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Auerhaus

Kapitel 2 (Abschnitte 1–5; S.11–54)

Zusammenfassung

Höppner wohnt mit seinen zwei jüngeren Schwestern im Haus seiner Mutter. Seit ein paar Jahren lebt auch sein Stiefvater bei ihnen, zu dem er kein gutes Verhältnis hat. Ständig wird er von ihm beschimpft, er wäre zu nichts zu gebrauchen. So soll er ihm beim Umbau des Hauses helfen, wozu er keine Lust hat. Um seinem Zuhause zu entfliehen, sitzt der Ich-Erzähler entweder häufig vor dem Fernseher oder trampt mit seiner Freundin Vera durch Deutschland.

Weil er die Situation nicht mehr aushält, unternimmt er mit seiner Freundin spontan einen Kurztrip nach Berlin, bei dem sie zum Spaß auf Wohnungssuche gehen und Termine zur Besichtigung wahrnehmen. Auf der Heimfahrt müssen sie auf einem Rastplatz übernachten und kommen dadurch am nächsten Morgen zu spät zur Schule.

In der Klasse angekommen, merkt Höppner, dass sein Freund Frieder nicht anwesend ist. Es ist gerade Deutschunterricht, und es wird über das Werk Goethes »Die Leiden des jungen Werther« diskutiert. Das zentrale Thema des Romans, der Selbstmord Werthers aus Liebeskummer, interessiert Höppner wenig. Erst am Ende der Stunde wird ihm durch die heftige emotionale Reaktion seiner Mitschülerin Cäcilia klar, dass es einen Zusammenhang zwischen der Abwesenheit Frieders und dieser Thematik geben muss, sprich, dass er einen Selbstmordversuch begangen hat. 

Nach der Schule besucht Höppner seine Mutter, die in einem Supermarkt arbeitet. Von ihr erfährt er, dass Frieder nicht mehr im Krankenhaus, sondern in der Psychiatrie zu finden ist. Sofort macht er sich auf den Weg, um dem Freund einen Besuch in der Klinik am Stadtrand abzustatten.

Als Frieder im Schlafanzug im Aufenthaltsraum auf ihn zukommt, ist Höppner geschockt von der sichtbar körperlichen Veränderung seines Freundes. Er ist unsicher und weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Höppner vermeidet es, den Freund auf seinen Selbstmordversuch anzusprechen. Gleichzeitig spürt er ein schlechtes Gewissen und fragt sich, ob er eine Mitschuld an diesem Vorfall trägt. Denn niemand hat Frieder je bei seinem richtigen Namen, sondern stattdessen immer nur »Bauer« genannt, da er nach Kuhstall riecht. Schlagartig wird ihm klar, dass er dies nun nie wieder tun würde.

Höppner erfährt bei seinem ersten Besuch noch, dass sich Frieder mit einem Mix aus den Schlaftabletten seiner Mutter und Alkohol das Leben nehmen wollte. Sein Vater, der nach einer Axt im Keller suchte, fand ihn schließlich, was ihm das Leben rettete.

Höppner räumt ein, dass auch er ein Bauer ist, da er zwei Mal in der Woche auf einer Hühnerfarm arbeitet. Des Weiteren macht er sich Gedanken über die Musterung zur Bundeswehr und will eine Einladung, sollte sie denn kommen, erst einmal ignorieren. Sein Plan ist, nach Berlin zu gehen, um dadurch die Einberufung zu umgehen. Der negative Bericht seines Schichtleiters, der schon bei der Bundeswehr war, bestärkt ihn bei seinem Vorhaben.

Höppner besucht Frieder alle zwei Tage in der Psychiatrie und erzählt ihm Neuigkeiten aus der Schule. Gemeinsam machen sie Hausaufgaben. Frieders Tagesablauf ist geprägt durch die Medikamenteneinnahme und Therapien. Höppner bemerkt, dass sich Frieders Körperhaltung verändert, als er Pauline kennenlernt, die wegen Brandstiftung im Jugendheim ebenfalls in der geschlossenen Abteilung behandelt wird.

Im Herbst macht Höppner mit seinem Freund einen ersten Spaziergang durch den Park. Dabei wird er von Ängsten geplagt, da er nicht weiß, wie er sich verhalten soll, käme Frieder auf die Idee, abzuhauen oder sich sogar vor den Zug zu werfen. Er verstrickt sich immer mehr in seinen eigenen irrealen Angstzuständen, selbst in die Klinik als Patient eingewiesen zu werden. Als Frieder den Wunsch äußert, weiter in die Stadt gehen zu wollen, bricht bei ihm eine Panikattacke aus. Trotzdem setzen sie ihren Ausflug bis in die Fußgängerzone fort, und Frieder kann das erste Mal sogar wieder lachen.

