Skip to main content

Auerhaus

Abschnitte 6–16 (S. 55–98)

Zusammenfassung

Die drei Jugendlichen machen sich gemeinsam an die Hausrenovierung. Frieder wählt für sein Zimmer die Farben Weiß und Hellblau, denn er hat seit dem Film »Alexis Sorbas«, in dem das Leben dieses griechischen Freigeistes geschildert wird, eine Liebe zu Griechenland entwickelt.

Cäcilia, eine Mitschülerin, zieht als vierte Person mit in das alte Bauernhaus ein, da Veras Eltern nicht erlauben, dass sie alleine mit zwei Männern zusammenzieht. Sie kommt als einzige Bewohnerin aus einem reichen Elternhaus.
An ihrem ersten Abend sitzen die Jugendlichen gemeinsam am Küchentisch, essen Spaghetti und hören den Song der Band Madness »Our house«. Bauer Seidel von nebenan kommt herein, um die Axt des Großvaters zurückzubringen. Da er kein Englisch kann, versteht er beim Zuhören der Musik das Wort »Auerhaus«. So kreiert letztendlich Seidel den Namen der zukünftigen Wohngemeinschaft.

Das WG-Leben nimmt seinen Lauf, und die Jugendlichen blühen in der Gemeinschaft auf. Sie treiben zusammen Sport und tauschen sich abends über vielerlei Themen aus. Täglich fahren sie gemeinsam mit dem Fahrrad zur Schule. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist jedoch die Kommunikation untereinander, die vor allem dazu dient, Frieder von einem erneuten Suizidversuch abzuhalten. Höppner weiß über die Krankheit Depression Bescheid, da ihn seine Mutter einmal darüber aufgeklärt hat. Ihm fehlt jedoch das Verständnis, warum jemand sich tatsächlich das Leben nehmen will.

Finanziell versuchen die Jugendlichen ebenfalls, alles gemeinsam zu meistern. Sie leben von Höppners Geld der Halbwaisenrente und seinem Verdienst im Job. Seine Mutter steuert abgelaufene Lebensmittel aus dem Supermarkt zum Essen bei. Brot bekommen sie vom Bäcker, der wiederum von Frieders Eltern mit Getreide bezahlt wird. Die teuren Sachen wie Wein oder Kaffee stiehlt Frieder im Supermarkt. Die Einzige, die nichts finanziell beisteuert, ist Cäcilia, da sie sich weigert, Geld von ihren Eltern anzunehmen. Höppner verkauft sogar seine geliebte Münzsammlung, damit sie finanziell über die Runden kommen. Eine Kupfermünze aus dem Jahr 1932 behält er jedoch als Talisman.

Frieder betont gegenüber seinem Freund Höppner, dass er gar nicht vorhatte, sich umzubringen. Er hatte einfach keine Lust mehr zu leben.

Die Jugendlichen haben direkt vor ihrem Haus eine Telefonzelle, die sie vom Küchenfenster aus beobachten können. Jeden Tag wird die Schlange von Gastarbeitern, die in die Heimat telefonieren wollen, größer. Frieder findet heraus, dass das Telefon defekt ist, sodass man kostenlos telefonieren kann. Die Jugendlichen haben jedoch keinen Bedarf, da sie niemanden im Ausland kennen.

Höppner stellt fest, dass der Kreislauf des menschlichen Lebens, »birth, school, work, death«, sich nicht verändert. Auch der Schulalltag funktioniert nach einem immer gleichen Muster. Jedoch legen die Lehrer jetzt ein anderes Verhalten an den Tag. Die Jugendlichen werden nicht weiter beachtet und können im Unterricht tun und lassen, was sie möchten. Frieder beschäftigt sich mit den Schriften Alfred Adlers, und Höppner liest Comics. Der Ich-Erzähler vermutet, dass die Lehrer Angst davor haben, Frieder könne sich wieder etwas antun. So lassen sie ihn lieber in Ruhe.

Höppner findet es seltsam, dass seine Klassenkameradinnen und -kameraden nicht über die Sinnhaftigkeit des Lebens nachzudenken scheinen. Sie folgen, ohne zu fragen, dem für sie vorgegebenen Weg der Eltern.

