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Der Richter und sein Henker

Kapitel 4-7

Zusammenfassung

Am Abend holt Tschanz zur verabredeten Zeit seinen Chef mit dem Auto ab. Bärlach öffnet jedoch nicht, da er auf dem Sofa eingeschlafen ist. Die Haustür ist nicht verschlossen, und Tschanz betritt die Wohnung. Hier findet er in einer Halle voller Bücher seinen schlafenden Chef vor und wundert sich über ein Messer in Form einer großen Schlange, das er auf dem Tisch erblickt. Bärlach, der nun plötzlich erwacht ist, erklärt ihm, dass es sich um eine Waffe aus der Türkei handele, mit der er beinahe einmal fast ermordet worden wäre.

Tschanz bietet seinem Chef an, wegen seines schlechten Gesundheitszustands und des schlechten Wetters zu Hause zu bleiben. Bärlach lehnt jedoch ab, denn es gilt schließlich, einen Mörder zu fassen. Während der Fahrt wundert er sich, dass Tschanz eine andere Fahrtroute wählt. Sie unterhalten sich über ihren toten Kollegen Schmied. Tschanz erzählt, dass Schmied seinem Auto einen besonderen Namen gegeben habe, der ihm aber entfallen sei. Bärlach hat diesen Namen, der blaue Charon, noch gut in Erinnerung und klärt Tschanz über seine Bedeutung auf. Da Schmied ein studierter und gebildeter Mann war, wählte er einen Begriff aus der griechischen Mythologie. Bei Charon handelt es sich nämlich um den Fährmann, der die Toten über den Fluss Styx in die Unterwelt fährt.

Auf der Fahrt hält Tschanz nun an den Tankstellen, um zu fragen, ob nicht ein Fahrer aufgefallen sei, der sein Auto einen blauen Charon nannte. An der dritten Tankstelle haben sie Glück, denn ein Tankwart erinnert sich an ihn. Dies ist für Tschanz nun der Beweis, dass Schmied in der besagten Mordnacht diese Route gewählt hat.

Sie fahren weiter, halten um zwanzig vor acht auf der Straße von Twann nach Lamboing im Dunkeln an und warten.

Da nichts geschieht, fragt Bärlach Tschanz, was er denn jetzt vorhabe. Dieser erwidert, dass es doch an dem Abend eine Gesellschaft gegeben haben müsse, zu der vermutlich auch Gäste gekommen seien.

Als nun aus dem Dunkeln Autos auftauchen, nimmt Tschanz deren Verfolgung auf. Kurz darauf biegen die Polizisten in einen Feldweg ab, der zu einem Haus führt. Sie stellen den Wagen ab und laufen zum Eingang. Hier entdecken Sie ein Türschild mit einem G darauf. Tschanz hat vorher schon in einem Telefonbuch nach den Familiennamen im Dorf recherchiert, sodass er Bärlach sofort darüber aufklären kann, dass es sich nur um den Namen Gastmann handeln könne. Der andere Name wäre die Gendarmerie, die man in diesem Fall ausschließen könne.

Die Polizisten trennen sich und inspizieren die Umgebung. Bärlach, der von heftigen Magenschmerzen geplagt wird, läuft an der Mauer entlang zum hinteren Teil des Hauses. Hier ist der erste Stock hell erleuchtet, und es erklingt Klaviermusik.

Plötzlich sieht er sich einem großen Hund gegenüber, von dem er angegriffen wird. Tschanz erschießt das Tier und rettet damit Bärlachs Leben. Die Fenster des Hauses gehen auf, und die Menschen beschweren sich über den Lärm. Bärlach, der sich als Polizist zu erkennen gibt, verlangt Herrn Gastmann zu sprechen. Darauf antwortet ihm ein Mann, dass er nun weiter Musik hören wolle und schließt das Fenster.

Bärlach und Tschanz gehen zum Wagen zurück und treffen am Tor einen Mann, der sich als Nationalrat und Oberst von Schwendi vorstellt. Er ist über das Verhalten der Polizisten empört und verleiht seinem Ärger lauthals Ausdruck. Bärlach erklärt ihm jedoch ruhig, dass er den Fall des toten Polizisten Schmied aufklären müsse. Dieser sei am vergangenen Mittwoch auf einer dieser Abendveranstaltungen gewesen, sodass er Herrn Gastmann, den Gastgeber, sprechen müsse. Der Oberst gibt sich als Anwalt Gastmanns zu erkennen und bietet Bärlach an, noch heute Abend mit ihm über den Fall zu sprechen und morgen auf die Polizeiwache zu kommen.

