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Die Leiden des jungen Werthers

Briefe 16. Juni–26. Juli 1771

Zusammenfassung

Werthers letzter Brief an Wilhelm liegt inzwischen über zwei Wochen zurück. Sein Brief vom 16. Juni ist einer der wenigen, in denen er eine Frage von Wilhelm aufgreift, nämlich die, warum er seinem Freund nicht mehr schreibe. Er antwortet darauf, dass es ihm gut gehe und er eine Bekanntschaft gemacht habe. Hier erwähnt er zum ersten Mal Lotte, die Tochter des Amtmanns, der Werther zu sich eingeladen hatte. Diese Einladung habe Werther allerdings, wie er schreibt, nicht wahrgenommen. Stattdessen begegnet er Lotte in einer Kutsche, in der er in Begleitung mehrerer Damen zu einem Ball fährt. Lotte soll an ihrer Haustür abgeholt werden. Schon bevor sie zusteigt, bemerkt eine der Damen scherzhaft zu Werther, dass er sich nicht verlieben solle: Lotte sei sehr schön, aber bereits vergeben.

Werther steigt aus der Kutsche, um Lotte entgegenzugehen. Aus der Ferne beobachtet er, wie sie ihren jüngeren Geschwistern ihr Abendessen gibt. Er ist sofort fasziniert von ihrer Natürlichkeit und ihrer Fürsorge für die Kinder. Als die beiden schließlich zusammen in der Kutsche sitzen, fangen sie ein Gespräch an, bei dem Werther vollkommen vergisst, dass sie nicht allein sind. Die Base, die mit ihnen fährt, mustert ihn spöttisch, weil ihr sein Verhalten auffällt.

Während Lotte auf dem Ball ausschließlich mit ihrem Tanzpartner tanzt, fordert Werther eine Dame nach der anderen auf, obwohl er nur darauf wartet, endlich mit Lotte tanzen zu können. Als es schließlich dazu kommt, ist er erneut gänzlich hingerissen von Lottes Anmut und Selbstvergessenheit. Eine freundliche alte Dame geht an ihnen vorbei, hebt scherzhaft drohend den Finger und erwähnt den Namen Albert. Als Werther erfährt, dass es sich bei Albert um Lottes Verlobten handelt, ist er verwirrt und macht einige falsche Schritte, was zu einem Durcheinander beim Tanz führt.

Kurz darauf bricht ein Gewitter los und die Musik verstummt. Einige der Frauen bekommen Angst, manche fangen sogar an zu weinen. Lotte hingegen bleibt ruhig und versucht, die Gesellschaft mit einem Spiel von dem Unwetter abzulenken, was auch gelingt. Als Lotte ans Fenster tritt, um das abziehende Gewitter zu beobachten, stellt sich Werther zu ihr. In der gemeinsamen Naturbetrachtung und der damit verbundenen Erwähnung des Dichters Klopstock erleben sie einen Moment tiefer Gemeinsamkeit. Erst spät in der Nacht verlassen beide, erneut in derselben Kutsche, den Ball. Als Lotte die Kutsche verlässt, bittet Werther sie darum, sie noch am selben Tag wiedersehen zu dürfen.

Im Brief vom 21. Juni schildert Werther euphorisch sein Glück und seine Gefühle für Lotte. Er verbringt nun viele Stunden in ihrer Gegenwart und ist im Haus ihres Vaters ein gern gesehener Gast. Rückblickend erscheint es ihm wunderbar und schicksalhaft, dass er so oft zu Fuß nach Wahlheim gegangen ist, ohne zu wissen, dass Lotte in dem Haus lebt, welches er auf seinen Spaziergängen in der Ferne gesehen hat.

In seinem Brief vom 29. Juni erzählt Werther von einem Arzt, der beim Amtmann vorbeigekommen sei, während er gerade mit den Kindern gespielt habe. Er habe ihm angesehen, dass der Arzt diese Beschäftigung würdelos für einen klugen Menschen fand. Später habe er sich sogar in der Stadt darüber beklagt, dass Werther die ohnehin schon ungezogenen Kinder des Amtmanns verderben würde.

Der Brief vom 1. Juli handelt von einem Besuch, den Lotte, eine ihrer Schwestern und Werther dem Pfarrer einer nahegelegenen Ortschaft und dessen Frau machen. Ihr Gespräch dreht sich zunächst um einen Nussbaum, der anlässlich der Geburt der Pfarrersfrau im Garten gepflanzt worden war. Die hübsche Pfarrerstochter Friederike kommt zusammen mit einem gewissen Herrn Schmidt hinzu, der sich als ihr Liebhaber herausstellt. Als die jungen Leute gemeinsam spazieren gehen, reagiert Herr Schmidt eifersüchtig, weil Werther sich gut mit Friederike versteht. Lotte macht ihn darauf aufmerksam und Werther ärgert sich darüber, dass ausgerechnet junge Menschen sich gegenseitig das Leben mit schlechter Laune schwer machten. Beim gemeinsamen Abendessen im Pfarrhaus spricht er erneut darüber und meint, die Menschen würden sich generell zu oft beklagen und das Leben sei ihnen nie recht. Würde man üble Laune wie Trägheit behandeln und sich aufraffen, würde es einem dadurch besser gehen. Wenn man einander schon nicht glücklich machen könne, solle man einander wenigstens nicht die gute Stimmung verderben. Am Ende treffen ihn seine eigenen Worte so sehr, dass er das Taschentuch nehmen und vom Tisch aufstehen muss. Lotte geht ihm hinterher und bittet ihn, sich zu schonen, was ihn ruhiger macht.