Da das Auerhaus immer eine offene Tür hat, gibt es ein ständiges Kommen und Gehen von Gästen. Eines Tages sitzt Harry, ein alter Bekannter Frieders, einen Joint rauchend in der Küche. Er macht eine Ausbildung als Elektriker und wird zum Dauergast des »Auerhauses«. Harry outet sich als schwul. Er getraut sich nicht, es seinen Eltern zu erzählen, denn sie würden ihn totschlagen.

Höppner, Vera und Cäcilia fahren mit dem Bus zur Schule, da es draußen regnet. Frieder besteht darauf, mit dem Fahrrad zu fahren. In der Schule angekommen, stellen sie fest, dass ihr Freund nicht nachkommt. Alle haben plötzlich panische Angst um ihn. So beschließen sie, nach der fünften Stunde gemeinsam nach Hause zu fahren, um nachzuschauen, was passiert ist. Schon von Weitem sehen sie den Krankenwagen vor der Tür und denken sofort, dass Frieder tot sei. Gleichzeitig setzen die Schuldgefühle ein, nicht genug auf den Freund aufgepasst zu haben und dafür bestraft zu werden. Sie rennen ins Haus und stellen schnell fest, dass mit Frieder alles in Ordnung ist.

Harry hat in der Küche durch seinen Drogenkonsum einen Kreislaufzusammenbruch erlitten, sodass Frieder den Notarzt rufen musste. Stolz erzählt er den Freunden von seinem morgendlichen Diebstahl im Supermarkt, wobei er beinahe erwischt worden wäre. Des Weiteren verkündet er, dass von jetzt an seine illegalen Besorgungen auf die Haushaltskasse angerechnet werden sollen.

Nach diesem Vorfall steckt Höppner die Angst um seinen Freund noch tief in den Knochen. Innerlich aufgewühlt weiß er nicht mehr, wie Frieders Verhalten einzuschätzen ist.

Vera und Frieder beschließen, ihren Freunden das Stehlen beizubringen, um damit ihre Haushaltskasse aufzubessern. Dazu veranstalten sie ein Rollenspiel. Vera spielt dabei die Kassiererin und Frieder den Dieb, der entsprechende Erklärungen und Anweisungen gibt, auf was die Freunde alles zu achten haben. Danach gehen Frieder und Höppner gemeinsam los, um das Stehlen in der Praxis umzusetzen. Dabei wird Frieder erwischt und vom Dorfpolizisten Bogatzki abgeführt, während sein Freund mit dem Diebesgut aus dem Supermarkt herausspaziert.

Beim Schlittenfahren kommen die beiden Freunde über das Geschehene ins Gespräch. Höppner regt sich über die Gelassenheit Frieders auf, dem es nichts ausmacht, dass er beim Stehlen erwischt wurde. Die Konsequenzen scheinen ihm egal zu sein, denn er hat schließlich einen Selbstmordversuch überlebt.

Höppner fragt Frieder, wie er sich im Moment des Tablettenschluckens gefühlt habe. Er bekommt aber keine Antwort mehr, da die anderen Jugendlichen hinzukommen, sodass ihr Gespräch unterbrochen wird. Zusammen gehen sie ins Haus, um Plätzchen zu backen. Beim gemeinsamen Tun herrscht in der Küche eine friedliche, weihnachtliche Atmosphäre.
Spät am Abend setzen die beiden Freunde ihr Gespräch vom Nachmittag fort. Frieder berichtet davon, im Moment des Tablettenschluckens ganz bei sich gewesen zu sein und wünscht sich, dieses positive Gefühl immer zu haben. Im weiteren Verlauf gestehen sie einander, dass sie noch nicht mit einer Frau geschlafen haben, und tauschen sich über ihre Zukunftspläne aus. Frieder erzählt, dass er nach dem Abitur Fahrradmechaniker werden möchte. Über diese Idee müssen beide lachen, denn zu dieser Ausbildung benötigt er schließlich gar kein Abitur.

In der Nacht wird Höppner wach und sieht Frieder noch immer nachdenklich in der Küche sitzen. Er verspürt aber keine Lust mehr, zu ihm zu gehen.

Am nächsten Tag gehen beide ihrer Arbeit nach. Während Höppner sich mit seinem Rad auf den Weg zur Arbeit in den Hühnerstall macht, trifft er auf seinen Freund Frieder, der gerade aus dem Kuhstall kommt. Beide scherzen über ihr Bauern-Dasein.

