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Der Schimmelreiter

Äußerer Rahmen (S. 9)

Zusammenfassung

Die Novelle beginnt mit einer ersten kurzen Rahmenhandlung, in der sich ein namenlos bleibender Ich-Erzähler an die Lektüre einer Geschichte in einem Zeitschriftenheft erinnert, die er vor über 50 Jahren im Haus seiner Urgroßmutter, der Frau Senator Feddersen, gelesen hat. Er erinnert sich nicht mehr genau an den Namen der Zeitschrift, ob es die »Leipziger« oder »Pappes Hamburger Lesefrüchte[ ]« (9) waren, doch hat er die dort gelesene Geschichte seither nie mehr vergessen. Da der Ich-Erzähler die Blätter der Geschichte auch nie mehr wiedergefunden hat, kann er sich auch nicht für die »Wahrheit der Tatsachen verbürgen« (ebd.).

Analyse

Der erste Ich-Erzähler der Novelle tritt nur kurz im äußeren Rahmen auf, der als Einführung aus der Erzählgegenwart heraus fungiert und den Erzählanlass, die lebenslange Erinnerung an eine in der Jugend im Haus der Urgroßmutter gelesene Geschichte, vorstellt. Dieser Rahmen bleibt am Ende der Novelle offen.

Durch die genaue zeitliche und räumliche Verortung des damals Gelesenen – »vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen« (9) – wird diese Lektüresituation »als tatsächlich und wirklich beglaubigt« (Ehlers, S. 38) dargestellt. Es gibt der folgenden Novelle den Rahmen, aus dem heraus auch der Leser die Geschichte liest und wahrnimmt.

Gleichzeitig wird aber der Ursprung, also die eigentliche Sage, auf der die Novelle beruht und an die sich der Erzähler erinnert, im Unklaren und Verschwommenen gehalten und damit distanziert. So gelingt es, »einen zweifachen Abstand zur Binnenhandlung zu schaffen, der es unmöglich macht, sich für die Richtigkeit alles Geschehenen, das in einer eigenartigen Schwebe bleibt, zu verbürgen« (Hildebrandt, S. 27).
Dies erzeugt zum einen Spannung beim Leser, da die Geschichte so eindrucksvoll zu sein scheint, dass sie dem Erzähler auch nach 50 Jahren noch so lebhaft in Erinnerung ist. Zum anderen erweist sich der Ich-Erzähler aufgrund der großen zeitlichen Distanz und der unklare Quellenlage aber auch als unzuverlässig. Er kann sich daher nicht für »die Wahrheit der Tatsachen verbürgen« (9), da er sich nicht einmal mehr an den Namen der damaligen Zeitschrift – »ob von den ›Leipziger‹ oder von ›Pappes Hamburger Lesefrüchten‹« (ebd.) – erinnert und die Blätter daher auch nicht wiederfinden konnte.

Diese kurze äußere Rahmenhandlung referiert auch autobiografische Züge zum Autor selbst. Auch dieser hatte die Sage »Der gespenstige Reiter. Ein Reiseabenteuer« von 1838 in seiner Jugend gelesen und erinnerte sich nicht mehr an die Quelle, die er zeitlebens suchte. Sie ist ihm nicht mehr aus dem Gedächtnis gegangen und hat sich dann im Alter wieder in ihm als »alter mächtiger Deichsagenstoff« gerührt (Brief Storms an Erich Schmidt, 3.2.1885, in Paulsen, S. 118). Auch die erwähnte Urgroßmutter hat Parallelen zu Storms Urgroßmutter, die tatsächlich Elsabe Feddersen hieß. Diese war jedoch zum Erscheinungszeitpunkt der Geschichte 1838 bereits verstorben. Somit ist klar, dass die Erzählerfigur fiktiv ist und nicht mit dem Autor Theodor Storm verwechselt werden darf.

Die erwähnte Lektüresituation im Hause der Urgroßmutter, an ihrem Lehnstuhl sitzend, ruft auch die Ursprungssituation mündlichen Erzählens auf. Auch wenn diese hier nur als Rahmen referiert wird, ist dies bedeutsam, da die gesamte Novelle und ihre drei Erzähler mit der Thematik der mündlichen oder schriftlichen Überlieferung von Geschichte oder Fiktion spielen. In diesem Fall aber ist »das Medium des Erzählens [...] die schriftliche Aufzeichnung und deren Adressat der Leser« (Ehlers, S. 39).

Veröffentlicht am 30. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 30. Dezember 2023.