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Der Richter und sein Henker

Figuren

Figurenkonstellation

Der Richter und sein Henker – Figurenkonstellation
  • Kommissar Hans Bärlach

    Dürrenmatt hat mit Kommissar Bärlach eine Hauptfigur geschaffen, die mit berühmten Detektiven wie Philippe Marlowe (Raymond Chandler) oder Maigret (Georges Simenon) durchaus mithalten kann. Es ist der Typus eines individualistischen und eigenwilligen Einzelkämpfers, der privat wie beruflich nach seinen eigenen Regeln lebt. Bärlach führt ein zurückgezogenes Leben und wohnt in Bern, von Büchern umgeben, alleine in einem großen Haus, dessen Türe immer offen steht. Er scheint ein furchtloser Zeitgenosse zu sein, denn er trägt oft auch keine Waffe.

    Mit seinen 60 Jahren hat er nun 40 Dienstjahre hinter sich und steht kurz vor seiner Rente. Durch seine internationale Karriere, die ihn als jungen Kommissar nach Konstantinopel und Frankfurt am Main führte, hat er sich einen Namen gemacht. In Frankfurt war er sogar Polizeichef, musste aber dann 1933 in die Schweiz zurückkehren, da er sich dem Nazi-Regime entgegensetzte, indem er einem hohen Beamten eine Ohrfeige verabreichte. Dass er vor Autoritäten wenig Respekt hat, zeigt sich auch in seinen Verhaltensweisen gegenüber seinem Chef, dem Untersuchungsrichter Dr. Lutz. Er klopft nicht an, wenn er in sein Büro zitiert wird, sondern tritt sofort ein. Demonstrativ zündet er sich eine Zigarre an, obwohl er weiß, dass sein Chef den Zigarrenrauch nicht verträgt.

    Regelverletzungen sind bei Bärlach an der Tagesordnung. Er macht keinen Hehl daraus, dass er von modernen wissenschaftlichen Polizeimethoden wenig hält. Bärlach liest keine Protokolle und sieht sich grundsätzlich keine Toten an. Er gibt sich wortkarg und schweigsam und spricht nur, wenn es tatsächlich notwendig ist.

    Obwohl Bärlach an Magenkrebs leidet und laut seines Hausarztes nur noch ein Jahr zu leben hat, verzichtet er nicht auf den Genuss von gutem Essen, Wein und Nikotin.

    Hinter diesem Bild des harmlosen, alten und sogar manchmal etwas begriffsstutzig wirkenden Polizisten, das vom Autor vordergründig gezeichnet wird, versteckt sich jedoch hintergründig eine Manipulationsstrategie. Denn Bärlachs Eigenschaften und Verhaltensweisen entpuppen sich immer mehr als ein heimtückischer und klug durchdachter Plan, den sich der Kommissar kühl und berechnend ausgedacht hat, um endlich doch noch seine Wette zu gewinnen und seinen Widersacher als Verbrecher zu überführen.

    Da er in all den Jahren gemerkt hat, dass er mit den normalen Mitteln des Rechts in diesem Fall nicht als Gewinner hervorgehen kann, übertritt er selbst die Gesetze. Bärlach spielt sich zum »Richter« auf und bedient sich skrupellos seines Kollegen als »Henker«, um zu seinem Ziel zu kommen. Damit lädt er selbst Schuld auf sich und stellt sich durch seine kriminellen Handlungen letztendlich mit dem Verbrecher, den er jagt, auf eine Stufe. Bärlach bekämpft sozusagen das Böse mit dem Bösen und schafft somit das Paradox, dass er zum Ende seine eigene These, die er gegenüber seinem Widersacher Gastmann vertreten hat, widerlegt.

  • Richard Gastmann

    Die Figur Gastmann, die von Dürrenmatt als Kontrast- und Ebenbild des Kommissars angelegt wurde, bleibt in der Geschichte weitestgehend im Geheimnisvollen. Sowohl über seinen richtigen Namen als auch über seine Abstammung gibt es keine gesicherten Informationen. Gastmann selbst behauptet, in dem Schweizer Dorf Lamboing in einfachen Verhältnissen geboren worden zu sein und mit dreizehn Jahren diesen Ort verlassen zu haben. Nach Unterlagen der Polizei stammt er allerdings aus Pockau in Sachsen und wuchs dort als Sohn eines Großkaufmanns auf, der Lederwaren vertrieb. Nach Auskunft des Nationalrats von Schwendi wanderte er in seiner Jugend nach Südamerika aus und war dann als argentinischer Diplomat in China tätig. Von den Franzosen wurde ihm das Kreuz der Ehrenlegion verliehen. Die Aufnahme in die Französische Akademie, die ihm angetragen wurde, lehnte er ab.