An einem der nächsten Tage geht er mit Lotte und ihren jüngeren Schwestern Marianne und Malgen (= Malchen) spazieren. Als sie eine Pause einlegen, möchte Malgen Lotte ein Glas Wasser reichen und besteht darauf, dass sie noch vor Marianne daraus trinkt. Werther findet ihr Verhalten so entzückend, dass er sie lebhaft küsst, was Malgen zum Weinen bringt. Lotte tadelt ihn für sein Verhalten und lässt Malgen sich am Fluss waschen. Werther ist beschämt und zugleich voller Ehrfurcht gegenüber Lotte.

Im Brief vom 8. Juli beschreibt Werther eine Situation, in der Lotte, in einer Gruppe stehend, alle Personen außer ihm angesehen habe. Erst nachdem sie in eine Kutsche gestiegen sei, habe sie noch einmal ihren Kopf hinausgesteckt. Werther ist nun unsicher, ob sie sich nach ihm hatte umsehen wollen, und gesteht Wilhelm, wie kindisch sein Kreisen um diese Begebenheit ihm selbst vorkomme.

Werther ist schließlich überzeugt davon, dass Lotte seine Liebe erwidere. Dabei erschreckt ihn jedoch der Gedanke an ihren Verlobten Albert, von dem sie mit Wärme und Liebe spricht. Er beschreibt, wie sehr ihn Lottes zufällige Berührungen erregen und zugleich quälen, etwa, wenn sich ihre Hände beiläufig streifen. Zugleich betont er, dass es kein körperliches Begehren sei, das ihn zu ihr hinziehe. Vielmehr beschreibt er sie als eine Art Heilige, in deren Gegenwart seine Begierde schweige.

In den Briefen vom 18. bis zum 26. Juli spricht Werther fast ausschließlich über seine Verliebtheit. Sein erster Gedanke am Morgen gilt Lotte. Er schickt sogar seinen Diener zu ihr, wenn er sie an einem Tag nicht selbst besuchen kann, nur, um jemanden um sich zu haben, der in ihrer Nähe gewesen ist. Zwar habe er versucht, sie seltener zu sehen, aber es gebe schließlich doch immer wieder Gründe, zu ihr zu gehen. Nur in seinem Brief vom 20. Juli unterbricht er seine Schwärmerei und geht auf Wilhelms Idee ein, mit einem Gesandten an einen anderen Ort zu gehen. Seine Mutter wünscht sich, dass er wieder tätig wird, aber er ist der Ansicht, dass er bereits aktiv sei und die Bedürfnisse anderer nicht über seine eigenen stellen solle. Es gebe wichtigere Dinge als Geld und Ehre.

Sein Brief vom 26. Juli endet mit dem Eingeständnis, er fühle sich zu Lotte hingezogen wie die eisernen Schiffsteile zu einem »Magnetenberg« im gleichnamigen Märchen, das ihm seine Großmutter einst erzählt hat. In der Geschichte wird alles eiserne Material der Schiffe, die an diesem Berg vorbeifahren, magnetisch angezogen, einschließlich Nägeln, Schrauben etc. So fallen die Bretter über der Besatzung zusammen und begraben sie unter sich.

Analyse

In diesem Abschnitt vollzieht sich ein inhaltlicher Wandel. In seinen ersten Briefen hatte Werther häufig von der Natur gesprochen, die von ihm zwar immer noch geschildert wird, aber nicht mehr so präsent ist wie zuvor. Seine Schwärmerei für die Natur ist nun der Begeisterung für Lotte gewichen. Während Werther sich anfangs in seinen Briefen darüber beklagt hatte, wie sehr man in gesellschaftlichen Konventionen gefangen sei, betrachtet er den Umstand, dass Lotte »all [s]einen Sinn gefangen genommen« (36) habe, im Unterschied dazu positiv. Auch werden Begriffe, die dem semantischen Feld des Glaubens und Christentums zugeordnet werden können und mit denen Werther zuvor die Natur beschrieben hatte, nun im Zusammenhang mit Lotte genannt. Sie sei ein »Engel« (ebd.), »vollkommen« (ebd.), ihm »heilig« (78), und Wahlheim liegt »nahe am Himmel« (56).

