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Der Schimmelreiter

Rezeption und Kritik

Die Erfolgsgeschichte des »Schimmelreiters« begann bereits nach seiner Veröffentlichung 1888. Schon nach dem Abdruck in der Zeitschrift »Deutsche Rundschau« im April und Mai 1888 erhielt Storm viel Lob und Beifall, unter anderen von seinem Schriftstellerkollegen Paul Heyse und dem Literaturhistoriker Erich Schmidt. So schrieb Paul Heyse an Storm: »Ein gewaltiges Stück, das mich durch und durch geschüttelt, gerührt und erbaut hat« (Hildebrandt, S. 102).

Die Buchausgabe der Novelle, die im Herbst 1988 erschien, erlebte Storm nicht mehr, daher auch nicht mehr die ersten Rezensionen nach Erscheinen. So wurde seine Bedeutung auch im Gesamtwerk Storms sogleich erkannt. In der Zeitschrift »Die Grenzboten« schrieb Moritz Necker 1889: »Storms Schimmelreiter, der die Reihe seiner unvergänglichen Novellen als das bedeutendste Werk abschließt, ist eine nach jeder Richtung hin bewundernswürdige Schöpfung« (Hildebrandt, S. 102). Allerdings war der Blick durch die auf Technik und Fortschritt fokussierten Zeitgeist meist verengt, die Auseinandersetzung mit dem Phantastischen und Unheimlichen erschien da fremd und so blieb »das große Alterswerk – wie sein Verfasser – unverstanden« (ebd.).

Nach 1900 war »Der Schimmelreiter« dann eine der meistgelesenen Novellen und zu Storms bekanntestem Werk geworden. Früh wurde das Werk auch in den Kanon des Deutschunterrichts aufgenommen (vgl. Ehlers, S. 114).

Die Rezeption und Interpretation des Buches, vor allem seines Protagonisten Hauke Haien und seines Scheiterns, war im Laufe der Zeit sehr von gesellschaftlichen und auch politischen Veränderungen beeinflusst. Und auch Theodor Storm als Autor wurde vor diesem Hintergrund sehr unterschiedlich wahrgenommen. Früh begann auch eine politische Ideologisierung von Autor und Werk. So galt Storm lange Zeit galt er als reiner ›Heimatdichter‹, er wurde mit seiner norddeutschen bzw. friesischen Heimat identifiziert, der er sehr eng verbunden war, und eher als provinzieller Dichter verstanden, als »heimattümelnde[r] Husumer[ ]« (Kuhn, S. 160), der sich gegen die Moderne in eine idyllische Welt an der Küste zurückgezogen hatte. Eine grundlegend andere Deutung erfuhr Storm erst nach 1945.

Vor allem am ambivalenten Verständnis des Hauke Haien lässt sich der die Deutung bestimmende Zeitgeist ablesen. So wurde die Figur des Deichgrafen bereits in der Wilhelminischen Zeit (1890-1918) als Inbegriff des überragenden Helden verstanden, der mit Fortschrittsglaube und Technikbegeisterung gegen die rückwärtsgewandte, abergläubische Dorfbevölkerung und die unberechenbaren Elemtente ankämpft. Schon hier begann ein »Prozess der Heroisierung« (Ehlers, S. 115) einzusetzen, der sich dann in der Weimarer Republik, vor allem aber in der Zeit des Nationalsozialismus fortsetze und zu einer Vereinnahmung des »Schimmelreiter« für die völkisch-nationalen Ziele des NS-Staates führte. Hauke Haien war in diesem Verständnis eine ideologisierte ›Führerfigur‹, der sich aus der Masse hervortut und der als ›nordischer Rassemensch‹ um Fortschritt und für die Gemeinschaft kämpft, um jedoch an ihr scheitert und tragisch untergeht.

Erst ab der Nachkriegszeit hat sich der Blick auf den »Schimmelreiter« geweitet und die Eindimensionalität der Heroisierung und politischen Ideologisierung von Hauke Haien hinter sich gelassen. Auch Storm selbst wurde nun von der Verzerrung als Dichter der ›Blut- und Boden-Ideologie‹, zu dem ihn die Nationalsozialisten gemacht hatten, befreit und literaturwissenschaftlich eingehend untersucht. Seine Werke fanden eine große Verbreitung im Nachkriegsdeutschland.

