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Romeo und Julia

Interpretation

Liebe und Hass

Liebe und Hass sind die Kernmotive des Dramas und werden bereits im einleitenden Prolog benannt. Obwohl unbekannt ist, woher die Feindschaft zwischen den Familien Montague und Capulet rührt, kommt es schon in der ersten Szene zu einer Auseinandersetzung auf öffentlicher Straße. Der Hass wird nicht nur von den Familienoberhäuptern, sondern auch deren Nachkommen bis hin zu den Bediensteten aufrechterhalten. Er begründet den Konflikt zwischen den Familien und wird schnell in gewaltsamer Form ausgetragen. Dies scheint dem tatsächlichen Konfliktverhalten der damaligen Zeit zu entsprechen (Neubauer & Böck, S. 37). Tybalt charakterisiert die vollkommene Rachsucht, die fast etwas Leidenschaftliches hat: »Hör, Romeo! Der Hass, den ich dir schwur, Gönnt diesen Gruß dir nur: du bist ein Schurke!« (68).

Auf der anderen Seite steht die Liebe, die sich in verschiedenen Formen durch das gesamte Stück zieht. Am Anfang begegnet dem Zuschauer die unerwiderte, fast naive Liebe, die sich in Romeos Liebeskummer um Rosalinde sowie Paris Werben um Julia zeigt (Neubauer & Böck, 38). Als sich Romeo und Julia allerdings das erste Mal begegnen, erfahren sie Liebe auf den ersten Blick, die eine Kraft über sie gewinnt, mit der sie nicht gerechnet haben. Sie sind erfüllt von Leidenschaft, Sehnsucht und berauschenden Gefühlen. Obwohl der Streit ihrer Väter zwischen ihnen steht, suchen und finden sie Wege, sich nahe zu sein. Beide machen aufgrund der Liebe zueinander eine Entwicklung durch. Julia behält trotz stürmischer Gefühle ein Auge für das Rationale und bittet Romeo, sie zu heiraten, anstatt nur mit Worten um sie zu werben. Sie widersetzt sich ihren Eltern und sagt sich von ihrer Amme los, da sie erkennt, was sie in ihrem Leben will und welche Konsequenzen sie dafür tragen muss: »Hinweg, Ratgeberin! [...] Schlägt alles fehl, hab ich zum Sterben Kraft« (98). Romeo, zu Beginn ein melancholischer, fast kindlicher Träumer, wird durch die echte Liebe zum Handeln bewegt.

Die Leidenschaft schlägt eine Brücke zwischen Hass und Liebe und kann in sowohl vernichtender als auch erfüllender Form ein Antreiber sein. Von diesen Gefühlen geleitet agieren die Figuren, der Konflikt spitzt sich zu, das Drama nimmt seinen Lauf. Tybalt und Mercutio werden vom Hass in den Tod geführt, Julia und Romeo wählen den Tod aus Liebe. Während Mercutio und Tybalt unfreiwillig sterben, entscheiden sich die beiden Liebenden bewusst dazu. Auf ihrem Weg begegnen sie immer wieder neuen Hindernissen, gar Vorahnungen, dass ihre Verbindung unter keinem guten Stern steht. 

Die Motive aus Drama, verbotener Liebe und Leidenschaft, die bis in den Tod geht, machen »Romeo und Julia« bis heute zu einer der populärsten Liebesgeschichten weltweit. Die Hass-Problematik findet in jedem Zeitalter Parallelen und schlägt sich auch zu Shakespeares Zeiten, zum Beispiel in dem Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, nieder (Holzberger, S.42).

Öffentlicher und privater Raum

Öffentliches und Privates sind zwei Pole, welche die Handlungsstränge immer wieder beeinflussen und in verschiedenen Formen an den Charakteren ziehen. Die Familienfehde, die ursprünglich aus persönlichen Unstimmigkeiten entstanden ist, wird inzwischen von Bediensteten und Bürgern auf offener Straße ausgetragen. Den Gegensatz dazu bilden die Gefühle und intimen Empfindungen der Hauptfiguren, die nur hinter schützenden Mauern gestanden werden dürfen. 

