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Der Richter und sein Henker

Prüfungsfragen

  • Welche Rolle spielt das Verhör des Schriftstellers im Roman?

    Für den Fortgang der Handlung ist das Gespräch mit dem Schriftsteller weniger von Bedeutung. Es kann angenommen werden, dass Dürrenmatt mit der Figur des Schriftstellers sich selbst im Roman ein Denkmal gesetzt hat, da die Beschreibung des Wohnens und Arbeitens seinem damaligen eigenen Heim entspricht. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Dürrenmatt bei der späteren Verfilmung des Romans (1975) diese Rolle selbst übernommen hat. Zudem entpuppt sich der Schriftsteller zu Beginn des Gesprächs mit Kommissar Bärlach als ein wahrer Gourmet, was wiederum auch auf den Autor zutrifft, der Zeit seines Lebens gutes Essen liebte.

    Im zweiten Teil des Gesprächs legt der Schriftsteller sein Berufsethos offen – es sei sein Beruf, Menschen zu beobachten. Er ist wie Bärlach fasziniert vom Phänomen des Bösen. So begibt er sich auf die Ebene der Fiktion und konstruiert, wie in der Mathematik nach geometrischem Muster, ein Bild des Verbrechers Gastmann und behauptet, dass es wiederum ein Spiegelbild, eine Figur des reinen Bösen, geben müsse, womit er eigentlich das Konstrukt Bärlach/Gastmann beschreibt, das Dürrenmatt für den Roman entworfen hat.

  • Welche Funktion haben die Naturbeschreibungen im Roman?

    Dürrenmatt untermalt seine Geschichte mit zahlreichen Naturschilderungen (Landschaft, Wetter, Umgebung), die oft einen metaphorischen Charakter und jeweils eine unterschiedliche Funktion haben. Als Krimi-Kulisse dient dem Autor die Schweizer Landschaft rund um den Bielersee, deren Idylle durch die Verbrechen, die sich hier ereignen, zerstört wird.

    Der Polizist Clenin findet mitten in der Natur eine Leiche, und zwar im grauen Novembernebel, womit der Autor sofort eine düstere und bedrohliche Atmosphäre schafft. Er zieht dabei sogar einen Vergleich mit dem Weltuntergang. Auch bei der Beerdigung erzeugt er mit dem einsetzenden sintflutartigen Regen eine trostlose, beklemmende Stimmung. Indem Dürrenmatt jedoch diese Naturelemente wiederum mit einem grotesken Spiel in Szene setzt, kommt die andere Seite zum Vorschein, nämlich die Sonne und das Licht.

    Nach der Beerdigung durchbricht nämlich die Sonne den Nebel, und der Himmel reißt auf. Dieses Naturschauspiel erzeugt in Bärlach ein intensives Glücksgefühl. So sind diese Naturphänomene auch immer wieder als Spiegel der inneren Seelenzustände von Dürrenmatts Figuren zu verstehen. Darüber hinaus kann das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten auch als eine Metapher für das Leben an sich gedeutet werden, in dem das Positive und Negative sich gegenseitig bedingen und einander abwechseln.

  • Welche Motive bewegen den Polizisten Tschanz dazu, seinen Kollegen Schmied zu ermorden?

    Sein Kollege Schmied kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus, hat studiert, und ihm steht eine glänzende Karriere bei der Polizei in Aussicht. Er ist bei seinen Kolleginnen und Kollegen sehr beliebt, und seine gute Arbeit wird geschätzt. Tschanz, der an Minderwertigkeitskomplexen leidet, fühlt sich ständig zurückgesetzt und zu kurz gekommen. Er neidet seinem Kollegen seine bessere Herkunft, seine höhere Bildung und seine berufliche Begabung, die ihm die Anerkennung seiner Kolleginnen und Kollegen beschert. Tschanz handelt aus seinen niederen Instinkten, wie Neid, Konkurrenzdenken und Geltungssucht, heraus. Ihm ist nur noch daran gelegen, seinen Nebenbuhler aus dem Weg zu räumen, damit er nicht nur seine Position übernehmen, sondern auch seine Persönlichkeit sich anverwandeln kann.

  • Wie stellt Dürrenmatt sein Heimatland, die Schweiz, im Roman dar?