    Gastmann hat sich zudem über die Jahre hinweg ein ausgezeichnetes Renommee in der Geschäftswelt aufgebaut und gilt als angesehener und ehrenwerter Bürger. Als Wirtschaftsmanager und ehemaliger Diplomat verfügt er über die notwendigen Kontakte, im Auftrag der Regierung wichtige Geschäfte mit anderen Staaten zu tätigen.

    Hinter dieser perfekt konstruierten Maske verbirgt sich jedoch ein genialer Verbrecher, der im Hintergrund strategisch seine Fäden zieht. Sein soziales Umfeld – das Haus in dem kleinen Schweizer Dorf – dient ihm als Ort, um im Stillen seine illegalen Geschäfte unter dem Schutz der Regierung – hier ein Deal mit der Großmacht China – mit Schweizer Industriellen aus den höchsten Kreisen zu tätigen. Seine Fassade als weltmännischer, erfolgreicher und angesehener Gastgeber und zudem noch als guter Koch hält er geschickt aufrecht.

    Gastmann fühlt sich an keine Rechtsordnung gebunden, sondern lebt nach einer Art Lust- und Launeprinzip. Als Anhänger des Nihilismus verneint er alle moralischen Werte und Ideale. Seine persönliche Freiheit dient ihm als höchstes Gut. Für ihn gibt es kein Gut oder Böse, sondern er schlüpft wie im Theater in die verschiedensten Rollen, die ihm durch das Leben jeweils dargeboten werden. Ist er eben noch ein anerkannter, erfolgreicher Unternehmer, kann er im nächsten Moment schon wieder in die Unterwelt abgetaucht sein, um seine dunkle Seite auszuleben. Dabei kennt er keine Skrupel und macht sich sogar im Beisein Bärlachs am Mord eines Kaufmanns schuldig. Die kriminelle Energie, die Gastmann in sich hat, deckt sich mit der teuflischen Magie, die Bärlach anwendet, um ihn endlich zur Strecke zu bringen.

  • Polizist Tschanz

    Bei der Figur Tschanz handelt es sich um einen jungen, ehrgeizigen Polizeileutnant, der seine Arbeit nach den neuesten wissenschaftlichen Standards gewissenhaft durchführt. Von Anfang an möchte er, von Bärlach als sein Stellvertreter für die Aufklärung des Mordfalls seines Kollegen Schmied eingesetzt, sein berufliches Können unter Beweis stellen. Seinem obersten Chef, dem Untersuchungsrichter Dr. Lutz, kann er damit zwar imponieren, Bärlach, sein direkter Vorgesetzter, hat jedoch nur Verachtung für ihn übrig. Von diesem fühlt Tschanz sich nicht ernstgenommen, da er immer wieder nicht ihn, sondern seinen Kollegen Schmied in den höchsten Tönen lobt.

    Wohlhabend, aus guter Familie stammend, studiert, ein hübsches Mädchen an seiner Seite, Besitzer eines Mercedes, beliebt und begabter Polizist, verkörpert Schmied ein Leben, das Tschanz zwar verabscheut, aber doch auch selbst gerne gehabt hätte. Denn als ewig Zu-kurz-Gekommener steht er im Schatten seines ermordeten Kollegen. Gefangen im persönlichen Neid und männlichem Konkurrenzdenken bemüht er sich immer mehr darum, Schmied nachzueifern. Er legt sich den gleichen Mantel und einen Filzhut zu, erwirbt seinen Mercedes und möchte schließlich auch noch Schmieds Verlobte als Freundin besitzen.

    Dieses übertriebene und lächerliche Bemühen, sich über äußere Attribute das Leben einer anderen Person aneignen zu wollen, zeugt von einem labilen Charakter, der sich durch ein mangelndes Selbstbewusstsein auszeichnet. Sein ausgeprägter Minderwertigkeitskomplex tritt in Form eines aggressiven Verhaltens immer wieder zum Vorschein, wenn er es mit Intellektuellen und Gebildeten zu tun hat, beispielsweise beim Verhör des Schriftstellers.

