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Die Leiden des jungen Werthers

Briefe 20. Dezember–23. Dezember 1772

Zusammenfassung

Wilhelm hat scheinbar einen Versuch unternommen, Werther zurück nach Hause zu holen. Werther jedoch lehnt diesen Vorschlag ab. Er will nurmehr, dass Wilhelm seiner Mutter ausrichte, sie möge für ihn beten und er bitte sie um Verzeihung.

Obwohl dieser Teil des Romans also mit einem Brief Werthers an Wilhelm beginnt, handelt es sich noch immer um den vom fiktiven Herausgeber veröffentlichten Teil, der (Abschnitte von) Briefe(n) Werthers ebenso enthält wie Gedanken und Gefühle der anderen Figuren, die bisher kaum vorgekommen sind. Es findet also stellenweise ein Perspektivenwechsel statt. So wird jetzt u. a. von Lotte berichtet, sie habe sich Alberts Wunsch, Werther aus ihrem Leben zu entfernen, zu Herzen genommen und sei fest entschlossen, diesem auch nachzukommen.

Der Herausgeber schildert, wie Werther am Sonntag vor Weihnachten Lotte besucht und diese ihn bittet, erst am Donnerstag, dem Weihnachtsabend, wieder zu erscheinen. Werther ist unglücklich über diese Aufforderung, während Lotte sehr deutlich macht, dass sie ihm unmöglich geben kann, wonach er sich sehnt. Dabei äußert sie auch den Verdacht, dass es gerade diese Unmöglichkeit sei, die ihn nur umso stärker an seinen Wunsch binde. Werther ist der Überzeugung, Albert habe Lotte diesen rationalisierenden Gedanken in den Kopf gesetzt. Doch Lotte ist sicher, dass Werther eine passendere Partnerin finden könnte als sie, wenn er es denn nur wollte. So könnten sie auch wieder ihre Freundschaft genießen. Als das Gespräch schließlich von Albert unterbrochen wird, geht Werther.

Am Tag darauf hat Werther den Entschluss gefasst zu sterben, wie die Lesenden vom Herausgeber erfahren, der Werthers Abschiedsbrief an Lotte vom 21. Dezember wiedergibt: Werther beschließt, Lotte bereits an diesem Tag das letzte Mal zu sehen, um sich von ihr zu verabschieden, und ignoriert ihre Bitte, erst am Weihnachtsabend zu kommen.

Im Anschluss an den ersten Teil dieses Briefes schildert der Herausgeber die letzte Zusammenkunft der beiden. Lotte ist zunächst erschrocken und schilt Werther, weil er ihrem Wunsch nicht nachgekommen ist. Sie lässt unbemerkt zwei ihrer Freundinnen rufen, um nicht mit ihm allein zu sein, aber ihre Mägde kommen unverrichteter Dinge zurück, weil beide Freundinnen sich entschuldigen lassen. Schließlich fordert sie Werther auf, ihr aus seinen Übersetzungen einige Gesänge Ossians vorzulesen. In den Abschnitten des Herausgebers werden diese Texte in Auszügen wiedergegeben. (230–246)

Beide sind von den dramatischen Versen sehr berührt. In dieser emotionalen Situation küsst Werther Lotte, die ihn daraufhin wegstößt und sich in ein Nebenzimmer einschließt. Werther bleibt noch eine Weile in dem Zimmer, versucht, sich zu beruhigen, klopft verzweifelt an die verschlossene Tür und bittet Lotte darum, sich wenigstens von ihm zu verabschieden. Lotte aber schweigt hinter der Tür, und schließlich reißt Werther sich los und verlässt das Haus.

In seinem Abschiedsbrief an Lotte, den Werther weiterschreibt, während er gleichzeitig Vorbereitungen für den geplanten Suizid trifft und letzte Dinge regelt, entschuldigt er sich für sein Verhalten. Dabei schildert er zugleich sein Glück angesichts ihrer letzten Begegnung, denn an diesem Abend sei er endlich restlos davon überzeugt worden, dass Lotte seine Gefühle erwidere, ein Eindruck, den er bereits bei ihrer ersten Begegnung gehabt habe. Er verspricht ihr auch, dass sie sich im Jenseits wiedersehen und er Lottes Mutter dort ebenfalls begegnen werde.

Werther lässt Albert durch einen Knecht einen Zettel überbringen, auf dem er ihn nach einer Pistole fragt. Albert fordert Lotte auf, die Pistole zu holen. Sie hat ein schlechtes Gefühl dabei, traut sich aber Albert gegenüber nicht, von dem zu erzählen, was zwischen ihr und Werther vorgefallen ist. Obwohl sie Werther ohne Abschied fortgeschickt hat, fürchtet sie, Albert würde ihre Eröffnung nicht gut aufnehmen. Auch wagt sie nicht, ihre Sorge um Werthers Gesundheitszustand anzusprechen, da Albert Gespräche über Werther in letzter Zeit stets vermieden hat und sie ihm keine falschen Signale senden möchte.

