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Der Schimmelreiter

Prüfungsfragen

  • Erläutern Sie Hauke Haiens Verhältnis zur Natur an Beispielen.

    Die Natur nimmt in der Novelle und im Leben von Hauke Haie einen sehr großen Stellenwert ein. Der Handlungsraum seiner Lebensgeschichte wird stark von der Landschaft Nordfrieslands geprägt mit den Deichen, dem Wattenmeer mit Ebbe und Flut, der Tier- und Pflanzenwelt an der Küste, den Gefahren des Meeres und dem Marsch- und Geestland hinter dem Deich, das es vor ihm zu schützen gilt. Und als Bewohner der Küstenlandschaft im 18. Jahrhunderts ist Hauke wie alle Menschen stark den Kräften der Natur ausgesetzt. Der Mensch steht ihnen oft ohnmächtig und ausgeliefert gegenüber. Dennoch ist Haukes Verhältnis zur Natur von Kindheit an stark rational und technisch geprägt. Er verbringt zwar viel Zeit alleine auf dem Deich und am Meer, ist jedoch in Gedanken immer mit Berechnungen und neuen Deich-Profilen beschäftigt. Er hat keinen Sinn für die Schönheit der Natur und ihrer Tier- und Pflanzenwelt. Sein Ziel ist neben dem Schutz vor den zerstörerischen Kräften der Natur vor allem der Wille, sie einzudämmen und mit neuer Technik beherrschbar und für den Menschen nutzbar zu machen. Er sieht sich als selbstbestimmtes Individuum, das den technischen Fortschritt nutzt und sich der Natur nicht mehr ausgeliefert sieht. Daher lehnt er auch alle unerklärlichen oder irrationalen Naturphänomene wie Seegeister oder Wasserweiber ab und sucht rationale Erklärungen für sie.

  • Wie ist das Verhältnis der Hauptfigur Hauke Haien zur alten Trien`Jans?

    Trotzdem man Hauke und Trien` als Gegenspieler betrachten kann, besteht doch ein besonderes Verhältnis zwischen ihnen. Die alte Trien`prägt das Leben Haukes von Jugend an und das bleibt so bis zu ihrem Tod mit fast 90 Jahren in seinem Haus. In seiner Jugend erwürgt Hauke in einem Wutanfall den heiß geliebten großen Angorakater Trien`s, der das letzte Andenken an ihrem früh auf dem Meer verstorbenen Sohn darstellt, da der Kater versucht hatte, ihm einen erlegten Eisvogel zu entwenden. Ihre Beschwerde bei seinem Vater, dem sie den toten Kater bringt, bedingt Haukes Auszug aus seinem Elternhaus und den Beginn seiner Lehrzeit als Kleinknecht beim Deichgrafen. Beim späteren Winterfest »Eisboseln« verzeiht Trien´ ihm. Hauke fühlt sich aber immer schuldig, wenn er hört, wie schwierig Trien´ über die Runden kommt, nachdem die Ratten ihre Enten auffressen, da sie nun keinen Kater mehr hat.
    Im Alter schließlich nimmt Elke Trien` in ihr Haus auf und sie bleibt hier bis zu ihrem Tod. Sie freundet sich in ihren letzten Jahren mit der kleinen Tochter Wienke an und sagt in einer kurzen Vision kurz vor ihrem Tod die kommende Sturmflut voraus.
    Insgesamt kann man von Trien`als Haukes eigentlicher Gegenspielerin sprechen, da ihr magisches Weltbild, das noch ganz einem vormodernen und mündlich tradierten Wissen verhaftet ist, seinem rational-technischen Weltbild im Geiste der Aufklären entgegensteht. Es löst eigentlich Schrecken in ihm aus, da in ihrer Sicht die Kräfte der Natur vom Menschen nicht beherrschbar, sondern nur deutbar sind. Dies zeigt sich auch an seiner erschrockenen Reaktion auf ihre Vision der Sturmflut, nach der er sich fragt, ob die »alte Hexe« (122) wohl eine Prophetin sei?

  • Nennen Sie drei der wichtigsten Motive der Novelle.

