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Der Schimmelreiter

Binnenhandlung – 3. Teil: Jugend von Hauke Hauke Haien – Als Kleinknecht beim Deichgrafen (S. 22-55)

Zusammenfassung

Bei seinen Ausflügen auf den Deich und bei Ebbe in die Wattlandschaft, geht Hauke auch mit Kieselsteinen auf Jagd nach Strandläufern und anderen Wattvögeln. Dabei kommt er auch immer am kleinen Häuschen der alten Trien’ Jans vorbei, die allein und nur mit einem riesigen weißen Angorakater als Gesellschaft in einer kleinen Hütte draußen auf dem Deich lebt.

Eines Tages fängt er dabei einen ihm unbekannten großen bunten Vogel. Als ihm dieser auf dem Rückweg von dem großen Angorakater entrissen wird, erwürgt er diesen in einem Wutanfall mit bloßen Händen. Der Angorakater war das Ein und Alles der alten Frau. Da es das letzte Geschenk ihres im Meer verunglückten Sohnes war, das ihr dieser von einer spanischen Seereise mitgebracht hatte, verflucht Trien’ Jans Hauke beim Anblick ihres geliebten toten Katers. Hauke Haien reagiert unbeeindruckt und entschuldigt sich nicht für sein grausames und rücksichtsloses Verhalten.

Trien’ Jans bringt den toten Kater zu Haukes Vater und beschwert sich bei ihm über die Tötung ihres Tieres. Haukes Vater gibt ihr daraufhin Geld, mit dem sie sich ein Lammfell für ihre kalten Füße kaufen solle, die ihr bisher immer der große Kater gewärmt hatte, und sagt ihr eine neue Katze für das Frühjahr zu.
Dieses Ereignis ist für den Vater auch der Anlass, seinen Sohn dazu aufzufordern, auszuziehen und sich eine Lehrstelle zu suchen. Dies soll auch dazu dienen, dass Hauke seine Energie und seine Aggressionen an einer richtigen Arbeit auslassen kann, statt sie gegen andere zu richten.

Hauke schlägt schließlich vor, sich als Kleinknecht beim Deichgrafen zu bewerben, dessen Stelle gerade freigeworden sei. Der Vater hält nicht viel vom aktuellen Deichgrafen, für ihn ist er »dumm wie ‘ne Saatgans« (26) und hat das Amt des Deichgrafen nur als Erbe seines Vaters und Großvaters erhalten, ohne die Hilfe des Schumeisters könnte er die dabei nötigen Berechnungen gar nicht bewältigen. Bereits jetzt erwähnt Hauke, dass die Tochter des Deichgrafen, Elke, im Gegensatz zu ihrem Vater sehr wohl rechnen könne (ebd.). Trotzdem er sie persönlich noch nicht kennt, weckt sie doch schon sein Interesse.

Hauke erhält die Stelle als Kleinknecht beim Deichgrafen und beweist bald sein Talent nicht nur bei der harten Stallarbeit, sondern auch bei allen anfallenden Abrechnungen und anderen administrativen Tätigkeiten. So wird er für den seine Arbeit eher vernachlässigenden Deichgraf bald zu einer großen und unersetzlichen Unterstützung. Dies verbindet ihn auch von Beginn an mit Elke, der Tochter des Deichgrafen, die ebenfalls ein großes mathematisches Talent hat und zu der er sich von Beginn an hingezogen fühlt.

Gerade diese bevorzugte Behandlung durch den Deichgrafen und seine intellektuelle Überlegenheit ist es auch, die ihn von Beginn an in Rivalität zum Großknecht Ole Peters bringt, der ihm ein lebenslanger Widersacher wird. So versucht er, ihm immer die schwersten Arbeiten aufzuladen und sieht auch die sich anbahnende Nähe zu Elke mit Missgunst und Eifersucht. So verbringen Hauke und Elke manchen Winterabend gemeinsam mit dem Deichgrafen in der Stube; während Hauke ihm bei den Berechnungen hilft, strickt Elke an Strümpfen mit Vogelmuster, wie sie es von der alten Trien` Jans, der ehemaligen Dienstmagd ihres Großvaters, gelernt hat. Hauke hört bei dieser Gelegenheit auch, dass die Entenzucht der alten Frau nicht mehr gedeiht, seit er ihren Angorakater erschlagen hat, da nun die Ratten überhandnehmen.

