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Emilia Galotti

Zweiter Aufzug

Zusammenfassung

Odoardo Galotti, der Vater von Emilia Galotti, trifft seine Frau Claudia an Emilias Hochzeitstag. Emilia ist währenddessen bei der Messe. Pirro, der Bedienstete der Galottis, empfängt derweil einen Mann namens Angelo. Dieser übergibt Pirro seinen Anteil eines vergangenen Raubüberfalls. Überdies fragt er Pirro nach den Einzelheiten der bevorstehenden Hochzeit Graf Appianis und Emilias aus. Angelo plant auf der Hinreise nach Sabionetta einen Überfall auf sie auszuüben.

Claudia erzählt ihrem Mann von einer Begegnung zwischen dem Prinzen und Emilia. Der Prinz erschien dabei entzückt von Emilia. Diese Information setzt Odoardo in Rage. Den Prinzen sieht er als seinen Feind. Er verlässt folglich Guastalla und bricht früher nach Sabionetta auf, dem Ort der Hochzeitsfeier.

Daraufhin kehrt Emilia von der Messe zurück. Sie ist ängstlich und meint, verfolgt zu werden. Dann erläutert sie ihrer Mutter den Vorfall aus der Kirche. Der Prinz sei während der Messe an sie herangetreten und habe ihr seine Gefühle gestanden. Emilia habe daraufhin versucht zu fliehen. In der Halle habe der Prinz jedoch ihre Hand ergriffen. Nach einem kurzen Austausch sei sie schließlich verstört nach Hause geflohen. Emilia möchte ihrem Zukünftigen von diesem Vorkommnis berichten, doch ihre Mutter rät ihr letztlich davon ab.

Graf Appiani erscheint bei den Galottis. Er ist voller Vorfreude aufgrund der bevorstehenden Hochzeit. Emilia entfernt sich, um sich herzurichten. Daraufhin kommt Marinelli. Er überbringt Appiani die Bitte des Prinzen, als sein Gesandter nach Massa zu reisen. Appiani lehnt die Bitte aufgrund seiner anstehenden Vermählung jedoch ab. Dies führt zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden. Marinelli fordert Appiani zum Duell heraus und verschwindet zornig.

Analyse

Anschließend an die Exposition reiht sich die steigende Handlung. Claudia und Odoardo Galotti sind zwischen Freude und Sorge aufgrund der Heirat ihrer Tochter. Emilia ist hingegen zur Messe, denn »[sie] habe heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen« (S. 25, Z. 26). Es wird folglich das Bild einer bürgerlichen Familie gezeichnet, die - zumindest für das damalige Publikum im 18. Jahrhundert - typisch erscheint.

Darauf folgt ein heikler Einschnitt. Der Bedienstete der Galottis, Pirro, trifft sich mit Angelo. Viele Informationen zu den beiden werden nicht gegeben, jedoch erscheinen beide Figuren als zwielichtig. So äußert Pirro: »Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei erkläret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung« (S. 22, Z. 24f.). Dementsprechend kann geschlussfolgert werden, dass Angelo symbolisch für Gefahr steht. Obwohl Pirro versucht, den Schein der Unschuld zu wahren, nimmt er seinen Anteil eines vergangenen Überfalls entgegen und verrät zusätzlich Details über die Hochzeit Emilias und Appianis. Dieses widersprüchliche Verhalten kritisiert selbst Angelo: »ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen« (S. 24, Z. 17f.). Auch, wenn nicht alle Randinformationen dieses Zusammentreffens gegeben sind, so wird gerade dadurch Spannung aufgebaut. Dem Leser wird signalisiert, dass etwas mit Emilia und Graf Appiani passieren wird.

Ebenfalls wird in diesem Abschnitt die Figur Odoardo Galotti als tugendhafter Mann und Vater illustriert. Die Tugend stellt ein hohes Maß an vorbildlicher Sittlichkeit und Moral dar. Für bürgerliche Trauerspiele ist die Tugendhaftigkeit der Bürger ein charakteristisches Motiv. In diesem Zusammenhang wird der Adel negativ konnotiert, sodass auch das höfische Leben kritisch kommentiert wird. Demgemäß äußert Odoardo Kritik an dem Leben in der Stadt. Er unterstellt Claudia »[...] daß es mehr das Geräusch und die Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war [...]« (S. 25, Z. 6f.), weshalb sie sich für das Leben in Guastalla und gegen das ländliche Leben bei ihrem Mann entschied. Das höfische Leben wird dadurch als Gift für die Tugend des Menschen charakterisiert.