Tschanz möchte noch vor Ort den Polizisten in Lamboing befragen, was über Gastmann im Dorf bekannt ist. Bärlach begibt sich in ein Restaurant, um auf ihn zu warten. Tschanz trifft im Gasthaus auf den Polizisten aus Lamboing mit dem Namen Jean Pierre Charnel, der mit seinem Kollegen aus Twann, Clenin, an einem Tisch sitzt. Von ihnen erfährt er, dass Schmied an besagtem Abend nicht in Gastmanns Haus gewesen sei, der Gastgeber könne sich zumindest nicht an einen Gast mit diesem Namen erinnern. Andere Gäste, die auch schon befragt wurden, wie zum Beispiel ein Schriftsteller, ein guter Freund Gastmanns, hätten ebenso nichts über Schmieds Besuch gewusst.

Des Weiteren wird Tschanz von seinen Kollegen über die Rolle Gastmanns im Dorf aufgeklärt. Er sei von Beruf ein Philosoph und besitze viel Geld, das er dem Dorf zugutekommen lasse, indem er die Steuern zahle.

Tschanz verlässt um 22 Uhr das Wirtshaus, um Bärlach abzuholen. Dabei hält er noch einmal kurz an Gastmanns Haus. Die Gäste sind zwar noch da, aber das Haus liegt im Dunkeln. Im Restaurant trifft er Bärlach nicht mehr an, sodass er sich auf den Heimweg macht. Während der Fahrt nimmt Tschanz plötzlich eine Gestalt im Dunkeln wahr, die ihm ein Zeichen gibt, anzuhalten. Es handelt sich um Bärlach, der nun die rechte Wagentür öffnet und ihm dabei starr in die Augen blickt. Tschanz kommt kurz die Erkenntnis, dass sein nun toter Kollege Schmied genau diese Situation am Abend des Tathergangs erlebt haben musste, sodass er kurz zu seinem Revolver greift.

Bärlach bedankt sich nochmals bei Tschanz, dass er ihm das Leben gerettet habe. Zuhause angekommen, nimmt er einen Revolver aus der Tasche und legt seinen Mantel ab. Dabei kommt sein mit dicken Tüchern umwickelter Arm zum Vorschein. Diese Vorsichtsmaßnahme wird normalerweise von Hundetrainern vorgenommen.

Analyse

Diese vier Kapitel bilden die erste Erzählphase der Geschichte, in der es sich überwiegend um die Ermittlungsarbeiten des Mordfalls dreht, die von Tschanz professionell in die Hand genommen werden. Dabei nutzt er den geheimnisvollen Buchstaben G, den er in Schmieds Kalender entdeckt hat, geschickt als erstes Indiz, um den Verdacht auf Gastmann zu lenken, der im Ort Lamboing lebt. Tschanz schlägt eine Fahrt in den Ort vor, um dieser ersten Spur nachzugehen.

Um den Spannungsbogen seiner Geschichte aufzubauen, setzt Dürrenmatt bei dieser Aktion einige Motive der Gefahr und Bedrohung ein.

Als Tschanz Bärlach von zu Hause abholt, sichtet er beim Betreten des Hauses eine »große, eherne Schlange« (S. 24) auf Bärlachs Schreibtisch, die sich beim näheren Hinsehen als ein »Schlangenmesser« (S. 92) entpuppt. Dürrenmatt verweist mit der Aussage Bärlachs: »Mit der bin ich einmal fast getötet worden« (S. 25) auf die Bedrohung hin, die von diesem Gegenstand schon ausgegangen ist. Die Schlange, die als biblisches Symbol der Verführung verstanden werden kann, gibt einen weiteren Hinweis darauf, dass sie im Verlauf der Geschichte noch als »Waffe« (S. 25) dienen könnte. Bei der hintergründigen Bemerkung Bärlachs: »Seid klug wie die Schlangen« […] »Und sanft wie die Tauben« (S. 25), bei der es sich um ein leicht abgewandeltes Bibelzitat handelt, spricht er aber auch gleichzeitig eine Warnung an Tschanz aus, sich klug und besonnen zu verhalten, um durch unüberlegtes Handeln keine Katastrophe herbeizuführen.