Durch die Hilfe Haukes, sein Wissen über Deiche und die nötigen Maßnahmen zu ihrem Schutz, aber auch seine Kenntnisse über Verfehlungen der Dorfgemeinschaft beim Deichschutz, kommt neuer Schwung in die lange vernachlässigte Verwaltung des Deichgrafen. Da sich durch die Verbreitungen von Ole Peters bald herumspricht, woher dieser neue Wind weht, beginnen der Widerwillen und die Abneigung gegen Hauke Haien in der dörflichen Gesellschaft schon ab diesem Zeitpunkt zu wachsen. Der Deichgraf jedoch erhält viel Lob vom Oberdeichgraf für seine veränderte Amtsführung und all die Vorschläge und Verbesserungen, die eigentlich von Hauke stammen.

Im Januar seines dritten Dienstjahres steht das Winterfest, genannt »Eisboseln« (39) an, bei dem die Dörfer der Marsch gegen die Dörfer der Geest antreten. Obwohl Ole Peters noch versucht zu verhindern, dass Hauke überhaupt teilnehmen kann, wird er von dem alten Deich-Bevollmächtigten und Paten von Elke, Jewe Manners, auf die Liste der Spieler gesetzt. Beim Spiel kommt ihm seine Erfahrung in »Mathematik und Wurfkunst« (45) zugute, die er seit frühester Jugend trainiert hatte. Nachdem der erste Wurf noch danebenging, findet Hauke schließlich Sicherheit und so kann er das Spiel gewinnen. Obwohl er gegenüber Ole Peters noch sagt, er spiele für die Marsch (vgl. ebd.), erkennt dieser, dass Hauke eigentlich für Elke spielt. Elke nimmt Hauke gegen die Zudringlichkeiten von Ole Peters in Schutz und unterstützt ihn offen. Nach dem Sieg beim Eisboseln kommen Hauke und Elke einander näher, dennoch lässt Hauke Elke alleine zum Fest im Wirtshaus »Kirchspielskrug« gehen und tanzt mit ihr dort auch nicht, als er schließlich später dazukommt. Für ihn kann der Tag nicht schöner ausgehen, als er es schon getan hat (vgl. 49). Und schließlich gehen Hauke und Elke Hand in Hand nach Hause zum Hof des Deichgrafen zurück.

Hauke kauft bereits kurz nach dem Winterfest einen goldenen Ring für Elke, behält diesen aber für sich und wartet lange Zeit auf eine passende Gelegenheit. Er ist sich bewusst, dass die Standesunterschiede zwischen ihm, dem Sohn eines Kleinbauern und jetzigen Kleinknecht, und der Tochter seines Dienstherren, dem Deichgrafen, zu groß sind. Nachdem Ole Peters seine Stelle als Großknecht für seine Heirat mit Vollina Harders aufgegeben hat, rückt Hauke nach und wird, zunächst gegen den Widerstand des Deichgrafen, Großknecht. Dieser hatte ihn als Helfer bei den Verwaltungsgeschäften und Berechnungen nicht verlieren wollen.

Als es Haukes Vater gesundheitlich immer schlechter geht und er seine Arbeit auf seinem Hof alleine nicht mehr bewältigen kann, gibt Hauke seine Stellung als Großknecht im Hause des Deichgrafen auf und kehrt nach Hause zurück. Es fällt ihm schwer, seine hart erkämpfte Stellung aufzugeben und das Haus zu verlassen, in dem er täglich in Elkes Nähe war. Vor dem nur einige Monate später sich ereignenden Tod seines Vaters eröffnet ihm dieser, dass er durch Sparsamkeit und das Erbe eines Stück Landes das Erbe Haukes um einiges vergrößert habe. Zu seinem eigenen Hof hat er auch die Fenne (Weide) von Antje Wohlers als Leibrente mit dazu erworben. Damit hat er einen ersten Grundstein für die Realisierung des Traumes von Hauke gelegt, eines Tages selbst Deichgraf zu werden, denn die eigenen Ländereien reichten dafür bisher nicht aus.

Nach dem Tod von Haukes Vater kommt Elke zu ihm, um ihm dabei zu helfen, Ordnung zu schaffen und es ihm »wieder ein wenig lebig [zu] machen« (54). Auch in seiner neuen Rolle als selbstständiger Kleinbauer bleibt Hauke dem Haus des Deichgrafen verbunden und hilft dem zunehmend alternden und schwächer werdenden Deichgraf auch weiterhin bei den Abrechnungen und sonstigen Verwaltungsaufgaben für die anstehende Herbstschau der Deiche.