    Der Roman enthält an einigen Stellen, wenn auch oft versteckt, eine Kritik an der Schweizer Politik und Gesellschaft. So wurde Bärlach, der einem hohen nationalsozialistischen Beamten in Deutschland eine Ohrfeige gab und aus diesem Grund ausreisen musste, von der Schweiz erst 1945 wieder rehabilitiert. Die Schweiz gab zwar politische Neutralität vor, aber dennoch wollte man das gute Verhältnis zu Deutschland während des Nazi-Regimes nicht trüben.

    In der Figur des Untersuchungsrichters Dr. Lutz thematisiert er die Schweizer Vetternwirtschaft. Lutz hat seinen Posten, wie auch zahlreiche andere Beamte, nur über familiäre Beziehungen erhalten.

    Die Figur des Nationalrats Oberst von Schwendi dient Dürrenmatt dazu, die politische Elite zu kritisieren. Von Schwendi gehört zur gesellschaftlich obersten Klasse der Schweiz und zieht bei Geheimtreffen von Industriellen und ausländischen Machthabern im Hintergrund seine Fäden. Zur Zeit des Kalten Krieges interessiert sich die Schweiz nur für lohnenswerte Geschäfte, bei denen sich durch illegale Machenschaften Millionen verdienen lassen.

  • Typisch in Dürrenmatts literarischer Welt ist der Einsatz des Stilmittels der Groteske. Erklären Sie dessen Bedeutung und schildern Sie die wichtigsten Szenen aus dem Roman, in denen dieses Stilmittel zum Einsatz kommt!

    Mit den Mitteln der Groteske verfolgt Dürrenmatt die Absicht, die chaotische, undurchschaubare Realität, in der anstelle der Ordnung und Planbarkeit nur noch der Zufall regiert, zu verfremden. Indem er Geschehnisse durch tragikomische, ironisch-witzige oder lächerliche Elemente überzeichnet, führt er seiner Leserschaft die absurde Welt vor Augen. Gleichzeitig stellt er damit eine gewisse Distanz zur Realität her, die es den Leserinnen und Lesern ermöglicht, ihre Angst durch Humor zu überwinden.

    Im Roman »Der Richter und sein Henker« wird dies besonders in drei Szenen augenscheinlich: Zu Beginn wird der Abtransport der Leiche ins Lächerliche gezogen, indem sich zeigt, dass der Dorfpolizist mit der Situation vollkommen überfordert ist. Bei der Beerdigung des Polizisten Schmied stören während der Trauerrede zwei Betrunkene in bizarrer Kleidung die feierliche Trauerrede, sodass der ernsthaft-feierliche Rahmen aufgelöst wird. In der abschließenden Essensszene, die in eine Fressorgie ausartet, wird die Groteske vollends auf die Spitze getrieben. Damit hebt Dürrenmatt die Grenze zwischen Lächerlichkeit und Grausamkeit auf und gibt den Blick auf eine disharmonische Welt frei, die aus ihren Fugen geraten ist.

  • Welche Unterschiede/Gemeinsamkeiten bestehen in der Welt- und Lebensauffassung der beiden Kontrahenten Gastmann und Bärlach?

    Durch die absurde Wette, die Bärlach und Gastmann miteinander eingegangen sind, treten anfänglich unterschiedliche Weltanschauungen zutage, die sich jedoch im Verlauf der Geschichte immer mehr angleichen. Gastmann nimmt sich die Freiheit heraus, je nach Laune und aus dem Zufall heraus, Gutes oder Böses zu tun und kann somit als Zufallstäter beschrieben werden. Er fühlt sich in seiner Freiheit niemandem moralisch verpflichtet.

    Bärlach hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Böse zu bekämpfen – also Gutes zu tun –, wird aber dabei aber zu einem Recht brechenden Detektiv, der sich nicht mehr an Recht und Ordnung hält und sich der Mittel des Bösen bedient. So handelt auch Bärlach letztendlich wie sein Gegenspieler Gastmann, da er verbrecherische Methoden benutzt, um ihn zur Strecke zu bringen. Beide spielen sich zu Richtern über das Leben anderer auf und lösen somit die Grenzen von Recht und Unrecht auf. Deshalb drohen sie sich auch gegenseitig mit dem Tod. So kommen sie seit 40 Jahren nicht voneinander los und bezahlen zum Ende hin diese unheilvolle Wette beide mit ihrem Tod.

  • Welche Bedeutung nimmt die Geschichte der Wette im Roman ein?