Analyse

In den Abschnitten 6 bis 16 steht die Anfangszeit des gemeinschaftlichen Lebens im Fokus der Betrachtung. Der Autor kreiert für die Heranwachsenden zunächst in seinem Roman den idealen Raum für ihr Zusammenleben. Durch den Einzug in das alte Haus ergibt sich ein Freiraum, eine einzigartige Möglichkeit, ein Projekt auf die Beine zu stellen, in dem nur die eigenen Regeln als Maßstab für ein Miteinander gelten. An diesem idealen Ort – er ließe sich auch als utopisch bezeichnen – können sich die Jugendlichen erproben.

Sie machen sich mit Freude daran, ihr neues Zuhause, fernab von der Erwachsenenwelt, zu renovieren. Es kommt sogar noch eine weitere Mitbewohnerin hinzu, Cäcilia, die aus einem reichen Elternhaus stammt. Materiell fehlt es ihr an nichts, aber sie fühlt sich von ihren Eltern emotional vernachlässigt.

Am ersten Abend sitzen sie zusammen am Küchentisch, und aus dem Kassettenrecorder ertönt die Musik der Band Madness »Our house« (S. 58). Der Nachbar Seidel kommt herein, und da er kein Englisch kann, hört er »Auerhaus, aha. Auerochse, Auerhaus« (S. 58). Der Name der Wohngemeinschaft ist geboren.

Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass die Musik in dieser Geschichte eine bedeutende Rolle spielt, denn der Autor baut geschickt an inhaltlich passenden Stellen Musiktitel in die Romanhandlung mit ein. Dieses Stilmittel dient vor allem dazu, den Lesenden zu vermitteln, in welchem spezifischen Lebensgefühl sich die Jugendlichen gerade befinden.
Höppners Aussage: »Wir lebten ein richtiges Leben mit Aufstehen und Frühstückmachen und Federballspielen, mit Essenbesorgen und zusammen Kochen« (S. 60) drückt die positive Stimmung aus, die sich durch die Gemeinschaft eingestellt hat. Einen zentralen Baustein im Miteinander stellt die Kommunikation untereinander dar, um der Verantwortung gerecht zu werden, auf Frieder aufzupassen. Dazu gehört »ziemlich viel Reden, [...], und das ganze Reden bedeutete: Aufpassen auf einen von uns, der mal versucht hatte, sich umzubringen« (S. 61).

Höppner und Frieder haben miteinander ein spezielles Codewort entwickelt, wobei die Frage »Und?« (S. 65) als eine Art Gesprächsaufforderung fungiert. Damit lockt Höppner seinen Freund immer wieder aus seinen Gedankenwelten und zwingt ihn in die Kommunikation: »Frieder dachte den ganzen Tag nach. Wenn er was rausgefunden hatte, sah er mich kurz an, als ob er auf eine Einladung wartete. Dann sagte ich ›Und?‹, und Frieder sagte, was er rausgefunden hatte.« (S. 65)
Dabei wird dem Ich-Erzähler im Roman eindeutig ein höherer Gesprächsbedarf zugeschrieben. Er ist der aktivere Part, da er im Inneren ständig die Angst um seinen Freund Frieder mit sich trägt. Frieders unklare Aussage: »Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollte bloß nicht mehr leben« (S. 65), ist bezeichnend für sein Kommunikationsverhalten gegenüber Höppner, den er damit in Unsicherheit und Sorge zurücklässt. Seine Äußerungen bleiben häufig vage und unklar, er legt sich nie fest.

Während es unter den Jugendlichen in ihrem eigens geschaffenen Raum einen regen kommunikativen Austausch gibt, ist es in der Gegenwelt der Erwachsenen nach dem Suizidversuch Frieders schlecht darum bestellt. Das Verhalten der Lehrenden ist von Schweigen und Desinteresse geprägt, wie Höppner feststellt: »Denn die Lehrer behandelten uns völlig anders als vorher. Sie ließen Frieder und mich einfach in Ruhe. Wir lasen, was wir wollten, ganz ungeniert auf dem Tisch.« (S. 67) Frieder beschäftigt sich mit der Sinnfrage des Lebens und liest »Alfred Adler ›Wozu leben wir?‹« (S. 67), während Höppners Lektüre aus Comics besteht.