In der nächsten Erzählpause des Schulmeisters wird dem Deichgraf und den anderen Bevollmächtigten im Wirtshaus von den Kundschaftern draußen auf dem Deich gemeldet, dass sich der Schimmelreiter in die Bruchstelle des Deiches, dort, wo der Hauke-Haien-Koog beginnt, gestürzt hat. Daraufhin brechen alle Anwesenden auf, um zu überprüfen, »wo das Unheil hinwill« (56). Der Schulmeister beruhigt den Reisenden und versichert ihm, dass sie trotz des Unwetters nichts zu fürchten hätten und lädt ihn ein, den weiteren Fortgang der Geschichte in seinem Zimmer zu hören, da er im Wirtshaus wohne. Am warmen Ofen, bei einem Gläschen Grog und mit dunklen Wollteppichen verhangenen Fenstern setzt der Schulmeister die Geschichte Hauke Haiens fort.

Analyse

Die Tötung des großen weißen Angorakaters der alten Trien’ Jans ist eines der bedeutendsten Ereignisse in Haukes Jugendzeit. In seiner Wirkung kann es als eine Art Initiation ins Erwachsenenleben bezeichnet werden.
Wie schon die Jagd auf die kleinen Vögel wie beispielsweise Strandläufer zeigt es eine grausame und brutale Seite von Hauke, wie er den großen Kater mit bloßen Händen erwürgt, als dieser ihm die Beute eines Eisvogels streitig macht.
An dem Tier demonstriert er seine Stärke und Überlegenheit. Der Jähzorn und die Wut, die dabei in ihm aufsteigen, bekommen zu anderen, späteren Gelegenheiten seine Mitmenschen, beispielsweise seine Dienstboten oder die Deicharbeiter zu spüren. »Ein Grimm, wie gleichfalls eines Raubtieres, flog dem jungen Menschen ins Blut; er griff wie rasend um sich« (23). Die Rücksichtslosigkeit der Tat wiegt um so schwerer, da er weiß, was der Kater der alten, alleinstehenden Trien’ bedeutet, für die er das letzte Andenken an ihren im Meer ertrunkenen Sohn ist.

Auch die Folgen der Tat sind für Hauke einschneidend. Zum einen reagiert Trien’ Jans in ihrer Trauer sehr heftig und verflucht Hauke. Jahre später sieht sie ihren Fluch in Erfüllung gegangen, indem sie die geistige Behinderung der Tochter Wienke als Strafe Gottes für Hauke deutet (vgl. 107). So ist die Tötung des Katers auch die erste Schuld, die Hauke auf sich lädt.

Auch die äußeren Auswirkungen auf sein Leben sind einschneidend, denn nachdem Trien’ sich bei Haukes Vater über die Tat des Sohnes beschwert hat, erkennt dieser, dass es Zeit für Hauke ist, sein Elternhaus zu verlassen und seinen eigenen Weg in die Welt zu gehen. Daher wirkt sich die Tötung des Katers auf Hauke wie eine Initiation ins Erwachsenenleben aus (vgl. Ehlers, S. 25).

Bedeutsam sind auch die Worte, mit denen Trien’ ihren Verlust bei Haukes Vater beklagt: »›Kein Kind, kein Lebigs mehr!‹« (25) Zum einen fällt hier wieder die sprachliche Besonderheit auf, da diese Form des Wortes ›Lebendiges‹ eigentlich im 19. Jahrhundert in Norddeutschland nicht gebräuchlich und eher in Süddeutschland oder der Schweiz üblich war. Es handelt sich um eine der »dialektale[n] Abweichungen« (Kuhn, S. 185), die dem Text sein Kolorit und seine besondere Atmosphäre verleihen. Zum anderen wiederholt sich diese Szene, in der etwas Lebendiges geopfert werden soll, in der Auseinandersetzung mit den Deicharbeitern, die zur rituellen Besänftigung der Natur etwas »Lebiges« in den Deich einbauen wollen (vgl. 101). Damit handelt es sich um eines der Schlüsselworte der Novelle (vgl. Kuhn, S. 185).

