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Der Richter und sein Henker

Zitate und Textstellen

  • »Ich bin ein großer alter schwarzer Kater, der gern Mäuse frisst.«
    – Bärlach, S. 21

    Schon beim ersten Zusammentreffen zwischen Bärlach und Tschanz wird deutlich, dass ihr Verhältnis gestört ist. Tschanz stellt sich in ein gutes Licht, gibt sich professionell und möchte seinen Vorgesetzten von seinen Kompetenzen überzeugen. Bärlach ist jedoch argwöhnisch und hat Tschanz schon eindeutig als Mörder in Verdacht. Mit dieser hintergründigen Äußerung verunsichert er ihn, da er damit die Machtverhältnisse zwischen ihnen beiden klarstellt: Er ist der Verfolger, die Katze, sein Kollege, der Verfolgte, die Maus. Bärlach kündigt praktisch zum einen sein gnadenloses Katz- und Mausspiel an, das er von nun an mit seinem Kollegen beginnt, um ihn als Mörder letztendlich zur Strecke zu bringen. Zum anderen bringt er damit auch seine Leserschaft auf die Spur von Tschanz.

  • »So hatte ihn das Böse immer wieder in seinen Bann gezogen, das große Rätsel, das zu lösen ihn immer wieder aufs neue lockte.«
    – Erzähler, S. 33

    Die Szene der nächtlichen Begegnung mit Gastmanns Hund, der Bärlach unvermutet anfällt und den dieser als Bestie bezeichnet, kann als Allegorie gedeutet werden. Der Hund steht sinnbildlich für den Machtbereich seines Widersachers Gastmanns, der für Bärlach den Inbegriff des Bösen verkörpert. Der Kommissar ist von dieser Macht gelähmt und fasziniert zugleich. Diese tiefe innere Verstrickung bringt Bärlach dazu, dem Bösen wie besessen hinterherzujagen, um es zu besiegen, was ihm jedoch nicht gelingt. Er entgeht zwar hier sinnbildlich dem Ungeheuer des Bösen, dem Hund, verfällt und unterliegt ihm aber letztendlich doch, da er den Rechtsweg verlässt und selbst zum Verbrecher wird. Es kann angenommen werden, dass Dürrenmatt beim Entwurf dieser Szene den Höllenwächter Cerberus, einen dreiköpfigen Hund, im Sinne hatte, der nach der griechischen Mythologie den Eingang zur Unterwelt bewacht.

  • »Gegen einen Nationalrat kann man nichts machen, sagte Bärlach, und wenn er Oberst und Advokat dazu ist, hat er drei Teufel auf einmal im Leib. Da stehen wir mit unserem schönen Mord und können nichts damit anfangen.«
    – Bärlach, S. 39

    In der Figur des Oskar von Schwendi, die Dürrenmatt geschaffen hat, spiegelt sich seine Gesellschaftskritik an der Schweiz besonders wider. Von Schwendi gehört zur gesellschaftlichen Elite des Landes und hat gleich drei bedeutende Machtpositionen inne: als Nationalrat ist er Politiker, als Oberst im Militär und als Advokat spielt er auch im Rechtssystem eine wichtige Rolle. So besitzt er nach Bärlach drei teuflische Kräfte, die er für seine Zwecke einsetzt. Er nutzt seine Macht und seinen Einfluss, um die geheimen Geschäfte der Schweizer Wirtschaftselite mit dem Ausland zu decken, womit er gleichzeitig auch die Ermittlungsarbeiten der Polizei nicht nur behindert, sondern sogar lahmlegt.

