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Der Schimmelreiter

Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
1888
Originalsprache
Deutsch
Literarische Epoche oder Strömung

Über das Werk

Die im April 1888 erschienene Novelle »Der Schimmelreiter« von Theodor Storm ist sein letztes, umfangreichstes und bis heute bekanntestes Werk. Der Autor begann mit den Vorarbeiten zu der Novelle schon 1885 und konnte sie, auch aufgrund seiner schweren Krankheit, erst im Februar 1888, wenige Monate vor seinem Tod am 4. Juli 1888 abschließen. Die erste Publikation fand im April und Mai 1888 in der Zeitschrift »Deutsche Rundschau«, Band 55, statt. Die Buchausgabe im Herbst 1888 erlebte Theodor Storm nicht mehr.

Die Novelle basiert auf einem alten Sagenstoff, den Storm bereits seit seiner Jugendzeit kannte und der ihn sein ganzes Leben lang beschäftigte, dessen genaue Quelle er jedoch nicht mehr finden konnte. Sie wurde erst 1949 von Karl Hoppe wiederentdeckt. Es handelt sich um die Erzählung »Der gespenstige Reiter. Ein Reiseabenteuer«, erschienen am 14. April 1838 in der Monatszeitschrift »Danziger Dampfboot«. Storm las sie in der Sammlung »Lesefrüchte vom Felde der neuesten Literatur des In- und Auslandes« (1838) (vgl. Ehlers, S. 53). 1885 schrieb Storm dann in einem Brief an den Literaturhistoriker Erich Schmidt: »Jetzt aber rührt sich ein alter mächtiger Deichsagenstoff in mir« (Hildebrandt, S. 22).

Im Mittelpunkt dieser Sage, die eigentlich gar nicht in Norddeutschland, sondern an der Weichsel spielt, steht ein gespenstischer Reiter, der durch einen selbst verursachten Deichbruch Schuld auf sich geladen hat und sich daraufhin in die Fluten stürzt. Als Wiedergänger warnt er seither vor drohenden Sturmfluten und Schäden am Deich. Diese Motive sowie die Rahmenstruktur, in der ein Reisender von seiner Begegnung mit diesem Reiter erzählt und daraufhin in einem Wirtshaus die Legende vom Schimmelreiter hört, hat Storm aus dem alten Sagenstoff übernommen. Dazu hat Storm umfangreiche Quellenstudien und Recherchen durchgeführt, beispielsweise zur Landschaft und regionalen Chroniken Nordfrieslands, zur Technik des Deichbaus, zur Landgewinnung und Landsicherung vor Sturmfluten. Auch daher ist die Entstehungszeit der Novelle so lang.

»Der Schimmelreiter« gehört zur Spätphase des Werkes von Theodor Storm, das in den 1870er und 1880er Jahren in Husum und Hademarschen entstand und bildet seinen Höhepunkt. Storms Schaffen wird in dieser Phase »von einer stärkeren Hinwendung zur Erforschung der Grundbedingungen menschlicher Existenz [...] bestimmt« (Hildebrandt, S. 25). Es lässt sich in die literaturgeschichtliche Epoche des späten Poetischen Realismus einordnen und setzt sich mit einer technikgläubigen, durchrationalisierten Welt auseinander, deren Fragilität durch den Einbruch des Phantastischen und Unheimlichen offenbar wird. Zwar weist »Der Schimmelreiter« die gattungstypischen Muster der Novelle auf, steht aber aufgrund des Umfangs und der Vielschichtigkeit von Motivik und Konflikten bereits an der Schwelle zum Roman.

Bereits nach Erscheinen erhielt Storm viel positive Kritik zu seinem Werk, unter anderem vom Schriftsteller Paul Heyse und dem Literaturhistoriker Erich Schmidt (vgl. Ehlers, S. 114). Schon um 1900 war »Der Schimmelreiter« eine der beliebtesten und meistgelesenen Novellen Storms und gehört bis heute zu den Klassikern im Deutschunterricht. Seine Deutung wie auch die Bewertung Theodor Storms insgesamt war im Laufe der Zeit großen Veränderungen und auch Vereinnahmungen ausgesetzt. Die Novelle war Stoff für mehrere Verfilmungen, Vertonungen in Hörfunk und Lied und für Bühnenadaptionen.

Im Mittelpunkt der Novelle steht die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Deichgrafen Hauke Haien. Sie spielt in den Jahren vor und nach 1750 in Nordfriesland, ohne dass konkrete Ortsnamen genannt werden, und endet mit dem Tod Hauke Haiens, seiner Frau und seines Kindes in einer verheerenden Sturmflut vor Allerheiligen 1756. Berichtet wird von der Jugend Hauke Haiens, der sich schon früh durch ein ausgeprägtes mathematisches Talent und seinen Ehrgeiz, bis zum Deichgraf aufsteigen zu wollen, auszeichnet. Höhepunkt seines Lebensweges ist die Konstruktion eines technisch modernen Deiches mit einem abgeflachten Profil, der die unberechenbaren, zerstörerischen Kräfte der Natur bezähmen soll. Am Schluss jedoch scheitert Hauke Haien und lädt große Schuld auf sich, durch die er sich in einer Flutkatastrophe, bei der der alte Deich bricht und seine Familie umkommt, selbst in die Fluten stürzt. Nach seinem Tod erscheint er als Deichgespenst und warnt vor drohendem Unheil am Deich.

Eingebettet ist die Geschichte in einen doppelten Erzählrahmen, in dem sich ein Ich-Erzähler in den 1880er Jahren an eine vor über 50 Jahren gelesene Geschichte eines Reisenden erinnert. Dieser erzählt im zweiten Erzählrahmen, der in den 1820er Jahren spielt, von seiner unheimlichen Begegnung mit einem Reiter auf einem Deich in Nordfriesland in einer Sturmnacht. Anschließend erfährt er in einem Wirtshaus von einem alten Schulmeister die Legende vom Schimmelreiter.

Veröffentlicht am 5. Februar 2012. Zuletzt aktualisiert am 30. Dezember 2023.

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