Zudem wird dem tugendhaften Odoardo gemäß eines Ständekonflikts ein adliger Gegenspieler gegenübergestellt: Der Prinz von Guastalla. Odoardo sieht ihn als die verkörperte Gefahr des Hofes. Dies ist anhand seiner Reaktion zu schlussfolgern, als seine Frau von dem Kennenlernen Emilias und des Prinzen berichtet. Seine Wut reicht so weit, dass er Guastalla verlässt. Vorher sagte er noch: »Das gerade wäre der Ort, wo ich am tödlichsten zu verwunden bin!« (S. 26, Z. 22f.). Es kann interpretiert werden, dass mit »Ort« hier Emilia gemeint ist, denn danach fügt er hinzu: »Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt« (S. 26, Z. 23f.). Auch der Kommentar Claudias verdichtet diese Sichtweise: »Er ist des Vaters Feind: folglich—folglich, wenn er ein Auge für die Tochter hat, so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen?« (S. 27, Z. 2f.). Dass nicht nur Odoardo keine Sympathie für den Prinzen hat, sondern auch der Prinz für ihn dieselben distanzierten Gefühle hegt, ist anhand Odoardos Aussage zu vermuten: »Der Prinz haßt mich—« (S. 25, Z. 36f.). Auch hier lässt sich eine aufbauende Spannung feststellen.

Dann erscheint erstmals die Figur Emilia Galotti. Der Versuch des Prinzen, sie bei der Messe für sich zu gewinnen, ist fehlgeschlagen. Dem Leser wird Emilia als aufgelöst und schamhaft präsentiert. Dies wird durch Äußerungen wie: »Ich konnte weder vor noch zur Seite rücken—so gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines andern Andacht mich in meiner stören möchte« (S. 28, Z. 5f.) oder »Aus Scham mußt’ ich standhalten« (S. 29, Z. 19) deutlich. Gemäß ihrer Frömmigkeit möchte sie ehrlich sein und Graf Appiani von dem Vorkommnis berichten. Ihre Mutter überredet sie jedoch, es für sich zu behalten. Sie beschwichtigt die Situation mit Aussagen wie: »Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. [...] Nichts klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als nichts« (S. 31, Z. 1f.). Dass gerade das Unausgesprochene in »Emilia Galotti« den tragischen Ausgang der Geschichte befeuert, wird an späterer Stelle deutlich. Allerdings kann bereits zu diesem Zeitpunkt argumentiert werden, dass das Schweigen dem Prinzen zum Verhängnis wurde. Er hat seine Gefühle zu lange für sich behalten. Schließlich definiert auch Emilia die Tugendhaftigkeit als eine hohe Maxime für sich: »Er könnte mich leicht für mehr eitel als tugendhaft halten« (S. 31, Z. 11).

Die Intrigen werden noch weiter gespannt als Marinelli Graf Appiani aufsucht. Marinelli versucht, Appiani durch eine Möglichkeit, seinen Status zu verbessern und am Hofe aufzusteigen, zu locken. Dass dieses Angebot für Appiani tatsächlich verlockend erscheint, ist an folgender Aussage ersichtlich: »Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit.—Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der Prinz mich zu brauchen geruhen werde.—« (S. 35, Z. 21f.). Auch hier wird die Ständegesellschaft verbildlicht, in der es stets um Chancen geht, ihre Stellung aufzuwerten. Für Graf Appiani erscheinen Macht und Status jedoch nicht als das Wichtigste. Diese Interpretation lässt sich darauf ergründen, dass er die Heirat mit Emilia der Bitte des Prinzen vorzieht. Während der Diskussion zwischen den beiden sagt Marinelli: »Tod und Verdammnis!« (S. 37, Z. 32). Dieser Ausruf lässt sich als ein Vorbote der Tragödie verstehen.

Veröffentlicht am 13. Februar 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Februar 2023.