    Für Bärlach, der ihn von Anfang an als Mörder Schmieds in Verdacht hat, ist es aus diesem Grund ein leichtes Spiel, Tschanz für seine Zwecke zu manipulieren. Er bietet das geeignete Werkzeug, indem er für Bärlach am Ende sozusagen, ohne es zu wissen, den »Henker« spielt, mit dem der Kommissar letztendlich seine persönliche Wette mit seinem Widersacher Gastmann gewinnen kann. Tschanz wird dadurch in den Selbstmord getrieben.

  • Polizist Ulrich Schmied

    Schmied stammte aus einem reichen Elternhaus, besuchte das Gymnasium, lernte Griechisch und Latein und absolvierte ein Studium. Er galt als kluger Kopf und begabter Polizist, sodass ihm eine glänzende Karriere bevorstand. In Kollegenkreisen war er sehr beliebt und angesehen.

    Schmied führte ein solides Leben und hatte eine Freundin mit dem Namen Anna. Er wohnte als Untermieter bei einer Frau Schönfeld. In seiner Freizeit beschäftigte er sich gerne mit Autos, und seinem Mercedes gab er den Namen »der blaue Charon«.

    Es stellt sich heraus, dass Schmied ein Doppelleben geführt hat. Er trat bei den Abendgesellschaften bei Gastmann unter dem Namen Doktor Prantl auf und gab sich als Privatdozent für amerikanische Kulturgeschichte in München aus. Dies geschah auf Anweisung Bärlachs, um gegen Gastmann zu ermitteln.

  • Dorfpolizisten Clenin und Charnel

    Clenin findet die Leiche des Polizisten Schmied. Da er vorher noch nie mit einem Mord zu tun hatte, ist er mit der Situation anfänglich überfordert. Er gibt sich unsicher und hilflos, sodass er unprofessionell handelt. Er sichert nicht sofort den Tatort und informiert nicht die Kolleginnen und Kollegen der Spurensicherung, sondern setzt die Leiche in sein Auto und fährt sie nach Biel.

    Sein Kollege Charnel liefert Informationen über Gastmann, die er von den Dorfbewohnern bekommen hat. Er ist angeblich ein Philosoph und sehr beliebt unter der Bevölkerung, da er für das Dorf sämtliche Steuern zahle.

    Die beiden Dorfpolizisten fühlen sich gegenüber Tschanz, der aus der Stadt kommt, unwohl. Dies liegt auch an der unterschiedlichen Sprache, denn in ihrem Kanton sprechen sie Französisch. Sie sind in Anwesenheit von Tschanz gezwungen, sich mit ihm in Schweizerdeutsch zu verständigen, womit insbesondere Charnel seine Schwierigkeiten hat.

  • Der Schriftsteller

    Bei dem Schriftsteller, der in der Geschichte namenlos bleibt, handelt es sich um einen Gast, der regelmäßig Gastmanns Abendveranstaltungen besucht. Vermutlich hat sich Dürrenmatt mit der Figur des Schriftstellers selbst ein Denkmal in diesem Roman gesetzt. Denn wie der Autor sitzt der Schriftsteller in einem kleinen Arbeitszimmer, und zu seinem Hausstand gehören ein kleiner Hund sowie ein Kind. Diese Annahme wird auch durch die Tatsache unterstützt, dass Dürrenmatt in der Verfilmung des Romans, die im Jahr 1975 in die Kinos kam, selbst die Rolle des Schriftstellers einnahm.

    Der Schriftsteller gibt sich beim Verhör mit den Polizisten extravagant und selbstverliebt. Er ist sichtlich enttäuscht darüber, dass er von den Polizisten gar nicht als Verdächtiger für den Mord in Betracht gezogen wird. Er kann für die Tatnacht ein einwandfreies Alibi vorweisen.

