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Der Untertan

Kapitel 3

Zusammenfassung

Um den Göppels aus dem Weg zu gehen, reist Diederich nach Netzig. Im Zug nach Netzig trifft er auf Guste Daimchen, die ihm sehr gefällt. Sie erzählt ihm von ihrer Verlobung mit Wolfgang Buck, was Diederich sogleich entmutigt. Er wird von seinen beiden Schwestern Emmi und Magda abgeholt, die ihm erzählen, dass Guste geerbt habe und Millionärin sei. Dies imponiert Diederich. Zu Hause wird er von seiner Mutter als das neue Familienoberhaupt begrüßt und füllt diese Rolle auch gleich aus, indem er in der Papierfabrik hart durchgreift. Der Maschinenmeister Napoleon Fischer erregt seinen Unmut, da er sich als Sozialdemokrat entpuppt und Diederich keine Sozialdemokraten in seiner Papierfabrik dulden will.

Er gerät mit dem Buchhalter Sötbier aneinander, da er neue Maschinen kaufen und seine Konkurrenten unterbieten will. Doch Sötbier informiert ihn, dass dafür kein Geld da ist, wovon Diederich nichts hören will. Beim Untersuchen der Heizungsrohe entdeckt er hinter einem Haufen Säcke den Arbeiter Karl mit seiner jungen Braut. Er wirft beide hinaus. Als er auch Napoleon Fischer hinauswerfen will, weist Sötbier ihn darauf hin, dass dieser in einer Gewerkschaft organisiert ist und deshalb nicht entlassen werden kann. Diederich nimmt es missbilligend hin.

Danach stattet er den wichtigsten Personen in Netzig einen Besuch ab. Auf dem Weg zum Bürgermeister biegt er zum Haus des alten Buck ab, der nach der Revolution 1884 zum Tode verurteilt wurde. Der alte Buck empfängt Diederich herzlich und rührt ihn mit seiner Warmherzigkeit. Er sagt Diederich voraus, dass dieser zum Stadtverordneten gewählt werden wird und schließlich im Magistrat sitzen wird. Diederich beteuert, dass er durchaus liberal ist, um dem alten Buck zu gefallen, dem Liberalismus sehr wichtig ist. Der alte Buck versichert ihm, ihm beim Ausbau seiner Papierfabrik die städtische Baupolizei vom Hals zu halten, wofür Diederich sich überschwänglich bedankt. Beim Abschied versichert er dem alten Buck erneut, dass er ein durchaus liberaler Mann sei. Der alte Buck warnt ihn noch vor dem Regierungspräsidenten von Wulckow und entlässt Diederich mit seinem Gedichtband »Sturmglocken«.
Wieder auf der Straße fühlt sich Diederich vom alten Buck überrumpelt und in eine Falle gelockt. Auf dem Weg zum Bürgermeister Dr. Scheffelweis beschließt er, abzuwarten, bis er mehr Macht als der alte Buck hat.

Der Bürgermeister bemerkt anerkennend die Schmisse in Diederichs Gesicht und stellt ihm seinen Gast vor, den Assessor Jadassohn von der Staatsanwaltschaft. Bei diesem fallen Diederich sofort seine großen, roten, abstehenden Ohren auf. Als Jadassohn über den alten Buck herzieht, bemüht sich Scheffelweis um Neutralität und Objektivität, was Jadassohn abschmettert. Er bezeichnet den alten Buck und seinen Genossen, den Reichstagsabgeordneten Kühlemann, als Umstürzler. Diederich – noch unter dem Einfluss des alten Buck stehend – bezeichnet sich wieder als einen durchaus liberalen Mann, doch auch hier unterbricht ihn Jadassohn leidenschaftlich. Während Jadassohns Plädoyer für Regierungstreue ändert Diederich jedoch seine Meinung und ruft aus, dass die Vorfrucht der Sozialdemokratie Liberalismus ist. Er hält wiederum ein Plädoyer gegen den Sozialismus und missbilligt dabei, dass der Schwiegersohn des alten Buck, der Fabrikant Lauer, seine Arbeiter an den Fabrikerlösen beteiligt.