Werther selbst ist entzückt darüber, dass gerade Lotte die Pistole, mit der er sich das Leben nehmen will, noch einmal in den Händen gehalten hat. Er trifft Vorbereitungen, begleicht kleine Schulden und geht ein letztes Mal spazieren. In seinem Abschiedsbrief an Albert entschuldigt er sich dafür, dass er sich in seine Ehe eingemischt und Unruhe zwischen ihm und Lotte ausgelöst habe. Wilhelm bittet er, seine Mutter zu trösten. Seinen Bedienten lässt er am Abend noch einmal Feuer nachlegen und schickt ihn anschließend nach Hause.

Danach wird vom Herausgeber mitgeteilt, dass Werther sich in der darauffolgenden Nacht in den Kopf geschossen hat. In seinem Abschiedsbrief an den Amtmann bittet er darum, seinen Körper unter zwei Lindenbäumen in einer Ecke des Kirchhofs zu vergraben, um es keinem Christen zuzumuten, neben ihm liegen zu müssen. Am anderen Morgen findet ein Bedienter Werther am Boden in seinem Blut liegend. Er atmet noch und man holt einen Arzt. Auch der Amtmann, Lotte, Albert und die Kinder kommen voller Entsetzen ins Zimmer. Lotte bricht ohnmächtig zusammen. Werther wird auf das Bett gelegt, doch der Arzt kann nichts mehr für ihn ausrichten. Die Anwesenden bleiben, bis Werther um die Mittagszeit verstirbt. Am Abend lässt der Amtmann ihn ohne Beisein eines Geistlichen an dem von Werther gewünschten Ort begraben. Nur er und seine Söhne folgen dem Sarg, der von Handwerkern getragen wird. Weder Albert noch Lotte sind in der Lage mitzugehen.

Analyse

In diesem Teil fällt zunächst auf, dass kaum noch eine Naturbeschreibung vorkommt. Es gibt nur wenige Textpassagen, in denen Werther auf die Natur eingeht. Eine davon findet sich am Tag, als er den Entschluss fasst, sein Leben zu beenden. »Zum letztenmale denn, zum letztenmale schlag ich diese Augen auf, sie sollen ach die Sonne nicht mehr sehen, ein trüber neblichter Tag hält sie bedeckt. So traure denn, Natur« (248). Er macht noch einen letzten Spaziergang, etwas, das er zuvor immer sehr gern gemacht hat und das nun seinen Abschied vom Leben dramatisch unterstreicht: »Wilhelm, ich habe zum letztenmale Feld und Wald und den Himmel gesehn« (258).

Kurz bevor er sich das Leben nimmt, schreibt er in seinem letzten Brief an Lotte, er »sehe noch durch die stürmenden vorüberfliehenden Wolken einzelne Sterne des ewigen Himmels« (260), eine Anspielung auf das Jenseits, in das Werther nach seinem Suizid zu gelangen hofft. So kommt einer Naturbeschreibung hier doch noch einmal besondere Bedeutung zu, und die Gleichgültigkeit, die Werther in der Zeit vor seinem Entschluss empfunden hat, scheint nun nicht mehr zu existieren. Das natürliche Himmelszelt wird zum Bild für die erwartete Ewigkeit.

Als Werther Lotte leidenschaftlich küsst, wird deutlich, dass sie diese Art der Zuneigung von ihm nicht will. Dass sie ihn aber abwehrt, weil sie seine Gefühle nicht erwidert, kann angesichts des Herausgebersatzes »Die Welt verging ihnen« [Hervorh. d. Verf.] zumindest bezweifelt werden. Sie schickt ihn weg und sagt: »Das ist das letztemal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder« (246). So bleibt es für die Lesenden ebenso wie für Werther selbst im Ungewissen, wie es tatsächlich in Lottes Innenwelt aussieht (vgl. auch die Analyse der Briefe vom 15. August bis 10. September 1771).

Ein Motiv, das charakteristisch für den Sturm und Drang ist, ist die Handlung eines Helden, der einen tragischen Konflikt nur durch Selbstmord, Selbstverstümmelung oder Mord auflösen kann. Der heldenhafte Selbstmord, durch den die Leben anderer Menschen gerettet werden, wird auch im Christentum nicht verurteilt. Auch Werther sieht sich als Held, der mit seinem Tod das Leben von Lotte und Albert rettet, wenn er schreibt, er »opfere« sich für Lotte und fortfährt: »eins von uns dreyen muß hinweg, und das will ich seyn!« (224).

Obwohl Werther an früherer Stelle deutlich gemacht hat, dass er mit christlichen Vorstellungen und Prinzipien nicht viel anfangen kann, verkündet er angesichts der Wünsche für sein Begräbnis, er wolle »frommen Christen nicht zumuthen, ihren Körper neben einem armen Unglücklichen niederzulegen.« (262) Stattdessen möchte er bei zwei Lindenbäumen begraben werden. Tatsächlich heißt der letzte, berühmte Satz des Romans: »Kein Geistlicher hat ihn begleitet.« (266) Werther trifft also die ›richtigen‹ Vorkehrungen und ist sich darüber im Klaren, dass Kleriker seine Tat als Sünde betrachten werden.

Veröffentlicht am 1. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 8. Mai 2023.