    Seine künstlerische Tätigkeit als Schriftsteller vergleicht er mit der Polizeiarbeit. Denn auch er muss eine gute Beobachtungsgabe an den Tag legen und die Menschen genau beobachten, die er später für seine Geschichten verwendet. Zum einen ist er von Gastmanns Kochkunst sehr beeindruckt. Zum anderen sieht er in ihm den Inbegriff eines Nihilisten, dessen Verhaltensweisen ihn faszinieren. Gastmann sei durch seine Freiheit im Denken sowohl zu guten als auch zu schlechten Taten fähig. Allein die Lust und der Zufall entscheiden darüber, zu welcher Seite er sich gerade hingezogen fühlt. Der Schriftsteller ist sich jedoch sicher, dass Gastmann nicht Schmieds Mörder sein könne, zumal er in der Mordnacht bis zuletzt sein Gast war.

  • Untersuchungsrichter Dr. Lucius Lutz

    Dr. Lutz ist Untersuchungsrichter und als Chef der Berner Kriminalpolizei Bärlachs Vorgesetzter. Seinen Posten als Führungskraft verdankt er weniger seinem exzellenten kriminalistischen Können, sondern eher seiner Abstammung aus dem vornehmen und angesehenen Berner Geschlecht. Lutz hält Vorlesungen an der Berner Universität zur Kriminalistik und hat sich darüber hinaus bei einem Besuch der New Yorker und Chicagoer Polizei in den USA über die neuesten Methoden der Verbrecherabwehr genauestens informiert. Seitdem meint er, sich herausnehmen zu dürfen, die rückständigen Methoden der Schweizer ständig zu kritisieren.

    Die Figur des Untersuchungsrichters wurde von Dürrenmatt deutlich als Karikatur angelegt. Auf seinem Posten ist er eindeutig eine Fehlbesetzung, da er zu den Ermittlungen so gut wie nichts beiträgt. Seine Inkompetenz zeigt sich in den zahlreichen Fehleinschätzungen, die er während der Aufklärung des Mordfalls vornimmt. Lutz hat keine Ahnung, was in seinem Amtsbereich geschieht, da seine Untergebenen keinen Respekt vor ihm haben und ihm keine Informationen weiterleiten. So glaubt er den Falschinformationen über Gastmann und schätzt zudem die Ermittlungsarbeiten von Tschanz falsch ein. Er glaubt, ihn befördern zu müssen, da er, der Mörder Schmieds, den Mordfall aufgeklärt habe.

    Lutz zeigt keine Autorität und kein Durchsetzungsvermögen, denn gegenüber seinem Parteifreund, dem Oberst von Schwendi, knickt er sofort ein und gesteht ihm zu, gegen Gastmann keine Ermittlungsarbeiten zu führen.

  • Oberst von Schwendi

    Oberst von Schwendi gehört zur gesellschaftlichen und politischen Elite der Schweiz, denn er übt noch zusätzlich das Amt eines Nationalrates aus. Er ist zufällig zur Stelle, als Bärlach und Tschanz im Zuge ihrer Ermittlungen den Hund seines Klienten Gastmann töten. Da ihm entgeht, dass es sich um Polizisten handelt, vermutet er zuerst einen Angriff von Separatisten aus dem Berner Jura. Kurze Zeit später beschuldigt er sie als Kommunisten, bis er endlich versteht, dass es sich um Polizisten handelt, die in einem Mordfall ermitteln.

    Dürrenmatt zeichnet die Figur von Schwendi als eine dicke, aufgeschwemmte, unsympathische Person mit einem runden Gesicht und gibt auch sie – wie die Figur des Dr. Lutz – schon allein aufgrund dieser äußerlichen Merkmale der Lächerlichkeit preis. Arrogant und selbstgefällig führt er sich als Fürsprecher der oberen Gesellschaft, nämlich der Schweizer Industriellen, auf. Obwohl es sich beim Untersuchungsrichter Dr. Lutz um einen Parteikollegen handelt, verhält er sich ihm gegenüber respektlos.

    Er weist ihn als Gastmanns Anwalt von oben herab an, von einem Verhör seines Klienten abzusehen und, wenn es nötig sein sollte, ihm mit seiner vorherigen Genehmigung gewisse Fragen zu stellen. Da sich der Polizist Schmied unter falschem Namen unter die Abendgesellschaften gemischt hat, vermutet von Schwendi sofort eine Verschwörung. Bei diesen Treffen finden nämlich streng geheime Verhandlungen statt, bei denen es um Millionengeschäfte geht.

Veröffentlicht am 3. März 2024. Zuletzt aktualisiert am 21. März 2024.