Dem Ich-Erzähler kommt der Song »birth, school, work, death» (S. 67) der Band The Godfathers in den Sinn, in dem der ewig gleiche Ablauf des Lebens beschrieben wird. Ihm erscheint es, als würden seine Klassenkameradinnen und -kameraden, »[…] für die alles weiterging wie immer« (S. 88), gar nicht begreifen, um was es im Leben geht, denn: »Sie erbten von ihren Eltern das Abitur und das Leben.« (S. 68)

Während sie selbstverständlich in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, haben es Höppner und Frieder auf ihrem Bildungsweg deutlich schwerer. Sie kommen aus einer anderen sozialen Schicht. In ihrem Elternhaus erhalten sie keine Unterstützung und können auch auf keine Vorbilder zurückgreifen, da sie zur ersten Generation in ihren Familien gehören, die auf die Oberschule gehen können.

Frieders Aussage: »Meine Eltern sind stolz darauf, dass ich aufs Gymnasium gehe. Und wenn ich mal zum Mond fliege, sind sie auch darauf stolz. Aber sie werden es nicht verstehen« (S. 69), liefert einen Hinweis auf die Diskrepanz zwischen der Bildung seiner Eltern und seiner eigenen, woraus ein Gefühl des Andersseins, des nicht Dazugehörens in den Jugendlichen erwächst. In ihren eigenen Familien fühlen sie sich ebenso unverstanden wie in der Schule unter ihren Klassenkameradinnen und -kameraden.

Während die Schule in Bezug auf diese Differenzen einen Ort der Unterschiede und Ausgrenzung darstellt, ist das »Auerhaus« durch Toleranz und Offenheit gekennzeichnet. Der Ich-Erzähler bemerkt diesbezüglich: »In der Küche saß immer wieder mal irgendwer, den ich nicht kannte, unsere Haustür war ja immer offen.« (S. 70) Harry, der auch eines Tages in der Küche sitzt und zu einem Dauergast wird, outet sich als schwul. Wie sehr dieses Bekenntnis in den gesellschaftlichen Verhältnissen der 80er-Jahre ein Außenseiterdasein begünstigt, verdeutlicht die Aussage Harrys auf die Frage Frieders, ob dies sein Vater schon wüsste: »Der würde mich totschlagen«. (S.73)

Frieders eigenwilliges Verhalten gibt immer wieder Anlass zur Sorge. Höppner erleidet bald seine zweite Panikattacke, als der Freund nicht zum Unterricht erscheint. Seine Gedanken kreisen nur noch um Frieders Tod: »Ich sah Frieder vor mir, wie er am Strick hing, auf dem Heuboden. Ich konnte gar nichts dagegen machen.« (S. 74) Gegen seine Hilflosigkeit ist er machtlos, gegen die Schuldgefühle ebenfalls: »Frieder war tot. Wir hatten nicht aufgepasst.« (S. 76 f.) Sie fahren alle sofort nach Hause, um nachzuschauen, was geschehen ist, und stellen schnell fest, dass er noch lebt.

Wie sehr Höppner unter dem ambivalenten Verhalten seines Freundes leidet, wird in folgender Aussage deutlich: »Ich wusste es einfach nicht. Ich wusste nicht, woran ich mit Frieder war. Wenn er mal traurig schien, war er vielleicht bloß müde. Wenn er mal fröhlich schien, war er vielleicht schon auf dem Absprung.« (S. 78 f.)

Er ärgert sich über die Gelassenheit Frieders bei seinen Diebstahlaktionen. Da er dem Tod schon einmal ins Auge gesehen hat, fehlt ihm der notwendige Respekt vor dem Leben, und Höppner bemerkt: »Ihm machte nichts mehr richtig Angst, weil er schon mal gewonnen hatte gegen die allergrößte Angst, die es gab.« (S. 88)