    Im Roman dominiert bis zum zehnten Kapitel die erste Handlungsebene, die noch überwiegend einer klassischen Kriminalgeschichte entspricht und in der Gegenwart spielt, nämlich im November 1948. Mit dem elften Kapitel eröffnet Dürrenmatt jedoch eine zweite Handlungsebene, indem er die beiden Hauptfiguren Bärlach und Gastmann einander konfrontiert und deren Geschichte über ihre Wette, die über 40 Jahre zurückliegt, thematisiert.

    Es geht dabei um folgende moralisch-ethische Fragestellung: Gibt es das perfekte Verbrechen, das niemals aufgeklärt werden kann, und welche Rolle spielt dabei der Zufall? Mit dem Element dieser Wette vertieft der Autor nicht nur seine Geschichte, sondern erweitert gleichzeitig auch das klassische Muster eines Kriminalromans um eine philosophische Ebene.

  • Wie beurteilen Sie die Figur des Kommissars Bärlach? Hat Dürrenmatt mit ihr eine klassische Figur des Kriminalromans geschaffen?

    Kommissar Bärlach ist ein Staatsbeamter im Polizeidienst und damit an eine bestehende Rechtsordnung und seine Gesetze gebunden. Diese bilden die Rahmenbedingungen für seine Ermittlungsarbeit. Im Falle eines Verbrechens kommt ihm die Aufgabe zu, durch dessen Aufklärung dafür zu sorgen, dass die gesellschaftliche Ordnung wiederhergestellt wird.

    Dies geschieht, indem er den Verbrecher einem Gericht überführt, damit ein entsprechendes Strafmaß festgelegt werden kann. Bärlach verstößt jedoch selbst gegen die Gesetze und macht sich gleich in mehrfacher Weise schuldig. Er spielt sich zum Richter auf und verübt eine Art Selbstjustiz, indem er Gastmann für schuldig erklärt, ohne dass er ein Verbrechen begangen hat und Tschanz dazu benutzt, ihn zu richten. Letztendlich überführt Bärlach Tschanz nicht der Gerichtsbarkeit, sodass er die Normen eines Rechtsstaats missachtet. So kann die rechtliche Ordnung auch nicht wiederhergestellt werden. In diesem Sinne ist die Figur des Kommissars Bärlach keine klassische Figur eines Kriminalromans.

  • Welche Bedeutung hat das Schlangenmesser Bärlachs?

    Das Schlangenmesser kann als Motiv der Bedrohung gedeutet werden, da der Kommissar im Verlauf der Geschichte zweimal damit angegriffen wird. Bärlach erzählt Tschanz, dass er mit dem Messer schon fast einmal in Konstantinopel getötet wurde. Nun ist es genau diese Waffe mit dem biblischen Symbol der Schlange, von der für Tschanz die Versuchung ausgeht, den Kommissar zu töten. Er dringt in das Haus Bärlachs ein, um ihn damit zu töten. Der Mordversuch misslingt ihm jedoch.

    Auch Gastmann greift bei einem ersten Zusammentreffen mit seinem Gegner zu diesem Messer und wirft es in Richtung Bärlach, aber nicht, um ihn zu töten, sondern weil er seine Macht demonstrieren möchte. Das Schlangenmesser kann hier also als Symbol des Bösen angesehen werden.

  • Wird die Rechtsordnung der Gesellschaft zum Schluss des Romans wiederhergestellt?

    Der Untersuchungsrichter Dr. Lutz und Oberst von Schwendi sind davon überzeugt, dass der Mordfall Schmied als gelöst betrachtet werden kann. Gastmann war der Mörder, und Tschanz musste ihn schließlich aus Notwehr erschießen. Sie irren jedoch beide, da sie über die hintergründigen Machenschaften nichts wissen.

    Der Fall wird nicht im Sinne einer geltenden Rechtsordnung gelöst, die Geschichte wird lediglich zu einem Abschluss gebracht. Gastmann ist zwar von Bärlach für seine Verbrechen verurteilt und vernichtet worden, dies aber mithilfe illegaler Methoden, die außerhalb der rechtlichen Ordnung lagen. Auch der Mörder Tschanz kommt nicht vor Gericht, sondern wird von Bärlach letztendlich in den Tod getrieben. So sind zwar die Verbrecher beseitigt, aber nur mit Mitteln der Manipulation und des Betrugs, also unter Missachtung von Recht und Gesetz, sodass die Rechtsordnung nur scheinbar wiederhergestellt wurde.

Veröffentlicht am 18. März 2024. Zuletzt aktualisiert am 18. März 2024.