Nun wurde auch die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit des »Schimmelreiters« erkannt, der ihn bis heute spannend macht und immer wieder an neue Kontexte und aktuelle Konflikte anschlussfähig. Wichtige Interpretationen aus der Nachkriegszeit stammen vom DDR-Germanisten Peter Goldammer. Andere Kritiker wie der amerikanische Literaturwissenschaftler Walter Silz stellten Verbindung zu Goethes »Faust« her und nun wurde das Scheitern Haukes auch als Scheitern an sich selbst, an seiner Hybris und seinem Hochmut, der ihm eine Zusammenarbeit mit der Dorfgemeinschaft unmöglich macht, verstanden. 

In den 1960er Jahren erschien die wegweisende Studie von Jost Hermand, der einen »sozial- und gesellschaftskritische[n] Deutungsansatz« (Ehlers, S. 116) einnimmt, der »in Hauke Haien den Prototypen des gründerzeitlichen Über- und Herrenmenschen [sieht], der an seiner Selbstüberschätzung scheitert« (ebd.). 

In den 1970er Jahren rückte dann das Interesse am Hintergrund der Novelle, an der Quellenlage, auf die Storm zurückgegriffen hat, und an der Entstehungsgeschichte in den Vordergrund. Hier ist vor allem die Studie von Karl Ernst Laage zu nennen. 

1984 erschien die wegweisende Untersuchung von Winfried Freund, die als erste umfassende Interpretation der Novelle angesehen werden kann. Anküpfend an Jost Hermands Untersuchung aus den 1960 Jahren stellt auch Freund Haukes überzogenen Ehrgeiz, seinen unbedingten Willen zu Macht und Ruhm in den Mittelpunkt, der daran scheitert und sich schuldig macht. Sein Tod wird somit als Eingeständnis dieser Schuld und als Sühne verstanden (vgl. Ehlers, S. 117).

Dieses sehr negative und einseitige Verständnis des Protagonisten setzt sich auch bei der Rezeptionsgeschichte der 1990er Jahren fort, als Volker Hoffmann das Augenmerk auf die dämonische Seite Hauke Haiens richtete und die Novelle als »Teufelspaktgeschichte« (Ehlers, S. 118) deutete. Seither rückte vor allem auch die Erzähltechnik, die Form des doppelten Erzählrahmens, die Überlieferung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die Technik des Erinnerns bei Storm in den Mittelpunkt der Forschung. Außerdem steht weiterhin die Untersuchung der in der Novelle verhandelten gegensätzlichen Weltsichten von Aberglaube und Aufklärung und der Bedeutung und Stellung des Unheimlichen im Vordergrund.

»Weitgehende Übereinstimmung besteht dahingehend, dass die Novelle das Scheitern der Moderne und der Aufklärung mit ihrem Rationalitätsanspruch angesichts einer nicht beherrschbaren Natur und ihrer Gewalt zeige« (Ehlers, S. 119). Überdies gilt das Werk als »literaturhistorischer Schwellentext«, der zwischen Novelle und Roman angesiedelt ist (Kuhn, S. 141).

Es gibt insgesamt drei Verfilmungen der Novelle, deren bekannteste noch immer die von 1933 unter der Regie von Curt Oertel und Hans Deppe mit Mathias Wiemann, Marianne Hoppe und Eduard von Winterstein in den Hauptrollen. Allerdings unterliegt sie deutlich der NS-Ideologie, in der Hauke Haien eine völkisch-nationaler Führerfigur ist, der Kampfgeist und Härte verkörpert und sich als Heldenfigur von der Masse abhebt. Die geistig behinderte Tochter Wienke kommt hier gar nicht vor.

Weitere Verfilmungen stammen aus den Jahren 1978 unter der Regie von Alfred Weidenmann sowie 1984. Bei der letzteren handelt es sich um die Co-Produktion des DDR-Fernsehens mit dem polnischen Fernsehen und der Dreh fand an den Originalschauplätzen der ursprünglichen Sage »Der gespenstige Reiter. Ein Reiseabenteuer« von 1838, an der Weichsel, statt. 1960 wurde auch die erste Radiofassung des Stoffes ausgestrahlt.

Veröffentlicht am 24. Januar 2024. Zuletzt aktualisiert am 24. Januar 2024.