Auf dem Rückweg berichtet er Höppner, dass er nach Meinung seines Arztes nach der Entlassung besser nicht mehr in sein Elternhaus zurückkehren sollte. Er möchte in das Haus seines verstorbenen Großvaters ziehen.

Höppner schaut sich das alte Haus mit seiner Freundin Vera an. Dabei diskutieren sie die Vor- und Nachteile eines gemeinsamen Lebens mit Frieder. Einerseits gibt es keine Garantie dafür, dass ihr Freund keinen zweiten Selbstmordversuch unternimmt. Andererseits hat Höppner auch die eigenen Vorteile eines Auszugs von Zuhause im Sinn. Denn er könnte endlich dem Leben mit seinem verhassten Stiefvater entgehen und müsste nicht mehr seinen Befehlen folgen. 

Zudem hätte er noch ein edles Motiv, nämlich seinem Freund zu helfen, was den Auszug gegenüber seiner Familie rechtfertigen würde. Letztendlich fühlt er sich auch als Freund in der Pflicht, Frieder beizustehen, damit er nicht wieder in die Klinik zurück muss. Vera entscheidet sich, mit einzuziehen, um ihn dabei zu unterstützen.

Analyse

In den Abschnitten 1 bis 5 schildert der Autor die Geschehnisse vor dem Zusammenleben der Jugendlichen im Auerhaus, wobei er anfänglich mit der Aussage des Ich-Erzählers: »Jedenfalls, als die Sache passierte, da war ich gar nicht da« (S. 11), sofort einen Spannungsbogen aufbaut. Die Lesenden werden vorerst im Unklaren darüber gelassen, was es damit auf sich hat. Im Verlauf der weiteren Handlung führt der Autor sie langsam immer näher an das Ereignis heran.

Zunächst schildert der Hauptprotagonist Höppner, dessen vollständiger Name im Roman nicht genannt wird, sein konfliktbeladenes Familienleben mit seiner Mutter, seinen zwei jüngeren Schwestern und seinem Stiefvater. Von ihm bekommt er keine Anerkennung, sondern er wird von ihm schikaniert und muss ihm ständig beim Hausumbau helfen. Im Gegenzug betitelt Höppner ihn mit der Abkürzung »F2M2«, der »Fiese Freund Meiner Mutter« (S.11), und pinselt auf die Wohnzimmerwand »Arschloch dumm wie 1m Feldweg« (S.13), womit deutlich wird, was er von ihm hält. Da sein Freund Frieder seinen Stiefvater ebenfalls als »F2M2« bezeichnet, »war das ein bisschen so, als ob ich noch einen Bruder hätte« (S.11). Die beiden Freunde stehen also in einem engen, vertrauten Verhältnis zueinander.

Die schwierigen Familienverhältnisse sind der Grund, warum Höppner oft die Schule schwänzt und lieber mit seiner Freundin Vera durch Deutschland trampt. Als sie wieder einmal aus Berlin zurückkommen und zu spät zum Deutschunterricht erscheinen, weist Höppner mit seiner Aussage: »Jedenfalls, ich hatte von der Sache überhaupt nichts mitbekommen« (S.19), nochmals darauf hin, wie ahnungslos er zu diesem Zeitpunkt noch ist. Diese Wiederholung wirkt beinahe so, als habe er ein schlechtes Gewissen und wollte sich dafür entschuldigen, dass er zu besagtem Zeitpunkt in Berlin gewesen war, anstatt seinem Freund zur Seite zu stehen.

Der Ich-Erzähler registriert an diesem Morgen lediglich, dass Frieder nicht anwesend ist. Auch der Deutschlehrer, von den Lernenden »Doktor Turnschuh« (S.19) getauft, reagiert, anders als sonst, nicht auf seine Verspätung: »[…] aber heute reagierte er nicht. Er guckte mich einfach an. Oder in mich rein.« (S.19)

Im Deutschunterricht wird der Roman von Goethe »Die Leiden des jungen Werther« behandelt. Als der Lehrer fragt, welche Gründe es für einen Selbstmord geben könne, denkt sich Höppner nur: »Manche Leute brachten sich um. Blöde Sache. Aber warum? Das wusste kein Mensch.« (S. 21) Es ist ihm völlig unverständlich, dass sich eine Person wie Werther aus Liebeskummer umbringen könnte. Als Cäcilia zum Ende der Stunde in Tränen ausbricht und ruft: »Das mit Frieder! Das tut mir so leid! Warum hat er das gemacht?« (S.22), wird an dieser Stelle klar, dass Frieder einen Suizidversuch begangen haben muss.