Höppner ist unsicher, ob der Freund im Falle eines Unfalls überhaupt von ihm gerettet werden möchte. Frieder betont stark seine Selbstbestimmtheit, indem er Höppner mitteilt: »Kannst mich ruhig retten, glaube ich. Ich will es mir schon selber aussuchen.« (S. 88) Auch wenn er letztendlich eine Einmischung dulden würde, steht sein autarkes Handeln in Bezug auf sein eigenes Leben an erster Stelle. Frieder ist sein eigener Herr über sein Leben und auch seinen Tod.
Die weihnachtliche Stimmung, die kurz vor Heiligabend im »Auerhaus« herrscht, zeugt von Harmonie und Zufriedenheit. Höppner fühlt sich in der Gemeinschaft geborgen und beschützt: »Ich machte die Augen zu. Vom Ofen strahlte die Wärme rüber. […] Die anderen gaben acht auf mich.« (S. 90) Er verfällt in einen Tagtraum, wobei ihm Doris Day mit ihrem Song »Whatever will be, will be« (S. 90) erscheint. Die Musik passt zu seinem Gefühl der Gelassenheit, das er in diesem Augenblick genießen kann, denn es kommt im Leben, wie es kommt.

Höppner und Frieder kommen sich in ihren Gesprächen über den Tod, Sex und ihre Zukunftspläne immer wieder sehr nahe. Frieder berichtet zum ersten Mal über seine Gefühle in Bezug auf den Suizidversuch: »In dem Moment, wo ich die Tabletten runtergeschluckt habe, da war ich irgendwie ganz da. Alles war gut. Ich war ganz selbstbewusst oder so. Wenn ich so ein Gefühl immer hätte, hätte ich die Tabletten gar nicht geschluckt. Aber um es zu haben, musste ich die Tabletten schlucken.« (S. 91 f.)

Deutlich wird, dass Frieder einen Mangel im Inneren spürt, der zum einen bewirkt, dass er sich in seinem Leben als unvollkommen empfindet. Zum anderen ergibt sich für ihn daraus im Außen auch eine Distanz zu seiner Umwelt, die er nicht ertragen kann. Sein Wunsch ist es, sich als Mensch heil und ganz empfinden zu können, was ihm im Leben nicht gelingt, sodass er zu Tabletten greifen musste.

Während Frieder die eigenen Makel nicht aushält, mag er sie bei Frauen besonders gern: »Einen oder mehrere. Besser mehrere. Ich finde Makel geil.« (S. 93) Er vertraut seinem Freund an, dass er mit Pauline gerade wegen ihrer äußeren Makellosigkeit nicht geschlafen hat. Im Gegenzug verrät ihm Höppner, dass er mit Vera auch noch keinen Sex hatte, obwohl er schon länger mit ihr zusammen ist: »Ich hab ja auch noch nie.« (S. 94)

In diesem Gespräch wird deutlich, wie schwierig es für die Jugendlichen ist, sich ohne Angst und Misstrauen gegenseitig zu öffnen und dem Gegenüber ihre intimen Geheimnisse anzuvertrauen. Aber es zeugt von einem guten Verhältnis zwischen Frieder und Höppner, dass es ihnen auf dieser Ebene gelingt, auf Augenhöhe miteinander kommunizieren zu können.

Beim Thema Berufswahl verhält es sich ähnlich. Als Frieder verlauten lässt, dass er nach dem Abitur vielleicht »Fahrradmechaniker« (S. 94) werden möchte, bekommen beide Lachkrämpfe. Denn Frieder wird von Höppner als hochintelligent eingeschätzt, er könnte »ohne Probleme Matheprofessor oder Atomphysiker« (S. 95) werden, sodass ihm dies doch als »der abwegigste Beruf überhaupt erscheint« (S. 95). Wenn dieser Beruf nun »der Sinn des Lebens« (S. 98) sein soll, dann ist das nach Meinung Höppners »der beste Witz überhaupt« (S. 98).

Nach dem Gespräch versichert Frieder dem Freund noch in der Nacht: »Jedenfalls, wenn ich es noch mal mache, kannst du nichts dafür.« (S. 97) Mit dieser Doppelbotschaft erteilt er Höppner zwar eine Art Absolution, er spricht ihn frei von Schuldgefühlen, sollte er noch einmal versuchen, sich umzubringen. Er deutet damit aber gleichzeitig an, dass Höppner damit rechnen muss, dass es immer wieder passieren kann. Mit dieser Doppeldeutigkeit in der Kommunikation entlastet er den Freund nicht, sondern bewirkt damit das Gegenteil. Frieder lässt Höppner im Grunde genommen allein und verunsichert mit seiner Angst zurück, die sich im Laufe der Geschichte wie eine Spirale immer mehr nach oben dreht.

Veröffentlicht am 10. Februar 2023. Zuletzt aktualisiert am 10. Februar 2023.