Die Tatsache, dass Hauke einsieht, dass es nun an der Zeit ist, weiterzugehen und sich eine eigene Arbeit zu suchen – »›man wird grimmig in sich, wenn man’s nicht an einem ordentlichen Stück Arbeit auslassen kann‹« (27) –, zeigt seine Fähigkeit zur Selbstreflexion. Auch später spürt er manchmal ein schlechtes Gewissen, dass er Trien’ den Kater genommen hat. Die selbstbewusste Antwort, die er dem Vater auf dessen Frage gibt, ob er sich denn die Tätigkeit als Kleinknecht beim Deichgrafen zutraue, verweist wieder auf seinen Ehrgeiz und den unbedingten Willen zum sozialen Aufstieg, die Hauke eigen sind. Beides verwandelt sich später oft in Hochmut und Überheblichkeit seinen Mitmenschen gegenüber.

Seine Zeit als Kleinknecht beim alten Deichgrafen wird für Hauke ein entscheidender Schritt auf seinem Lebensweg. Von Anfang an wird der Gegensatz zwischen ihm und dem alten Deichgraf sichtbar; während Hauke hager und schlaksig ist und sich auch später im Leben nichts aus guten Mahlzeiten oder sonstigen Annehmlichkeiten macht, sondern asketisch lebt und ganz in seiner Arbeit aufgeht, ist der alte Deichgraf dem guten und geruhsamen Leben mit fettem Entenbraten als Leibspeise zugetan und verfügt auch laut Haukes Vater gar nicht über die intellektuelle Kompetenz, um das Amt des Deichgrafen alleine zu bewältigen.

Der Deichgraf ist sich dessen auch selbst bewusst und weiß Haukes Talente und sein Wissen für seine Zwecke einzusetzen. So hilft ihm Hauke nicht nur bei allen notwendigen Berechnungen und Verwaltungsausgaben, er gibt auch alle Informationen über Verstöße und schädliche Verhaltensweisen der Dorfbewohner am Deich weiter, die er im Laufe der vielen Stunden, die er dort verbracht hat, beobachtet hat. Hierin zeigt sich nicht nur sein großer Ehrgeiz, die Chance der Tätigkeit auf dem Hof des Deichgrafen für seine eigene Karriere zu nutzen und gleichzeitig die Situation der Deiche zu verbessern. Offenkundig wird hier seine hochmütig auf seine Mitmenschen herabschauende Wesensart, die von diesen auch wahrgenommen wird, vor allem von jenen, die vom nun »lebhafteren Geschäftsgang in [der] Verwaltung« (37) direkt betroffen sind und die »jetzt unerwartet ihre frevlen oder faulen Finger geklopft fühlten« (37).
So widerspricht der Deichgraf bei der nächsten Besichtigung durch den Oberdeichgraf im Herbst auch nicht dessen Lob für all seine eingereichten Vorschläge und Verbesserungen und erwähnt Haukes Mithilfe mit keinem Wort; ja, er sieht sich sogar vorher noch in der Stube um, ob nicht etwa Hauke in der Nähe sei (vgl. 38).

Während seiner Zeit als Kleinknecht macht Hauke die Bekanntschaft mit zwei weiteren wichtigen Personen, die seinen Lebensweg entscheidend prägen werden; dies sind der beim Deichgrafen als Großknecht tätige Ole Peters sowie die Tochter des Deichgrafen und spätere Frau Haukes, Elke.
Die Rivalität von Hauke und Ole wird sehr schnell offenbar, auch Oles Abneigung gegen Hauke: Er spürt gleich die geistige Überlegenheit Haukes und fürchtet um seine Stellung im Haus, da er dessen bevorzugte Rolle beim Deichgrafen wahrnimmt: »›Hol der Teufel den verfluchten Schreiberknecht!‹« (33) Auch beginnt hier schon die Tendenz Oles, die Dorfgemeinschaft noch weiter gegen Hauke aufzubringen, indem er dessen Meldungen von Verstößen beim Deichgraf im Dorf publik macht. Diese Rolle wird er in Haukes ganzem weiteren Leben einnehmen und sie wird sich mit ihrer beider späterer gesellschaftlicher Stellung noch verstärken.

