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Die Leiden des jungen Werthers

Zitate und Textstellen

  • »Brauch ich Dir das zu sagen, der Du so oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zur Ausschweifung, und von süsser Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehn zu sehen.«
    – Werther an Wilhelm in seinem Brief vom 13. Mai 1771, S. 16

    Dieses Zitat findet sich ganz zu Anfang des Werkes und gibt eine Vorahnung auf die weitere Entwicklung der Handlung. Werther sagt von sich selbst, dass sein Kummer sich schon bei früheren Gelegenheiten in »verderbliche« Leidenschaft gewandelt habe. Damit antizipiert er das später zentrale Thema seiner Briefe, seine Leidenschaft für Lotte.

  • »Es ist natürlich, wenn uns ein Unglük oder etwas schrökliches im Vergnügen überrascht, daß es stärkere Eindrükke auf uns macht, als sonst, theils wegen dem Gegensazze, der sich so lebhaft empfinden läßt, theils und noch mehr, weil unsere Sinnen einmal der Fühlbarkeit geöffnet sind und also desto schneller einen Eindruk annehmen.«
    – Werther in seinem Brief vom 16. Juni 1771 an Wilhelm, S. 50

    Auch in diesem Brief findet sich ein Vorausblick auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Werther fängt an, seine Gefühle Lotte gegenüber zu offenbaren, und als Albert schließlich – für Werther unverhofft – wieder zurückkehrt, verkehrt sich sein zuvor intensiv gefühltes Glück in noch intensiver empfundene Traurigkeit, aus der später Verzweiflung wird.

  • »wir Menschen beklagen uns oft […], daß der guten Tage so wenig sind, und der schlimmen so viel, und wie mich dünkt, meist mit Unrecht«
    – Werther in einem Gespräch auf dem Pfarrhof, Brief vom 1. Juli 1771, S. 64

    Werther ist hier noch der Überzeugung, dass man trübsinnige Stimmungen bekämpfen sollte, indem man sich einfach aufrafft. Interessant ist der Gegensatz zum zweiten Teil des Werkes, der sich in diesem Zitat findet. Während Werther hier noch jene Menschen verurteilt, die sich so oft über die schlechten Tage beklagen und das Schöne und Gute im Leben nicht sehen können, entwickelt er sich später selbst in genau diese Richtung.

  • »ein Kerl, der um anderer willen, ohne daß es seine eigene Leidenschaft ist, sich um Geld, oder Ehre, oder sonst was, abarbeitet, ist immer ein Thor«
    – Werther in seinem Brief vom 20. Juli 1771 an Wilhelm, S. 27

    Hier findet sich eines der zentralen Merkmale des Sturm und Drang, nämlich der Wunsch nach individueller Freiheit und Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung. Werther möchte keiner Arbeit nachgehen, wenn es nicht aus innerem Antrieb heraus geschieht, sondern nur, um es anderen recht zu machen. Für ihn ist es Torheit, sich so sehr um Geld und Ehre zu bemühen, dass man dafür die Freuden des Lebens aufgibt.

  • »Meine Großmutter hatte ein Mährgen vom Magnetenberg. Die Schiffe die zu nahe kamen, wurden auf einmal alles Eisenwerks beraubt, die Nägel flogen dem Berge zu, und die armen Elenden scheiterten zwischen den übereinander stürzenden Brettern.«
    – Werther in seinem Brief vom 26. Juli 1771 an Wilhelm, S. 84

    Dieses Zitat ist aus einem Brief, der kurz vor Alberts Rückkehr geschrieben wird. Hier spielt Werther mit einer Vorahnung, die auf sein späteres Schicksal deutet. Das Zitat fungiert als Metapher. Werther ist wie das Schiff, das dem Magnetenberg – Lotte – zu nahe kommt; wie das Schiff wird er all dessen beraubt, was ihm Struktur und Halt gibt, und seine Existenz stürzt daraufhin zwangsläufig in sich zusammen.