    Eines der wichtigsten und die ganze Novelle bestimmenden Motive ist der Deich. Für die Menschen an der Küste markiert der Deich die Grenze zwischen dem bedrohlichen Element des Meeres mit seinen unbeherrschbaren Kräften und ihrem Lebensraum in der Marsch mit fruchtbarem Ackerland. Hauke ist von Jugend an von den Deichen und ihrer Bauweise fasziniert und verbringt jeden freien Moment draußen auf dem Deich. Dabei sieht er es vor allem als Herausforderung an, mit technischem Wissen und neuesten Berechnungen einen Deich zu bauen, der den Sturmfluten auch in hundert Jahren noch trotzen kann. Daher wird das Projekt des Deichneubaus nach Erreichen seines Zieles, Deichgraf zu werden, auch zum beherrschenden Motiv seines Lebens. Vielmehr als nur ein Bauwerk, das die Dorfgemeinschaft schützen soll, wird der neue Deich für Hauke Haien zum Beweis, das Amt des Deichgrafen wirklich verdient zu haben und zu einem Monument seiner eigenen Größe und seines Vermächtnisses. So spürt er noch in der Nacht der Sturmflut kurz vor seinem Tod den Stolz über seinen Deich: »›Der Hauke-Haiendeich, er soll schon halten; er wird es noch nach hundert Jahren tun!‹« (132)

    Ein weiteres wichtiges Motiv ist der Schimmel, der inmitten der Vorbereitungen zum neuen Deich-Bauprojekt in Hauke Haiens Leben tritt. Er ist eng verbunden mit dem Motiv des Pferdegerippes auf Jevershallig und den dämonischen Aspekten bei seinem Kauf, dem teuflischen Lachen des Verkäufers, dessen Hand, in die Hauke zur Besiegelung des Kaufes einschlägt, eher einer Klaue ähnelt. All dies hat Aspekte des Teufelspaktes. Das Gerücht, der merkwürdige Schimmel, der von Anfang an eng mit der Person seines Reiters Hauke Haien verbunden ist, sei das wieder lebendig gewordene Skelett von Jevershallig, trägt entscheidend zur Dämonisierung Haukes bei, der immer weiter aus der Dorfgemeinschaft isoliert wird. Er trägt ihm auch den Namen »Schimmelreiter« ein, als der er dann nach seinem Tod als Wiedergänger umgeht.

    Ein weiteres wichtiges Motiv sind, neben dem Schimmel, die anderen weißen Tiere: Der weiße Angorakater und die weiße Lachmöwe Claus. Beide kommen durch Hauke zu Tode und sind somit auch ein Beleg für seinen rücksichtslosen, ja aggressiven Umgang mit der Natur, die er stets als Gegner sieht, mit dessen Kräften er sich messen muss. Auch der Schimmel kommt schließlich durch Hauke zu Tode. Die weißen Tiere wie Angorakater und Schimmel tragen Züge des Dämonischen, solange sie nicht gezähmt sind und einem Besitzer gehorchen. Sie symbolisieren die ungezähmte Natur, die in der Novelle, wie auch die tödliche Kraft des Meeres, generell dämonische, dem Menschen feindliche Züge trägt. Der Mensch muss, wie es Hauke Haien versucht, diese Kräfte zähmen und gegen sie ankämpfen. Die Farbe Weiß, die diese drei Tiere gemeinsam haben, steht in der Novelle generell für Tod und Unheil.

  • In welche literaturhistorische Epoche lässt sich »Der Schimmelreiter« einordnen und welche typischen Merkmale der Epoche weist die Novelle auf?

    Die Novelle »Der Schimmelreiter« lässt sich in die literaturhistorische Epoche des späten poetischen Realismus (1830 bis 1890) einordnen.
    Ein typisches Merkmal ist zum einen die Form der im Realismus besonders verbreiteten Gattungsform der Novelle mit ihrer ebenso typischen Rahmenkonstruktion, die im Schimmelreiter sogar doppelt eingesetzt wird. Der Realismus wendet sich zwar der empirisch erfahrbaren Wirklichkeit zu, sein Ziel ist es jedoch immer auch, diese Wirklichkeit zu deuten, zu idealisieren, als das, was hinter der sinnlich wahrnehmbaren Realität verborgen ist, und zu problematisieren. Dafür stehen im Schimmelreiter die drei unzuverlässigen Erzählerfiguren, durch die unsicher wird,ob das Erzählte bzw. Erinnerte sich wirklich so abgespielt hat.
    Ein weiteres typisches Merkmal des poetischen Realismus, das sich auch in Storms Novelle umgesetzt findet, ist das Erzählen aus mehreren Perspektiven, was zu einer Mehrdeutigkeit der Wirklichkeit führt. Dies setzt Storm mit seinen drei unzuverlässigen Erzählern um.
    Sprachlich lassen sich Elemente realistischen Erzählens durch die Verwendung alltäglicher Dialektausdrücke des Plattdeutschen sowie regionaltypischer Begriffe erkennen. Überdies gibt es auch viel Fachjargon aus der Sprache des Deichbaus.

  • Nennen Sie Auffälligkeiten der Struktur der Novelle und erläutern Sie ihre Bedeutung?