  • »Sie rannten auf die Trauergemeinde zu, stürzten in sie hinein, zwischen Frau Schönler und Tschanz, ohne daß sie gehindert wurden, denn alle waren wie erstarrt, und schon taumelten sie hinweg durch das nasse Gras, sich aneinander stützend, sich umklammernd, über Grabhügel fallend, Kreuze umwerfend, in gigantischer Trunkenheit.«
    – Erzähler, S. 61

    Die Beerdigung Schmieds findet in einer beklemmenden, trostlosen Atmosphäre statt. Durch die beiden Betrunkenen, die wie aus dem Nichts auftauchen, durchbricht Dürrenmatt abrupt die feierliche Trauerfeier. Die wenigen Worte des Untersuchungsrichters Dr. Lutz, der gerade zu einer Rede angesetzt hat, erscheinen durch das schockartige Auftauchen und das groteske Verhalten der beiden Gestalten absurd. Die beiden Diener Gastmanns zerstören sogar mutwillig die Gräber, indem sie die Kreuze umwerfen, was als ein Angriff auf die christlichen Werte verstanden werden kann. Mit dieser Szene verdeutlicht Dürrenmatt seine eigene Sichtweise auf die Welt: Das Böse kann immer und überall wie zufällig über die Menschen hereinbrechen und mit seiner zerstörerischen Kraft Unheil anrichten.

  • »Wir liebten uns auf den ersten Blick, wie wir einander zwischen Juden im Kaftan und schmutzigen Griechen gegenübersaßen.«
    – Gastmann, S. 65

    Bei einem zufälligen Zusammentreffen erliegen zwei vordergründig unterschiedliche Individuen – der eine ein rechtschaffener Polizeibeamter, der andere ein abenteuerlustiger Reisender – einer teuflischen Versuchung. Vom ersten Augenblick an fühlen sie sich auf eine unheilvolle Art und Weise voneinander angezogen. Basis dieser Verbindung ist die Faszination des Bösen, die auf beide Personen einen Reiz ausübt, sodass sie sich durch eine unmoralische Wette zeitlebens aneinanderketten. Zwischen beiden entsteht eine toxische Beziehung, in der sie mit einer Art Hassliebe einen Zweikampf miteinander eingehen, bei dem sich die Grenzen zwischen Verfolger und Verfolgtem allmählich auflösen. Sie verschmelzen schließlich in der Magie des Bösen zu einer Einheit und bezahlen beide mit dem Tod, ohne dass einer als Sieger aus dieser Wette hervorgeht.

  • »Bei ihm ist das Böse nicht der Ausdruck einer Philosophie oder eines Triebes, sondern seiner Freiheit, der Freiheit des Nichts.«
    – Schriftsteller, S. 83

    Der Schriftsteller fühlt sich vom Phänomen des Bösen angezogen und ist daher von der Lebensphilosophie Gastmanns beeindruckt. Aus diesem Grund macht er sich ein Bild von ihm, wozu ein Spiegelbild gehört. Nach diesem Konstrukt ist Gastmann ein Mensch, der je nach Lust und Laune, das Gute ebenso wie das Schlechte, ausführen kann. So wie das Gute jederzeit machbar ist, könne er auch jederzeit sein menschliches Handeln auf das Böse richten. Das Ausleben seiner Freiheit, jenseits einer persönlichen Verantwortung, ist sein höchstes Gut. Er fühlt sich an keine Rechtsordnung gebunden, sondern betreibt hemmungslos seine Selbstverwirklichung bis zum Exzess.

  • »Es ist mir nicht gelungen, dich der Verbrechen zu überführen, die du begangen hast, nun werde ich dich eben dessen überführen, die du nicht begangen hast.«
    – Bärlach, S. 100

    Bärlach hat zeit seines Lebens versucht, als rechtschaffener Polizeibeamter mit den legalen Mitteln, die ihm in einem Rechtsstaat zur Verfügung stehen, Gastmann eines Verbrechens zu überführen. Mit dieser Aussage gesteht er sich seine Niederlage ein. Es ist ihm nie gelungen, das Böse zu besiegen, sodass er sich seiner Ohnmacht und Hilflosigkeit bewusst wird. Da er jedoch ein Gerechtigkeitsfanatiker ist, gibt er nicht klein bei, sondern kündigt hier an, dass er nun sogar den Boden der rechtlichen Ordnung verlassen wird, um den Verbrecher doch noch zur Strecke zu bringen.