Werther beschreibt, wie er Lotte kennengelernt hat. Dabei spiegeln – charakteristisch für die Epoche des Sturm und Drang – Naturereignisse sein inneres Erleben. Die Base spricht in der Kutsche von Lotte, noch bevor Werther sie das erste Mal sieht, und sagt ihm, er solle aufpassen, sich nicht in sie zu verlieben. Werther reagiert darauf mit Gleichgültigkeit, doch unmittelbar danach wird ein heranziehendes Gewitter erwähnt (38). Dieses Gewitter bricht später tatsächlich herein: Nachdem Lotte und Werther den Abend mit gemeinsamen Tänzen verbracht und sich dabei besser kennengelernt haben, spricht Lotte über ihren Verlobten Albert. Kurz darauf kommen die Blitze näher, die zuvor nur als Wetterleuchten in der Ferne zu sehen waren, und starker Donner übertönt die Musik: »Der Tanz war noch nicht zu Ende, als die Blizze, die wir schon lange am Horizonte leuchten gesehn, und die ich immer für Wetterkühlen ausgegeben hatte, viel stärker zu werden anfingen, und der Donner die Musik überstimmte.« (50) Die Naturschilderung umschreibt metaphorisch, wie Werther den Gedanken an Albert anfangs beiseite schiebt, schließlich aber die Tatsache, dass Lotte verlobt ist, nicht mehr verdrängen kann.

Auch als das Donnergrollen sich schließlich entfernt und Werther mit Lotte an ein Fenster tritt, wird die Natur Ausdruck seiner Gefühle. Er beschreibt das Gewitter nun nicht mehr als angsteinflößend, sondern spricht über den »herrliche[n] Regen« (52) und den »erquikkendste[n] Wohlgeruch« (32), der ihnen in die Nase steigt. Diesen Moment voller Emotionen teilt er mit Lotte. Beide sind von dem Anblick gerührt, der Lotte an Klopstocks Ode »Die Frühlingsfeier« erinnert.

Das Naturmotiv zieht sich auch durch die folgenden Briefe. Werther schreibt am 19. Juli über den »liebwürdigste[n] Sonnenaufgang« (54), der sich zeigt, als er Lotte nach Hause bringt. In seinem nächsten Brief vom 21. Juni beschreibt er wieder einmal einen Spaziergang und benutzt dabei das Diminutiv »Wäldchen« (56), eine Verniedlichung, die er zu Beginn häufiger verwendet, wenn er die Natur beschreibt.

In diesem Brief erwähnt Werther auch seine aktuelle Lektüre, Homers »Odyssee«, und vergleicht sich selbst mit den Freiern, die um Penelope buhlten, während sich ihr Mann Odysseus fern der Heimat befand. Auch Werther wirbt um Lotte, während ihr Mann Albert abwesend ist. Es ist jedoch nicht diese direkte Parallele, die er zieht. Vielmehr schildert er, wie er sich beim Kochen und Braten von Fleisch mit dem archaischen Leben verbunden fühlt, das die Freier der Penelope führten:

    Da fühl ich so lebhaft, wie die herrlichen übermüthigen Freyer der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte, als die Züge patriarchalen Lebens, die ich, Gott sey Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann. (58)

Als Werther mit Lotte den Pfarrer und dessen Frau besucht (Brief vom 1. Juli), spricht die Runde darüber, wie Menschen anderen Menschen mit übler Laune den Tag verderben könnten. Die Pfarrersfrau bemerkt: »Wir haben aber unser Gemüth nicht in unserer Gewalt […] wie viel hängt vom Körper ab! wenn man nicht wohl ist, ist’s einem überall nicht recht« (64). Die üble Laune wird hier mit einer Krankheit verglichen. Werther ist zu diesem Zeitpunkt noch der Überzeugung, man müsse Übellaunigkeit wie Trägheit bekämpfen und einfach in Bewegung kommen (64 u. 66), aber im weiteren Verlauf der Handlung macht Werther sich diese Erklärung der Pfarrersfrau zu eigen und nimmt das Thema der Krankheit in späteren Briefen und Gesprächen über dieses Thema selbst auf.

Schließlich beschreibt Werther seinen inneren Zwiespalt, weil er Lotte seltener hatte besuchen wollen, seinen Vorsatz aber immer wieder verwirft. Er fühlt sich wie im Märchen vom Magnetenberg, in dem »die Schiffe die zu nahe kamen, […] auf einmal alles Eisenwerks beraubt [wurden], die Nägel flogen dem Berge zu, und die armen Elenden scheiterten zwischen den übereinander stürzenden Brettern« (84). Diese Metapher kann auf den gesamten Verlauf seiner Liebesgeschichte bezogen werden. Werther fühlt sich immer wieder hilflos zu Lotte hingezogen. Auch der Umzug in eine andere Stadt hält ihn nicht davon ab, später wieder zu ihr zurückzukehren. Am Ende scheitert er wie die erwähnten »Elenden« im Märchen, und die Bretter des Schiffs können als Bild für die verschiedenen Elemente seines Lebens stehen – Arbeit, gesellschaftliche Verpflichtungen, Freunde –, die angesichts seiner heillosen Gefühle über ihm zusammenbrechen und sein ›Lebensschiff‹ sinken lassen.

Veröffentlicht am 1. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 8. Mai 2023.