    Die Novelle hat einen doppelten Erzählrahmen, in den eine Binnenhandlung eingebettet ist. Der erste Erzählrahmen, in dem sich ein Ich-Erzähler in den 1880er Jahren an eine vor über 50 Jahren gelesene Geschichte erinnert, bleibt offen. Der zweite Erzählrahmen, der die Erlebnisse eines unbekannten Reisenden wiedergibt, wird geschlossen. Die Binnengeschichte umfasst die Lebensgeschichte Hauke Haiens. Durch die doppelte Rahmung wird das Erzählte zeitlich distanziert und weiter in die Vergangenheit gerückt. Durch genaue Zeitangaben wird sie auch beglaubigt.
    Dennoch geschieht durch diesen Wechsel der Erzählperspektiven über die verschiedenen Stufen, auf denen sich die Novelle aufbaut, auch eine Relativierung der Authentizität des Erzählten. Es kann nicht mehr klar belegt werden, was wie tatsächlich geschehen ist und wie viel die Erzähler jeweils durch ihre Art des Erzählens an der Geschichte und ihrer Überlieferung verändert haben.

  • Welche Erzählperspektiven gibt es in der Novelle?

    Die Novelle hat drei verschiedene Erzähler.
    Die erste Rahmenhandlung wird von einem anonymen Ich-Erzähler berichtet, der sich an eine Geschichte erinnert, die er vor über 50 Jahren in einer Zeitschrift bei seiner Urgroßmutter gelesen hat.
    Die zweite Rahmenhandlung gibt eben jene in der Zeitschrift gelesene Geschichte wieder. Ein namenloser Ich-Erzähler berichtet hier von seinen unheimlichen Erlebnissen, die er während einer Reise auf einem nächtlichen Deich in Nordfriesland hatte.
    Ebenfalls in dieser zweiten Rahmenhandlung tritt ein alter Schulmeister auf, der dem Reisenden in einem Wirtshaus die Geschichte des von ihm gesehenen Schimmelreiters erzählt. Er ist der Erzähler der Binnenhandlung, in der er in der Er-Perspektive und zum größten Teil auktorial die Lebensgeschichte des späteren Schimmelreiters Hauke Haien erzählt.

  • Schildern Sie das Verhältnis der Hauptfigur Hauke Haien zu drei wichtigen Figuren

    Die wichtigste Vertrauensperson für Hauke Haien ist seine Frau Elke. Er lernt sie während seiner Lehrzeit im Hause des Deichgrafen kennen. Elke ist genauso wie Hauke im Rechnen begabt, wird als sehr klug beschrieben und unterstützt ihren Vater, den Deichgrafen, daher in seinen Amtsgeschäften, bis Hauke diese Rolle übernimmt. Hauke hat zu den meisten seiner Mitmenschen, bis auf seine kleine Tochter Wienke und den Paten seiner Frau Elke, den Deich-Gevollmächtigten Jewe Manners, ein eher distanziertes Verhältnis. Im Laufe seines Lebens isoliert er sich immer mehr von der Dorfgemeinschaft. Sein liebevolles, enges Vertrauensverhältnis zu Elke bleibt jedoch immer bestehen. Sie ist seine größte Stütze, auch wenn er sie am Ende nicht mehr in seine Sorgen um den beschädigten und nicht richtig reparierten Deich einweiht. Ihr Tod mit der kleinen Tochter macht auch sein Leben sinnlos und lässt ihn den Selbstmord durch einen Sprung in die Sturmflut suchen.

    Eine weitere wichtige Figur im Leben von Hauke ist die alte Trien’ Jans. Sie ist einerseits eine Gegenspielern, andererseits sind beide Figuren jedoch die ganze Novelle über eng verbunden. Trien’ Jans verflucht den jungen Hauke, da dieser ihren geliebten Kater getötet hat. Sie trägt mit ihrer Beschwerde bei Haukes Vater zu seinem Auszug von Zuhause und dem Beginn seiner Lehrzeit beim Deichgrafen bei. Am Ende ihres Lebens nimmt Hauke die 80 jährige Trien’ in sein Haus auf, wo sie sich mit der kleinen Tochter Haukes anfreundet und sich um sie kümmert. Kurz vor ihrem Tod warnt sie in einer Vision vor der kommenden Sturmflut. Mit ihrem magischen Weltbild, das von Aberglaube und weiblichem mündlich tradierten Wissen geprägt ist, steht sie im Gegensatz zu dem von Hauke Haien vertretenen, rationalistisch-aufklärerischen Weltbild, das ganz auf Fortschritts- und Technikgläubigkeit basiert.