Die wichtigste Begegnung während seiner Zeit als Kleinknecht ist die mit Elke. Bereits bevor er sie dort tatsächlich kennenlernt, sagt er seinem Vater gegenüber über den Deichgraf: »›Dumm ist er wohl; aber seine Tochter Elke, die kann rechnen!‹« (27) Damit ist bereits das die beiden am deutlichsten verbindende Detail ausgesprochen; auch sie ist ein rationaler Charakter, der die Sphäre des Aberglaubens ablehnt. Durch ihre Klugheit und ihr ebenfalls herausragendes mathematisches Talent ist Elke die Person, mit der Hauke am engsten verbunden ist; »sie ist in manchem ihrem [späteren] Mann ebenbürtig und erweist sich in vielen Lebenslagen als umsichtig, klug und energisch« (Hildebrandt, S. 74). Elke erkennt Haukes Qualitäten und seine Bedeutung für ihren Vater und sein Amt sogleich und sagt ihm nach dem eigentlich für ihn bestimmten Lob des Oberdeichgrafen: »›Ich kann ja auch nur rechnen; du aber siehst draußen Alles, was der Deichgraf doch wohl selber sehen sollte; du hast mich ausgestochen!‹« (38/39)

Ein weiteres wichtiges Detail der frühen Verbindung von Elke und Hauke ist das »Vogelstricken« (34), das sie an langen Abenden in der Wohnstube ausführt, während Hauke in die Berechnungen des Deichgrafen vertieft und dieser selbst eingeschlafen ist. Diese Handarbeit »verweist im Text [...] auf das mündliche Erzählen, das in den Spinnstuben die orale Tradition der Literatur sicherte« (Kuhn, S. 187). Da Elke diese Kunst von der alten Trien´Jans gelernt hat, zeigt sich auch hier der Einfluss von deren naturmagischem, weiblichem Weltbild, das Haukes Rationalität so entgegensteht (vgl. Kuhn, S. 188).

Das Winterfest »Eisboseln« (39) ist ein weiterer wichtiger Schritt auf Haukes Lebensweg, diesmal als Initiation in die Dorfgemeinschaft. Nachdem Ole Peters auch hier zunächst versucht hat, ihn und sein Ansehen zu sabotieren, wird klar, dass für seine Aufnahme zum Spiel schließlich nicht nur ausschlaggebend ist, dass sein Vater Land und Vieh hat, sondern auch, dass bekannt ist, dass eigentlich er schon jetzt der wahre Deichgraf des Dorfes ist (vgl. 41/42). Während des Winterfestes kommt es auch zu einer Versöhnung mit Trien’ Jans: »›Komm‹, sagte sie, ›wir wollen uns vertragen: das heute ist besser, als da du mir die Katze totschlugst!‹« (45) Obwohl sie eine zu Hauke so entgegengesetzte Figur ist, bleibt sie doch für seinen weiteren Lebensweg entscheidend.
Hauke, der das Spiel schließlich für das Marschdorf gewinnt, nutzt jedoch diesen Sieg nicht zu seiner besseren Integration in die Dorfgemeinschaft; er hält sich auch danach abseits und feiert nicht ausgelassen mit den anderen im Wirtshaus. Für ihn ist dieser Tag und sein Sieg vor allem in seiner Beziehung zu Elke wichtig. Sie schützt ihn vor seinem letzten Wurf vor dem zudringlichen Ole Peters und ermöglicht so seinen Sieg und nimmt danach das erste Mal seine Hand: »Erst als er fühlte, daß sich die kleine Hand fest an die seine schloß, sagte er: ›Ihr mögt schon recht haben; ich glaube auch, ich hab gewonnen!‹« (47) Und so meint er, an diesem Tag etwas Besseres gewonnen zu haben, als nur das Eisboseln (vgl. ebd.). »Ein leichter Ostwind« (50) weht schließlich, als die beiden nach dem Fest Hand in Hand den Heimweg antreten; dieser steht symbolisch im Gegensatz zu dem Unheil und Sturmflut bringenden Nordwestwind (vgl. Kuhn, S. 190).
Die sozialen Unterschiede zwischen beiden verhindern jedoch eine Verlobung zum jetzigen Zeitpunkt und so kauft Hauke zwar einen goldenen Ring, bewahrt ihn dann aber jahrelang in der Westentasche auf. Daran ändert auch Haukes Beförderung zum Großknecht nach Ole Peters Weggang nichts.