Die drei einigen sich darauf, in anderthalb Jahren bei den Neuwahlen zum Reichstag für Umschwung zu sorgen und sich in das engere Wahlkomitee zu platzieren. Wegen der Angst, sich zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben, zieht Diederich den Bürgermeister zur Seite und versichert ihm nochmals, dass er ein durchaus liberaler Mann ist. Der Bürgermeister versichert ihm dasselbe. Jadassohn und Diederich tauschen in einem Ratskeller alte Geschichten über gemeinsame Bekannte aus und Jadassohn würdigt den Kaiser in den höchsten Tönen. Beflügelt von Jadassohns Patriotismus wettert Diederich gegen den alten Buck und behauptet gar, er hätte Majestätsbeleidigungen begangen.

Sie besuchen den Pastor Zillich, der zu den leitenden Personen im Kriegerverein gehört. Dort sprechen sie über Pastor Zillichs Schwager Heuteuffel, der in seiner Freizeit freigeistige Vorträge hält und damit beliebter bei den Bürgern Netzigs ist als Pastor Zillich. Diederich hat währenddessen ein Auge auf Pastor Zillichs Tochter Käthchen geworfen und versucht, sich ihr zu nähern. Auf dem Weg zur Kneipe begegnen sie Guste Daimchen und Jadassohn verspricht Diederich, die genaue Summe ihrer Erbschaft herauszufinden.

In der Kneipe geht es bei den drei Herren feuchtfröhlich zu, als plötzlich ein Schuss fällt. Sie rennen hinaus und finden einen toten Mann vor dem Regierungsgebäude vor sowie den Wachsoldaten, der ihn erschossen hat. Der Tote ist der Arbeiter Karl, den Diederich entlassen hat und der den Wachsoldaten provoziert haben soll.

Der Regierungspräsident von Wulckow gibt sich die Ehre und lobt den Soldaten für seine Pflichtergebenheit. Er verspricht dem Soldaten, dass der Kaiser ihn für seine Tapferkeit belohnen wird. Der inzwischen eingetroffene Dr. Heuteuffel bestätigt den Tod des Arbeiters und stellt sich vor die Braut des Arbeiters Karl, die Jadassohn abführen lassen will. Der ebenfalls anwesende Fabrikant Lauer steht ihm dabei zur Seite. Ihnen gegenüber stehen Diederich, Zillich und Jadassohn, die jedoch passen müssen, als die Braut mit dem Toten im Sanitätswagen davonfährt. Auf Diederich macht der Vorfall großen Eindruck, denn dass jemand einfach so, ohne ein Urteil zu fällen, auf offener Straße erschossen werden kann, ist für ihn der Inbegriff der kaiserlichen Macht.

Zurück in der Kneipe bilden sich weiterhin zwei sich gegenüberstehende Lager – auf der einen Seite Jadassohn, Pastor Zillich, Diederich und auf der anderen Seite Heuteuffel, der Warenhausbesitzer Cohn und der Fabrikant Lauer. Diederich provoziert den Fabrikanten Lauer derart, dass dieser sich zu einer Majestätsbeleidigung hinreißen lässt. Er berichtet Jadassohn davon, der sich Notizen macht. Zu ihnen gesellen sich Major Kunze und Gymnasialprofessor Kühnchen, die zu der allgemeinen pro-kaiserlichen Stimmung beitragen. Sie nötigen den anwesenden Redakteur der »Netziger Zeitung«, Herrn Nothgroschen, ein angebliches Telegramm des Kaisers zu veröffentlichen, in dem der Wachsoldat, der den Arbeiter Karl erschossen hatte, belobigt und befördert wird. Der Redakteur bestätigt Diederich, wieviel Ähnlichkeit er mit dem Kaiser hat.