Während zuerst die persönliche Feindschaft das öffentliche Leben gefährdet, bedroht nun das Öffentliche die persönlichen Wünsche der Liebenden (Neubauer & Böck, 43). Das ist zum einen der ausgetragene Hass, der Romeo und Julias Liebe von Anfang an unmöglich erscheinen lässt. Dies zeigt sich besonders durch die Provokation Tybalts, wodurch Romeo zum Mörder wird und der Höhe- und Wendepunkt im Drama gesetzt wird. 

Des Weiteren wird Julia Opfer gesellschaftlicher Zwänge. Mit Paris als Schwiegersohn erhofft sich Graf Capulet die Wahrung, wenn nicht sogar die Erhöhung seines gesellschaftlichen Standes sowie die Sicherung eines Erben. Dies widerspricht jedoch Julias Vorstellungen. Als sie diese äußert, wird sie sofort in die Schranken gewiesen. Nur in Pater Lorenzos Kammer kann sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen und auf Hilfe hoffen: »O schließ die Tür, und wenn du das getan, Komm, wein mit mir; Trost, Hoffnung, Hilf’ ist hin« (100).

Obwohl Romeo und Julia immer wieder versuchen, sich aus den ihnen auferlegten Zwängen zu befreien, bleibt ihnen nur der Selbstmord, um ihre Liebe zu retten und im Tod vereint zu sein. Ihr Tod erfährt mit der darauffolgenden Friedensschließung ihrer Väter einen tieferen Sinn. Dies bewirkt, dass die Ordnung im öffentlichen Raum wiederhergestellt wird (Neubauer & Böck, 43). Die private Trauer und Erschütterung über das tragische Ende des Liebespaares bleiben jedoch bestehen. 

Schuld und Zufall

Während das tragische Ende der Protagonisten in den meisten Tragödien durch eine direkte Schuldzuschreibung herbeigerufen wird, ist diese im Falle von Romeo und Julia als Liebespaar nicht wirklich nachvollziehbar. Vielmehr scheint das Schicksal verantwortlich für deren Ausgang zu sein (Holzberger, 45). Schließlich wird bereits im einführenden Prolog mit: »Aus beider Feinde unheilvollem Schoß/ Entspringt ein Liebespaar, unsternbedroht,« (7) darauf hingewiesen, dass ihre Liebe unter einem ungünstigen Stern steht.

Vollkommen frei von Schuld sind die teilhabenden Figuren allerdings nicht. Romeo will bei der Konfrontation mit Tybalt zwar zuerst Milde walten lassen, ist aber über Mercutios Tod bestürzt und von Tybalt provoziert. Er wird zu Tybalts Mörder und ist somit eindeutig Schuld an dessen Tod, was zu seiner Verbannung aus Verona führt. Pater Lorenzo macht sich mit seinem Eingreifen und dem riskanten Plan, Julias Scheintod vorzutäuschen, ebenfalls zum Mittäter. Nicht zu unterschätzen sind die Grafen Montague und Capulet, die scheinbar unbegründet die Feindschaft aufrechterhalten wollen und somit von Anfang an einen Keil zwischen die Liebenden treiben.

Doch allein diese Motive führen nicht zwangsläufig zur Katastrophe. Sei es Schicksal oder durch Zufall, dieses hat einen unübersehbaren Einfluss auf das Handlungsgeschehen. Allein die Begegnung Romeo und Julias fand nur statt, da Romeo zufällig auf den Diener der Capulets traf, auf dessen Einladung er Rosalindes Namen fand. Romeo wurde außerdem erst zum Mörder, nachdem Mercutio sich in den Streit einmischte, dessen Einschreiten er eigentlich verhindern wollte. 

Den wohl größten unglücklichen Zufall bildet der Ausbruch der Seuche, welche Bruder Marcus daran hindert, die Nachricht an Romeo weiterzuleiten. Auch das Timing bei der Entscheidung zum Selbstmord hätte nicht misslicher sein können. Wäre Julia einen Moment früher aufgewacht oder Lorenzo eher in der Gruft eingetroffen, hätten sie Romeo daran hindern können, das Gift einzunehmen. Die engmaschigen Verstrickungen sind jedoch bewusst gewählt und erzeugen eine Spannung um die Frage, ob die Figuren sich trotz der Weisung des Schicksals aus diesem befreien können. Nicht zuletzt sehen Romeo und Julia ihren Tod immer wieder voraus und geben dadurch die klare Richtung ihres Endes an.

Veröffentlicht am 7. Februar 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Februar 2023.