    Der Gegenspieler von Hauke Haien ist Ole Peters. Diese Feindschaft entwickelt sich bereits während der Zeit Haukes als Kleinknecht beim Deichgrafen, wo Ole Peters als Großknecht arbeitet. Ole ist von Anfang an neidisch auf die besondere Rolle, die Hauke aufgrund seines Wissens und seiner mathematischen Begabung beim alten Deichgrafen einnimmt. Außerdem ist auch er an dessen Tochter Elke interessiert, die sich jedoch zu Hauke hingezogen fühlt.
    Nach seinem Weggang vom Deichgrafen bleibt Ole zeitlebens der Widersacher Haukes. Er verbreitet die kompromittierenden Gerüchte im Dorf, dass Hauke nur aufgrund des Erbes seiner Frau Deichgraf geworden sei oder dass sein Schimmel ein Teufelspferd und er selbst mit dem Teufel im Bunde sei. Als Hauke einmal auf den Rat des inwischen zum Deich-Gevollmächtigsten aufgestiegenen Ole hört, und die Beschädigungen am alten Deich nicht richtig reparieren lässt, trägt dies schliesslich zum Deichbruch in der Sturmnacht bei und stürzt Hauke damit in große Schuld und Selbstmord.

  • Was macht Hauke Haien zu einem Außenseiter der Dorfgemeinschaft?

    Hauke ist von Jugend auf eher ein Einzelgänger, der sich bewusst von Gleichaltrigen isoliert und lieber alleine am Deich und am Wattenmeer unterwegs oder mit seinen mathematischen Studien und Berechnungen beschäftigt ist.
    Eine seiner herausragenden Wesenszüge ist neben seiner geistigen Überlegenheit auch sein großer Ehrgeiz und seine Durchsetzungskraft, die sich sowohl bei seinem Ziel, Deichgraf zu werden, als auch beim Projekt des Deichneubaus zeigen. Er fühlt sich aber auch allen seinen Mitmenschen überlegen und zu Höherem berufen. All dies schließt ihn aus der Gemeinschaft seiner Mitmenschen aus.
    Im weiteren Verlauf der Geschichte tragen seine ehrgeizigen, teuren Bauprojekte sowie die zunehmende Dämonisierung Haukes zu seiner Isolierung bei.

  • Erläutern Sie die Bedeutung der Jevershallig-Episode

    Die Episode um die unheimlichen Geschehnisse auf der kleinen Jevershallig vor der Küste nimmt eine Schlüsselstellung in der Novelle ein. Zum einen wird hier der Raum verändert, der sich bis dahin auf das Marschland hinter dem Deich und die nahegelegene Stadt beschränkt hatte. Zum anderen treten mit den von Knecht Iven Johns und Dienstjunge Carsten beobachteten unerklärlichen Ereignisse um das Pferdegerippe auf der Hallig die Elemente des Unheimlichen, des Magischen und des Aberglaubens in die Geschichte ein.

    Sie findet in der Mitte der Novelle statt und der Schulmeister unterbricht seine Erzählung vor dieser Episode, um anzukündigen, dass das nun Folgende eher auf dem abergläubischen Geschwätz des Dorfes basiere.

    Ab diesem Zeitpunkt kommt es auch immer stärker zu einer Dämonisierung der Figur Hauke Haiens, was ihn noch mehr aus der Dorfgemeinschaft isoliert. Zunächst durch seinen Schimmel, der mit dem verschwundenen Pferdegerippe von Jevershallig in Verbindung gebracht wird, später dann durch das belauschte Gebet, in dem er aus Sicht der Dorfbevölkerung die Allmacht Gottes in Abrede stellt. Dies und sein tragischer Tod sind Voraussetzungen dafür, dass Hauke nach seinem Tod als Wiedergänger und Deichgespenst gesehen wird.

  • Welche Bedeutung hat das Projekt eines Deichneubaus für Hauke Haien?

    Neben seinem Traum, Deichgraf zu werden, ist das Projekt des Deichneubaus, das er nur in dieser Position realisieren kann, der große Lebenstraum für Hauke.
    Schon von frühester Jugend an stellt Hauke Berechnungen und technische Überlegungen darüber an, wie ein moderner Deich mit einem abgeflachten Profil zur Seeseite hin zu bauen sei, der den Wellen kein so hohes Angriffspotential liefert und damit beständiger und länger haltbarer sei. »Der Hauke-Haiendeich, er soll schon halten; er wird es noch nach hundert Jahren tun!« (132), ruft Hauke noch kurz vor seinem endgültigen Sturz dem Meer zu. Somit ist der Deich für Hauke viel mehr als nur eine Sicherung für die Dorfbevölkerung vor der zerstörerischen Kraft des Meeres. Er ist für ihn der Beweis, dass er, allen Gerüchten zum Trotz der rechtmäßige Deichgraf ist, der Beweis seiner Kompetenz und Weitsicht und schließlich sein Vermächtnis, das ihn noch für kommende Generationen überdauern und sein Angedenken wach halten soll.

Veröffentlicht am 25. Januar 2024. Zuletzt aktualisiert am 25. Januar 2024.