Ein zweites Motiv, das ebenfalls als Hinweis auf eine kommende Gefahr gedeutet werden kann, ist der Name des Autos, das Tschanz von seinem toten Kollegen übernommen hat. Schmied gab ihm den Namen: der blaue »Charon« (S. 26). In der griechischen Mythologie ist dies der Name des Fährmanns, der die toten Seelen in die Unterwelt hinüberfährt.

Es ist Bärlach, der Tschanz bei der gemeinsamen Fahrt zum Ermittlungsort über die Herkunft dieses Namens aufklärt, worüber Dürrenmatt jetzt die Spannungen zwischen beiden Figuren verdeutlicht. Denn hier kommt der Minderwertigkeitskomplex von Tschanz zum Tragen: »Schmied hatte reiche Eltern und durfte das Gymnasium besuchen. Das konnte sich unsereiner nicht leisten. Da wußte er eben, wer Charon war, und wir wissen es nicht.« (ebd.)

Am Haus Gastmanns setzt Dürrenmatt nun den Spannungshöhepunkt: Es kommt »ein entfesseltes Ungeheuer an Kraft und Mordlust« (S. 33) auf Bärlach zu, und »von der Wucht der sinnlos rasenden Bestie« (ebd.) wird er niedergerissen. Es handelt sich um Gastmanns Hund, der den Machtbereich seines Herrn verteidigt. Dürrenmatt verwendet hier sehr ausdrucksstarke negative Begriffe für das Tier, wodurch die Macht des Bösen, die es symbolisiert und von der Bärlach in diesem Moment auch fasziniert ist, noch zusätzlich unterstrichen wird. Tschanz kann das Tier erschießen und wendet damit das Böse noch rechtzeitig ab.

Mit dem Auftritt der Figur des Nationalrats von Schwendi, der zugleich auch noch »Oberst und Advokat« (S. 39) und somit »drei Teufel auf einmal im Leib« (ebd.) hat, verbindet Dürrenmatt seine Kritik an der politischen Klasse der Schweiz. Denn von Schwendi, der durch seine drei Führungspositionen zu dieser Oberschicht gehört, ist keinesfalls daran interessiert, dass dieser Fall aufgeklärt wird und behindert sogar die Ermittlungsarbeiten, da sie ihm selbst schaden könnten.

Zudem deutet er die Schießerei vor dem Haus seines Klienten Gastmann als eine »Demonstration gegen die westliche Zivilisation« (S. 36), hinter der in seinen Augen die Kommunisten (ebd.) stecken. Hier spielt Dürrenmatt auf den Kalten Krieg an, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen den beiden Machtblöcken der USA und der Sowjetunion immer mehr in den Fokus rückte und als Konfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus lange Zeit die Weltpolitik bestimmte. Im Zuge dessen wurde die kommunistische Ideologie zum Feindbild des Westens erklärt, da dieser die Zerstörung der westlichen demokratischen Welt zugrunde lag.

Dass nach Dürrenmatt bei den Schweizern Geld und Ansehen eng miteinander in Verbindung stehen, wird im Gespräch zwischen Tschanz und den Dorfpolizisten deutlich. Gastmann entpuppt sich bei Letzteren automatisch als angesehener Bürger, da er offensichtlich reich ist und damit nicht hinter dem Berg hält: »Er nicht Geld verdienen, er Geld haben. Er zahlen Steuern für das ganze Dorf Lamboing. Das genügt für uns, daß Gastmann ist der sympathischste Mensch im ganzen Kanton.« (S. 41)

In den nächsten beiden Szenen lässt sich langsam ahnen, dass Bärlach etwas im Schilde führt. Zum einen konfrontiert er seinen Kollegen Tschanz direkt am Tatort mit einer Situation, die derjenigen des Opfers Schmied gleicht. Tschanz »wurde weiß vor heimlichem Entsetzen« (S. 43). Zum anderen dankt er dann zu Hause angekommen Tschanz dafür, dass er ihm das Leben gerettet hat. Die Worte stehen aber in Kontrast zu seiner Handlung, mit der angedeutet wird, dass er auf den Angriff des Hundes schon vorbereitet war, denn seinen linken Arm hatte er »mit dicken Tüchern umwickelt, wie es bei jenen Brauch ist, die ihre Hunde zum Anpacken einüben« (S. 44).

Veröffentlicht am 3. März 2024. Zuletzt aktualisiert am 3. März 2024.