Obwohl Goethes »Werther« ein guter Anlass gewesen wäre, diesen realen Vorfall im Unterricht aufzugreifen, um den Schülerinnen und Schülern Raum zu geben, darüber zu sprechen, verliert der Lehrer kein Wort darüber. Er ist nicht in der Lage, den Lernenden eine Plattform zu geben, über das Geschehene zu sprechen, sondern ignoriert den Vorfall.
Diese Unfähigkeit und Sprachlosigkeit der Erwachsenen in Bezug auf die Thematik des Suizids bewirkt, dass die Jugendlichen sich alleingelassen fühlen und sich eine Art der Überforderung einstellt. Dies ist im weiteren Verlauf der Geschichte insbesondere an der Entwicklung des emotionalen Zustands bei der Figur Höppner gut zu beobachten.
Seine Unsicherheit, wie er mit dem Freund umgehen soll, zeigt sich schon beim ersten Besuch Frieders in der »Klapse […] Nervenklinik. Irrenhaus. Psychiatrie.« (S.24) Er weiß nicht, was er sagen soll und ist über Frieders körperliche Veränderung geschockt: »Das war der Bär, das war übrig von dem Bären, mit dem jeder gern aufs Schützenfest ging und zur Maifeier, weil sein Anblick jeden, der Ärger suchte, sofort beruhigte.« (S.26)

Zuerst traut Höppner sich nicht, nach dem Grund des Suizidversuchs zu fragen, denn er spürt sein schlechtes Gewissen. Er fragt sich, ob ihn eine Mitschuld trifft, denn sie hatten ihn in der Schule alle »Bauer« (S. 27) genannt, da Frieder immer nach Kuhstall roch.

»Nicht achtzehn zu werden, war scheiße. Wenn man nicht achtzehn wurde, war alles umsonst« (S. 28), ist ein weiterer Gedanke, der ihn umtreibt. Dies weist deutlich auf den hohen Stellenwert des Erwachsenwerdens hin, der bei Jugendlichen in der Adoleszenzphase vorhanden ist. Endlich in Freiheit und Eigenverantwortung sein eigenes Leben angehen wollen und nicht mehr den Regeln der Erwachsenen folgen zu müssen, ist ein weiterer bedeutender thematischer Schwerpunkt in diesem Roman, der im Voranschreiten der Geschichte immer mehr in den Fokus rückt.

Frieder liefert seinem Freund keine Antwort darauf, warum er sich umbringen wollte. Später stellt sich heraus, dass er dazu die Schlaftabletten seiner Mutter und seinen griechischen Lieblingswein Imiglykos benutzt hat. Sein Vater, der eine Axt suchte, fand ihn schließlich noch lebend im Keller vor. »Die Axt hat dir das Leben gerettet« (S.30), stellt Höppner fest. Hier kann dem Werkzeug, im Gegensatz zum Vorspann der Geschichte, deutlich eine positive Symbolik zugeschrieben werden.
Höppner jobbt neben der Schule zwei Mal die Woche auf einer Hühnerfarm, was ihn mit dem Freund insofern verbindet, als dass sie beide Bauern sind: »Frieder war ein Bauer, und irgendwie war ich auch ein Bauer. Ein Hühnerbauer. Oder Hühnerknecht. Höppner Hühnerknecht.« (S. 31) Diese Wortkreation ist bezeichnend für Höppner, denn er spielt gerne mit den Worten und entwirft dabei immer wieder neue, wie zum Beispiel »Zentralverriegelungsaxel« (S.32). Hier handelt es sich um einen Mitschüler, der ein Auto mit Zentralverriegelung besitzt und mit dieser immer wieder angibt, da sie eine absolute Neuheit Anfang der 80er-Jahre-Zeit darstellt.