  • »Man verhandelt offiziell, die Diplomaten wollen doch etwas zu tun haben. Aber man verhandelt noch mehr inoffiziell, und in Lamboing wird privat verhandelt. Es gibt schließlich in der modernen Industrie Verhandlungen, in die sich der Staat nicht einzumischen hat, Herr Untersuchungsrichter.«
    – Oberst von Schwendi, S. 51

    Oberst von Schwendi, arrogant und selbstgefällig, klärt seinen Parteikollegen Dr. Lutz von oben herab darüber auf, wie die Weltwirtschaft funktioniert. Für ihn ist es selbstverständlich, dass Verhandlungen zwischen den Wirtschaftseliten verschiedener Staaten auch an den Politikern vorbei, jenseits von Recht und Gesetz, stattfinden – so, als handele es sich geradezu um ein geltendes Recht einer bestimmten Elite, ihre Verhandlungen im Geheimen zu führen. Dürrenmatt prangert damit indirekt das Verhalten der Schweizer Politik an, die sich zwar die politische Neutralität auf ihre Fahnen geschrieben hat, in Zeiten des Kalten Krieges aber insgeheim hinter verschlossenen Türen illegale Geschäfte mit dem Feind aushandelt.

  • »In der Mappe sind die einzigen, wenn auch dürftigen Beweise, die Schmied in Lamboing für dich gesammelt hat. Ohne diese Mappe bist du verloren. Abschriften oder Fotokopien besitzest du nicht. Ich kenne dich.«
    – Gastmann, S. 72

    Die Mappe ist insofern für den Verlauf der Handlung von Bedeutung, als dass sie wichtiges Beweismaterial des Polizisten Schmied zur Überführung Gastmann enthält. So versuchen sowohl Tschanz als auch Gastmann in deren Besitz zu kommen. Tschanz scheitert, Gastmann hat jedoch Erfolg und nimmt die Mappe bei einem Einbruch in das Haus des Arztes von Bärlach an sich. Ab diesem Moment müsste der Kommissar ein Einsehen haben, dass er nichts mehr gegen ihn in der Hand und die Wette verloren hat. Anstatt aufzugeben, entscheidet Bärlach sich jedoch dazu, sich illegaler Methoden zu bedienen, um den Verbrecher endlich zu überführen. Daraus ergibt sich nochmals eine Zuspitzung des Kampfes der beiden Kontrahenten.

  • »Der Alte reckte sich in seinem Stuhl, nun nicht mehr krank und zerfallen, sondern mächtig und gelassen, das Bild einer übermenschlichen Überlegenheit, ein Tiger, der mit seinem Opfer spielt, und trank den Rest des Champagners aus.«
    – Erzähler, 112 f.

    In der Schlussszene, in der Bärlach seinen Kollegen Tschanz zu einem Abendessen einlädt, verwandelt sich der an Magenkrebs erkrankte Kommissar zu einem fresssüchtigen Monster. Diese Wandlung ist notwendig, um den Mörder Tschanz zu entlarven. Durch seine ungeheure Fressgier, die Bärlach an den Tag legt, verwirrt er sein Opfer und drängt es nun endgültig in die Enge. Diese Henkersmahlzeit bildet den Höhepunkt und den gleichzeitigen Abschluss seines grausamen Spiels mit Tschanz, denn Bärlach lässt die Falle jetzt zuschnappen. Dürrenmatt arbeitet hier mit stark überzeichneten grotesken Bildern, sodass das Diabolische der Szene besonders zum Ausdruck kommt und den Eindruck einer disharmonischen Welt hinterlässt, die vollkommen aus den Fugen geraten ist.

Veröffentlicht am 3. März 2024. Zuletzt aktualisiert am 3. März 2024.