Hauke muss schließlich das Haus des Deichgrafen wieder verlassen, da sein Vater inzwischen alt und krank geworden ist und seiner Hilfe bedarf. Die Tatsache, dass er seinen mühsam errungenen Posten und damit auch die bevorzugte Stellung beim Deichgrafen aufgibt, um sich um seinen Vater zu kümmern, zeigt einen anderen Wesenszug Haukes, als den des ehrgeizigen Aufsteigers, der nur seine Karriere im Sinn hat. Dieser Wesenszug schließt sich an andere Ereignisse an, die allesamt eine mitfühlende, gefühlvolle Seite Haukes zeigen; so seine Rettung des Schimmels aus schlechter Behandlung, die Rettung des Hundes, der als Deichopfer sterben sollte und die große Liebe und Fürsorge für seine geistig behinderte Tochter Wienke und für seine Familie insgesamt.

Der Abschied von Elke und aus diesem Lebensabschnitt findet unter dem sehr symbolträchtigen Ort unter der Esche vor dem Haus des Deichgrafen statt, an dem sich viele entscheidende Situationen der Deichgrafenfamilie abspielen (vgl. Kuhn, S. 186). Schon bei seinem ersten Besuch auf dem Hof war ihm die »gewaltige Esche, schon von weitem sichtbar« (28), der höchste Baum im Dorf, aufgefallen. Es fallen hier Anklänge an den mythologischen Topos vom Weltenbaum Yggdrasil auf, einem wichtigen Bestandteil der germanischen Mythologie: »Sie verbindet das Luft- mit dem Erdreich und ist integrales Mal des Deichgrafengeschlechts. [...] Der Baum verbürgt die Zeit übergreifende elementare Kontinuität, artikuliert aber auch die ständige Bedrohung» (Kuhn, S. 186). Nach dem Abschied von Hauke und Elke unter der Esche fährt ein Windstoß durch den Baum, lässt die Blätter rauschen und die Läden klappern (vgl. 52); dies ist eine weitere Vorausdeutung auf die Gefahr, die sich in der Nacht der Sturmflut dann bewahrheiten wird. Auch in dieser Nacht findet der endgültige Abschied von Elke und Hauke wieder unter der Esche statt.

Haukes Vater beweist in den Tagen vor seinem Tod, als er dem Sohn sein Erbe offenbart, dass er doch immer an den Sohn geglaubt und ihn unterstützt hat, auch wenn er ihn früher von seinem Studium und den ehrgeizigen Zukunftsplänen abbringen wollte und sie nicht ernstgenommen hat. Nun gesteht er ihm, dass er ihn damit „angesteckt« habe und er schließlich auch zu der Überzeugung gekommen sei, dass Hauke dafür »der rechte Mann« (53) sei. Mit seinem Erbe, für das er selbst sehr sparsam leben musste, »wird Hauke selbstständig und Inhaber eines kleinen Besitzes. Mit dieser neuen sozialen Rolle ist die zweite Entwicklungsphase von Hauke abgeschlossen» (Ehlers, S. 13). Hauke steht nun als Erwachsener am Beginn seines eigenen, selbst aufzubauenden Lebens, Elke ist auch hier an seiner Seite.

Die folgende, dritte Erzählunterbrechung durch den Schulmeister ist die längste und erfolgt vor dem Erzählabschnitt der Binnenhandlung, die den Höhepunkt der Novelle und in Haukes Leben markiert; die Ernennung zum Deichgrafen. Die Meldung der Deichwachen, die sie auslöst, markiert eine weitere Beglaubigung der Schimmelreitersage; auch sie haben gesehen, wie er sich in den Bruch gestützt hat (vgl. 55). Im Gegensatz zum Schulmeister und zu dem zumindest an seinen Sinnen zweifelnden Reisenden glauben die anderen Anwesenden an die Existenz des Deichgespenstes und vor allem an seine Aufgabe, vor drohendem Unheil am Deich zu warnen. Der Schulmeister äußert sich nicht zum erneuten Auftauchen der Spukgestalt, er beruhigt den Reisenden nur, da er das Wetter am Deich gut kenne und für sie nichts zu fürchten sei (vgl. 56). »Es bleibt erneut [...] offen, was wirklich und unwirklich ist, was faktische Realität oder Aberglaube ist« (Ehlers, S. 44). Bezeichnenderweise sind die Fenster in der Bibliothek des Schulmeisters, in der die Geschichte fortgesetzt wird, »mit dunklen Wollteppichen verhangen« (56): »Das verhangene Fenster markiert eine Abgrenzung zum Außenraum und dem Gespenstischen dort, [...] und eine Konzentration auf die Erzählsituation im Inneren« (Ehlers, S. 44).

Veröffentlicht am 30. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 30. Dezember 2023.