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Der Schimmelreiter

Innere Rahmenhandlung (S. 134-136)

Zusammenfassung

Damit beendet der Schulmeister seine Erzählung der Lebensgeschichte Hauke Haiens. Er weist darauf hin, dass die Wirtschafterin diese Geschichte anders erzählt hätte. Und ergänzt auch noch die merkwürdigen Vorkommnisse nach dem Tod Hauke Haiens und seines Schimmels. Nach der Flut ist das Pferdeskelett nachts wieder auf der Jevershallig zu sehen.

Von der Familie Haien gibt es kein Grab, da das Meer sie verschlungen hat. Der Hauke-Haiendeich jedoch steht auch nach hundert Jahren noch, doch der Dank, den Jewe Manners dem Deichgrafen einst dafür prophezeit hat, ist nicht eingetreten. Stattdessen wurde der ehemalige Deichgraf zum »Spuk und Nachtgespenst« (135) gemacht.

Nach Ende der Erzählung hat sich der Sturm vor dem Fenster beruhigt. Der vom Deich zurückkehrende Deichgraf bezeichnet den Schulmeister als »Aufklärer« (136) und distanziert sich damit von ihm und seiner Sicht der Dinge, aus der er die Geschichte von Hauke Haien erzählt hat. Denn tatsächlich ist in der Nacht, wie von ihm nach Erscheinen des Deichgespenstes vorgesagt, der Deich auf der anderen Seite gebrochen.

Am nächsten Morgen reitet der unbekannte Reisende weiter der Stadt zu, über den auch in dieser Sturmflut unbeschädigt gebliebenen Hauke-Haien-Reich.

Analyse

In seinen abschließenden Worten nach dem Ende der Binnenhandlung betont der Schulmeister noch einmal, dass die Geschichte, wie er sie, »nach bestem Wissen« (135) und auf Basis der Fakten erzählt hat, nichts gemein hat mit der Version, wie sie die abergläubische Wirtschafterin wiedergegeben hätte; eine gesicherte Authentizität kann es nicht geben, sie relativiert sich mit dem jeweiligen Erzählerstandpunkt. Die Frage nach Realität und Irrealität der Ereignisse bleibt auch zum Schluss der Novelle in der Schwebe. Dennoch lässt der Schulmeister, der vom Deichgraf als »Aufklärer[ ]« (136) bezeichnet wird, auch das Phantastische gelten, in dem er dem Reisenden noch von den weiteren unheimlichen Ereignissen nach Haukes Untergang berichtet. Mit dem Verweis auf den Hauke-Haiendeich, mit dem, was von dieser sagenhaften Gestalt auch »jetzt nach hundert Jahren« (135) noch geblieben ist, verweist er auf das faktisch Reale. Und er macht den Menschen den Vorwurf, erst sie hätten Hauke Haien, nur weil er »uns um Kopfes Länge überwachsen war«, zum »Spuk und Nachtgespenst« (ebd.) gemacht.

Nach dem Ende der Geschichte zieht der Schulmeister die Wolldecke vom Fenster; damit ist der Raum des Irrealen und Phantastischen beendet und der Blick auf die Realität wieder freigegeben; er »führt seinen Zuhörer aus der Erzählfunktion in die Gegenwart zurück« (Ehlers, S. 46). Doch auch hier bleibt das schwebende Changieren zwischen Rationalem und Irrationalem bestehen; denn mit dem Hereintreten des Deichgrafen kommt die Nachricht, dass in der Nacht tatsächlich der Deich gebrochen sei. Damit wird sowohl die Existenz des als Wiedergänger auftretenden Schimmelreiters als auch seine Funktion als Warner vor Gefahren am Deich bestätigt. Für ihn wie für die anderen Bewohner der Küste lebt Hauke als »unheimliche Gestalt [...] an der Grenze zwischen Meer und Land [...] weiter. Ein Unerlöster, der einem jenseitigen Bereich angehört, und als Wiedergänger auf der Grenze zwischen Natur und Kultur zu einem mahnenden Zeichen wird« (Ehlers, S. 95). Der Deichgraf verweist dabei auf die Wahrheit des Augenscheins (vgl. 136), wobei gerade dieser an anderen Stellen der Novelle bereits in die Irre geführt hat, am stärksten bei Haukes Täuschung über die Deichschäden im starken Sonnenlicht. Am nächsten Tag führt der Ritt des Reisenden bei Sonnenlicht auf dem Hauke-Haiendeich dann zurück in die nur scheinbar gesicherte Wirklichkeit, die durch das zuvor Gehörte aber nun fraglich bleibt.

    Indem sie den Glauben und Optimismus an eine Naturbeherrschung bzw. Eindämmung von Naturgewalten durch Technik als Illusion freigelegt, ermöglicht die Novelle, an den modernen Naturdiskus anzuschließen (Ehlers, S. 96).
Veröffentlicht am 4. Januar 2024. Zuletzt aktualisiert am 4. Januar 2024.