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Ruhm

Ein Beitrag zur Debatte

Zusammenfassung

Der Forum-User Mollwitz schreibt einen Beitrag für ein Forum, um seine lange Abwesenheit zu erklären. Das Forum hat anscheinend den Zweck, Promi-Klatsch zu teilen.

Mollwitz ist nach eigenem Bekunden sehr groß, kräftig und Mitte 30. Man erfährt ferner, dass er für eine Telefongesellschaft arbeitet und sehr unglücklich in seinem Job ist. Auch seine Kollegen hasst er nach eigenem Bekunden, ebenso seinen Chef. Den größten Teil seiner Arbeitszeit verbringt er damit, in Internetforen zu posten.

Eines Tages funktioniert das allerdings aufgrund technischer Probleme nicht und Mollwitz wendet sich an den technischen Support. Weil dieser ihn nach seiner IP-Adresse fragt – worauf Mollwitz eingeht – fühlt er sich enttarnt und macht sich große Sorgen, als ihn sein Chef zu sich ruft. Dieser will ihn allerdings nicht zur Rede stellen, sondern verlangt vielmehr, dass er als Abteilungsvertretung zu einem Kongress fährt und dort einen Vortrag hält. Widerwillig sagt Mollwitz zu.

Bei dem Kongress angekommen trifft er auf Leo Richter, der auch in dem Hotel ist. Mollwitz ist ein großer Fan von Leo Richter und insbesondere von Lara Gaspard, einer Romanfigur, in die Mollwitz verliebt ist, beziehungsweise auf die er seine Sehnsüchte projiziert. Mollwitz bedrängt Leo Richter, möchte unbedingt mit ihm befreundet sein, damit Richter ihn zu einer Romanfigur mache. Allerdings flieht Richter vor dem aufdringlichen Fan.

Seine Präsentation lässt sich anfangs recht gut an, als Mollwitz jedoch denkt, Richter sei im Publikum, verliert er die Nerven und kann nicht weitersprechen. Die Präsentation wird nicht gehalten. Im Anschluss betrinkt sich Mollwitz und geht schließlich in das Zimmer von Richter, auf dass er ihn dort abpasse. Mollwitz hat einen Filmriss.

Als er wieder zu sich kommt, ist das Zimmer um ihn herum zerstört, schnell verlässt er es. Am nächsten Morgen erfährt er, dass Leo Richter zu dem Zeitpunkt bereits abgereist war, er hat also das Zimmer eines anderen Gastes zerstört. Gleichzeitig wird Mollwitz klar, dass Leo Richter ihn niemals zu einer Romanfigur hatte machen wollen.

Analyse

Die Sprache dieser Erzählung weicht erheblich von den anderen Geschichten ab. Hier wird, wie Müller schreibt, eine Rollenprosa (vgl. Müller 2010) durchexerziert. Offenkundig geht es dabei nicht um ein mimetisches Verfahren, denn authentisch ist die Prosa Mollwitz’ weder auf der lexikalischen noch auf der textuellen Ebene. Für einen Forumseintrag ist der Text offensichtlich viel zu lang. Die Sprache ist einem Internetjargon darüber hinaus nur ähnlich. Es kommen viele Anglizismen vor, was im Internet durchaus der Fall ist. Aber diese werden im Text flankiert von deutschen Rückübersetzungen. So etwa der Ausdruck: »Kalte Sache« (133). Das wirkt in seiner Überzeichnung vornehmlich karikaturesk.

Hinzu kommt die merkwürdige Idee, dass die Klischee-Figur eines Trolls sich als Prominenten-Spotter betätigen würde. Ein Troll ist dabei jemand, der sich durch beleidigende Posts im Internet auszeichnet. Im Schutz der Anonymität tummeln sich solche Trolls in den sozialen Medien und Internetforen. Es gibt durchaus Prominenten-Spotter-Foren, in denen sind aber kaum Trolls unterwegs, diese Communitys sind von auffälliger Netiquette geprägt. Auch, dass Mollwitz sowohl die Texte Leo Richters, die als »vertrackte« Kurzgeschichten ja die Sympathie der Erzählinstanz genießen, als auch die Miguel Auristos Blancos, die das Gegenteil von guter Literatur zu sein scheinen, rezipiert, spricht für eine eigentümliche Unentschiedenheit in der Charakterzeichnung. Mollwitz ist ein widersprüchlicher Charakter – vielleicht soll er als unzuverlässiger Erzähler gelten.

Die Story ist – unter anderem – die eines Stalkings. Mollwitz ist hinter dem Schriftsteller Leo Richter her. Vielleicht um sein Freund zu werden, sicher aber um in eine seiner Geschichten als Personal aufgenommen zu werden. Dies misslingt allerdings und sorgt für einen deprimierten Monolog am Ende der Geschichte:

    Ich für immer nur mich. Immer bloß hier, auf dieser Seite, auf der anderen: never. Keine andre Welt. Morgen früh wieder zur Arbeit. Die Wettervorhersage ist schlecht. Wär sie gut, mir wärs auch egal. Alles geht weiter wie immerschon immer. In einer Geschichte, das weiß ich jetzt, werde ich nie sein. (158).

Dass es sich dabei um einen Witz handelt, ist evident, schließlich äußert Mollwitz sein Bedauern darüber, nicht in einer Geschichte zu sein, in einer Geschichte. Allerdings mindert das die Herablassung, mit der der Protagonist geschildert wird, nicht im geringsten. Mollwitz ist ein Charakter, der Antipathien auf sich zieht und dessen Funktion – wenigstens zu gewissen Teilen – genau darin besteht.

Veröffentlicht am 19. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 19. September 2023.