Analyse

Mit Guste Daimchen betritt eine Dame Diederichs Leben, die im krassen Gegensatz zu Agnes und seiner Mutter steht: »Er verglich ihre Art, sich zu wehren, mit Agnes‘ Hilflosigkeit, und er sagte sich: ‚So eine könnte man getrost heiraten‘« (91). Als er zusätzlich noch von ihrer Erbschaft erfährt, ist er »erschrocken vor Hochachtung« (92).

In seiner Firma, einem Mikrokosmos des Obrigkeits- und Untertanenstaats, greift er hart durch und macht sogleich seine politische Gesinnung deutlich: »Denn für mich ist jeder Sozialdemokrat gleichbedeutend mit Feind meines Betriebes und Vaterlandsfeind…« (94). Alle, die sich ihm entgegenstellen, »zerschmettere« (94) er, denn »einer ist hier der Herr, und das bin ich« (94). Sein erstes Hindernis stellt sich ihm in Form des Sozialdemokraten Napoleon Fischer in den Weg, der gewerkschaftlich organisiert ist und damit zu Diederichs Leidwesen nicht so leicht »zerschmettert« werden kann. Und da Status für Diederich oberste Priorität hat, weist er den Buchhalter Sötbier auch gleich daraufhin, dass er »…für Sie der Herr Doktor!« (97) ist.

Mit dem alten Buck, seinem Bruder, dem Fabrikbesitzer Lauer, Dr. Heuteuffel und dem Warenhausbesitzer Cohn betritt das liberale Lager in Netzig die Bühne. Auf der konservativen, kaisertreuen Seite stehen Assessor Jadassohn, Major Kunze, Lehrer Kühnchen, Pastor Zillich und der Regierungspräsident von Wulckow. Die stärkste Partei sind jedoch die Sozialdemokraten, die durch Diederichs Maschinenmeister Napoleon Fischer repräsentiert werden.

Diederich bewegt sich nun in die Richtung, die ihm wirtschaftlich, politisch und persönlich am meisten nützt und bezeichnet sich z. B. beim alten Buck sogar als »…durchaus liberaler Mann!« (107), da er Hochachtung vor ihm empfindet. Dies relativiert er nach dem Besuch jedoch sofort wieder und fragt sich, ob er »ewig so weich bleiben« (108) wird. Beim Bürgermeister Scheffelweis bezeichnet er sich zwar immer noch als »durchaus liberaler Mann« (111), relativiert dies jedoch mit »…aber das muss ich sagen« (111), denn mit Assessor Jadassohn hat er einen konservativen Machtinhaber vor sich und tendiert nun in diese Richtung.

Diederich ändert im Laufe des Gesprächs mit dem Bürgermeister und Jadassohn seine politische Richtung von liberal zu konservativ und erklärt fest »daß ich in allem fest zu seiner Majestät stehe« (112). Als der Bürgermeister jedoch verkündet, dass er vor allem das Interesse der Stadt im Blick habe, die in liberaler Hand ist, versichert Diederich ihm, »…daß ich ein durchaus liberaler Mann bin!« (115).

In der Figur von Scheffelweis wird Diederichs Tendenz zur stärksten Macht personifiziert, denn seine Sätze beginnen meist mit »einerseits« und »andererseits« (111), denn auch er ist stets mit der stärksten Macht.

In diesem Kapitel findet die Majestätsbeleidigung statt, die Diederich provoziert hat. Das nationale Lager schart sich um Diederich und gibt dem Redakteur Nothgroschen ein Glückwunschtelegram in Auftrag. Diederich übergibt ein weiteres Telegramm an Nothgroschen und behauptet, es käme vom Kaiser selbst. Die Identifikation mit dem Kaiser ist damit abgeschlossen.

Veröffentlicht am 12. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. Oktober 2022.