  • »Ihr steht so gelassen, so ohne Theilnehmung da, ihr sittlichen Menschen, scheltet den Trinker, verabscheuet den Unsinnigen, geht vorbey wie der Priester, und dankt Gott wie der Pharisäer, daß er euch nicht gemacht hat, wie einen von diesen.«
    – Werther in einem Gespräch mit Albert, Brief vom 12. August 1771, S. 94

    Werther äußert diesen Satz in dem Streitgespräch, das er mit Albert über den Suizid führt. Er kritisiert es, lebensmüde Menschen zu verurteilen, statt danach zu fragen, was sie in ihre Situation gebracht hat. Dabei vergleicht er die Position des Bürgertums und der Kleriker mit den biblischen Pharisäern und ihrem Stolz auf ihre äußerlich moralische Haltung, die in Wahrheit von Mitleidlosigkeit zeugt und damit echten christlichen Werten entgegensteht.

  • »Ich sehe nichts, als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheur«
    – Werther an Wilhelm in seinem Brief vom 18. August 1771, S. 108

    Der Kontrast zu Werthers vorheriger Stimmung wird immer deutlicher. Während er zuvor die Natur als ein Heiligtum, als ein Paradies bezeichnet hat, wird sie nun in seinen Augen zu einem Monstrum und Ungeheuer. Das Zitat spiegelt seinen Blick auf die gesamte Welt wider, darauf, dass er keine Freude mehr sehen kann, sondern nur noch das Unglück, das ihn zu »verschlingen« droht.

  • »Und das glänzende Elend die Langeweile unter dem garstigen Volke das sich hier neben einander sieht. Die Rangsucht unter ihnen, wie sie nur wachen und aufpassen, einander ein Schrittgen abzugewinnen, die elendesten erbärmlichsten Leidenschaften, ganz ohne Rökgen!«
    – Werther an Wilhelm in seinem Brief vom 24. Dezember 1771, S. 130

    Hier zeigt sich die für den Sturm und Drang typische Kritik an der Ständegesellschaft. Werther begegnet Personen mit Widerwillen, die sich allein auf ihre Standeszugehörigkeit berufen oder versuchen, innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie aufzusteigen. In seinen Augen gehört dieser Wunsch zu den niedrigsten menschlichen Motiven, und der Ausdruck »ganz ohne Rökgen« (= Röckchen), also nackt, weist darauf hin, dass viele Menschen diesem Streben ganz unverhohlen nachgehen und es ihnen nicht einmal peinlich ist, da es allgemeiner gesellschaftlicher Konsens ist.

  • »Die Sonne geht herrlich unter über der schneeglänzenden Gegend, der Sturm ist hinüber gezogen, und ich – muß mich wieder in meinen Käfig sperren.«
    – Werther an Lotte in seinem Brief vom 20. Januar 1772, S. 136

    Wie sich Werthers Gefühlswelt umkehrt, so kehrt sich auch sein Blick auf die Dinge um, die ihm einst Freude bereitet haben. In dieser Szene sitzt er während eines Schneesturmes einsam in einer Berghütte. Während Werther sich stets nach grenzenloser Freiheit gesehnt (und sich darin als typische Romanfigur des Sturm und Drang gezeigt) hat, so würde er nun lieber weiter in der Berghütte eingesperrt sein, abgeschottet von den Menschen draußen. Er empfindet die Einsamkeit nicht als Gefängnis; stattdessen liegt seine einzige noch verbliebene Freiheit nun gerade in der Isolation von der Außenwelt.

  • »ja, Lotte, warum sollt ich’s verschweigen: eins von uns dreyen muß hinweg, und das will ich seyn.«
    – Werther in seinem Abschiedsbrief an Lotte, 20. Dezember 1772, S. 224

    Der einzige Ausweg aus seinem furchtbaren Leiden scheint Werther, dass eine der Figuren in der Dreieckskonstellation Werther–Lotte–Albert stirbt. Er hat demnach auch darüber nachgedacht, Albert oder sogar Lotte zu töten. Weil er sich jedoch dagegen entscheidet und sich stattdessen selbst das Leben nimmt, sieht Werther sich als tragischen Helden. Eine weitere Rolle, die er einnimmt, ist die des Märtyrers, was die Wendung: »ich [...] opfere [mich] für dich« im selben Brief beweist.

Veröffentlicht am 1. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 1. Mai 2023.