) bewertet.

Gottfried findet das Handeln Othellos widersprüchlich. Seine Liebe erscheint ihm nicht aufrichtig, da Othello der Unschuld seiner Frau keinen Glauben schenkt und sich weigert, ihre Untreue »auf vernünftige Weise zu hinterfragen« (S. 78). Aufgrund seines rationalen Bewertungsmaßstabs kann er sich mit Othello (noch) nicht identifizieren. Dennoch beeindruckt ihn das Schauspiel in einem größeren Ausmaß als angenommen, sodass vermutet werden kann, dass die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion ab diesem Zeitpunkt beginnen zu verschwimmen.

Als er nämlich am selben Abend Xenia anruft und nicht wie geplant erreicht, sucht er nach möglichen Erklärungen für ihre Unerreichbarkeit. Auch hier offenbart sich sein stets vernünftiger Verstand. Nachdem sich Gottfried schlafen gelegt hat, skizziert der Erzähler die Welt des Schlafenden. Damit kündigt die sich anbahnende Bewusstseinsveränderung Gottfrieds an: »Es ist so etwas wie Fremdheit, und doch bleibt alles, wie es war« (S. 78f.). Der Erzähler schildert die dunkle Nacht, in der Gottfried plötzlich erwacht.

Der Erzähler stellt die Hypothese auf, dass Gottfried schlecht geträumt haben könnte und kommentiert weiter: »dann wäre es möglich, dass sich zwei Welten, die zusammengehören, für Augenblicke nicht mehr berühren.« (S. 79). Mit den zusammengehörenden Welten kann eine Anspielung auf die Ehe Gottfrieds und Xenias verstanden werden. Demzufolge könnte Gottfried geträumt haben, dass er Xenia verliert. Diese These lässt sich weiter stützen durch Gottfrieds Fragen: »Wo bin ich [...], Wie spät ist es [...] Warum ruft Xenia nicht an.« (S. 79) Gottfried erscheint desorientiert und verwirrt. Obwohl es mitten in der Nacht zu sein scheint, fragt er sich, warum seine Frau nicht anruft. Die Vernunft, mit der er normalerweise Ausreden sucht, scheint in diesem Moment abwesend zu sein.

Veröffentlicht am 13. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Mai 2023.