Dem Ich-Erzähler steht die Musterung bevor und die Angst, zur Bundeswehr zu müssen, wächst im Verlauf der Geschichte so stark an, dass er wie gelähmt keine klaren Gedanken mehr fassen kann und alle Einladungen ignoriert: »Ignorieren. Zeit schinden und, sobald es ging, nach Berlin abhauen, das war wahrscheinlich das Beste.« (S.32)
Die Besuche bei seinem Freund alle zwei Tage in der Psychiatrie gestalten sich für ihn als sehr belastend. Zwar geht es Frieder jetzt schon besser, da er Pauline kennengelernt hat, die wegen Brandstiftung in die Klinik eingeliefert wurde. »Frieders Körperhaltung war anders als sonst. Sonst hockte er immer so schlaff da, jetzt saß er aufrecht und straff. Und der Hammer war: Er lächelte.« (S. 38)

Hübner verstrickt sich jedoch immer mehr in seinen eigenen Ängsten, als Frieder äußert, im Park einen Spaziergang machen zu wollen. Gedanklich muss er sich selbst abgrenzen, immer wieder vergewissern, dass er nicht dazugehört, sondern in der Normalität lebt: »Ich war ein Besucher, das war wichtig. Kein Patient, kein Insasse.« (S. 39)
Er steigert sich in diese Gedankenspirale immer mehr hinein. In seiner Vorstellung erhängt er sich mit einem Strick an einem Baum, ein Förster rettet ihn, und er kommt in die Psychiatrie. Als Frieder den Wunsch äußert, weiter in die Stadt gehen zu wollen, gipfeln diese Angstzustände in einer Panikattacke: »Ich bekam Panik. Die Panik explodierte in der Mitte meines Körpers und schoss mir durch die Adern bis in die Finger und in die Zehen und in die Ohren. Ich stand ganz still und bewegte mich nicht und war trotzdem völlig außer Puste.« (S. 42)

Hinzu kommen seine Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit, nicht zu wissen, wie er mit dem Freund umgehen soll, würde er sich plötzlich vor den Zug werfen.

Hier wird im Ansatz schon deutlich, wie sehr sich Höppner durch die starke psychische Belastung in seinem Innern verändert, was sich später immer mehr auf sein Verhalten auswirkt.

In der Fußgängerzone angekommen, beschreibt Höppner sie als einen tristen Ort, an dem es sich kaum aushalten lässt. »Im Herbst waren die hässlichen Sonnenschirme weggeräumt. Dann konnte man die hässlichen Nachkriegsbauten und die hässlichen Schaufenster mit den hässlichen Sachen drin besser sehen. Eigentlich der ideale Ort für Leute mit Depressionen. Hier waren sie mit ihrer Umwelt im Einklang.« (S. 44) Durch die ständige Wiederholung des Wortes »hässlich« wird die negative Deutung dieses Ortes auf die Spitze getrieben. Gleichzeitig versucht Höppner mit der nachfolgenden sarkastischen Äußerung zu signalisieren, dass er die Umstände immer noch mit Humor nehmen kann.
Diese sprachliche Umgangsform mit schwierigen Gegebenheiten ist typisch für die Figur des Ich-Erzählers. Es scheint seine eigene Art von Lebensbewältigung zu sein, indem er sich zu gegebenen negativen Verhältnissen immer wieder positiv aufstellt. Vielleicht tut er dies auch aus Selbstschutz, so lässt sich nur vermuten, um seinem suizidgefährdeten Freund einen Gegenpol zu setzen und um nicht selbst unterzugehen.

Frieder kann bald entlassen werden. Sein Arzt meint jedoch, er solle besser nicht mehr bei seinen Eltern wohnen. Die Idee des gemeinsamen Umzugs in das Haus seines Großvaters ist geboren.

Höppner besichtigt mit seiner Freundin Vera das Haus, wobei sie in einem Gespräch die Vor- und Nachteile des Zusammenlebens mit Frieder abwägen. Er glaubt, dass er in der Lage ist, »Frieder davon abzuhalten, sich umzubringen« (S.52). Zudem hat er auch eigennützige Gründe: »Mit Frieder zusammenziehen, das war die Gelegenheit, dem Fiesen Freund Meiner Mutter zu entkommen.« (S. 50) Außerdem fühlt er sich gegenüber Frieder in der Verantwortung. Er kann ihn nicht im Stich lassen: »Frieder hatte mir vorgeschlagen, mit ihm zusammenzuziehen. Es war unmöglich, das abzulehnen.« (S. 53)

An dieser Stelle ist anzumerken, dass das Negative, der Suizidversuch Frieders, hier als Auslöser zu einer positiven Wende im Leben der Jugendlichen verwendet wird. Denn es verschafft ihnen die Möglichkeit, in dem alten Haus fernab von der Welt der Erwachsenen, wenn auch nur auf Zeit, sich eine eigene Insel erschaffen zu können.

Veröffentlicht am 10. Februar 2023. Zuletzt aktualisiert am 10. Februar 2023.