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Ruhm

Titel
Ruhm
Gattung/Textsorte
Erscheinungsjahr
2009
Originalsprache
Deutsch
Literarische Epoche oder Strömung

Über das Werk

Nach »Die Vermessung der Welt« ist »Ruhm« das wohl bekannteste Erzählwerk des deutsch-österreichischen Schriftstellers Daniel Kehlmann (*1975). »Ruhm« beschäftigt sich mit modernen Kommunikationsmedien, wobei ein klarer Fokus auf dem Mobiltelefon liegt. Auch das Internet spielt eine Rolle, deutlich prominenter ist aber das Handy, was eventuell mit dem Zeitpunkt der Erstpublikation zusammenhängt. »Ruhm« ist von 2009. Facebook war zu diesem Zeitpunkt erst seit einem Jahr in Deutschland nutzbar. Zwei Jahre vor dem Erscheinen von »Ruhm« ist das iPhone auf den Markt gekommen. Es wäre durchaus möglich, dass das Telefon für Kehlmann von höherer Aktualität war. Social Media steckte 2009 tatsächlich noch in den Kinderschuhen, zumindest in Deutschland.

Obwohl »Ruhm« den Untertitel »Ein Roman in neun Geschichten« trägt, ist die Gattungszuweisung nicht gar so einfach. Handelt es sich bei dem Text wirklich um einen Roman? Ist es nicht eher eine Sammlung mehr oder weniger eng zusammenhängender Erzählungen? 

Fest steht, dass »Ruhm« klassische Zuschreibungen unterwandert: Einerseits bereits auf der Ebene der Gattung, andererseits aber auch im mikrostrukturellen Bereich. Immer wieder werden Vorstellungen der Leserinnen und Leser herausgefordert, vom Text selbst geweckte Erwartungen wieder enttäuscht, wird ein Spiel zwischen Fiktion, Faktizität und Metafiktion getrieben. »Ruhm« ist spätestens dann, wenn es an die Analyse und Interpretation geht, ein formal höchst anspruchsvoller Text.

So schwierig sich die Auseinandersetzung mit »Ruhm« aber auch gestalten mag, fest steht, dass der Text ein großer Publikumserfolg war. Überhaupt lässt sich sagen, dass die ungeheure Einfachheit der Sprache von den formalen Herausforderungen absticht. In der »Frankfurter Rundschau« nennt die Literaturwissenschaftlerin Ina Hartwig den Autor einen »virtuose[n], amüsierte[n], leichthändige[n] Jongleur« (Hartwig 2019). Diese Leichtigkeit macht das Buch aus. Wolfgang Tischer nennt den Text »eine Art Episodenfilm in Papierform« (Tischer 2009). Kehlmanns Text, ob nun Roman oder nicht, ist ein sehr vielseitiges Werk, das darüber hinaus zu unterhalten weiß.

Obwohl »Ruhm« aber vor allem unterhaltenden Charakters ist, darf nicht ignoriert werden, dass der Text sich mit besonders gewichtigen Fragen auseinandersetzt. Gleichsam durch die Hintertür werden philosophische Probleme verhandelt, der Zeitgeist analysiert, der Stand der Technik kritisch hinterfragt. 

Hartwig gibt ferner zu bedenken, dass es neben dem Titel »Ruhm« durchaus auch andere Titel hätte geben können, die passend erscheinen: »Falsch verbunden« etwa oder »Ich«. Das Buch handele überhaupt nicht von Ruhm: »Höchstens von verfallendem Ruhm, von der Lächerlichkeit und also der Komik des Ruhms, von den Selbstzweifeln, den Freiheitswünschen derer, die vom Ruhm befallen sind wie von einer Plage. Und es handelt von jenen, denen der Ruhm verwehrt ist – und die ihn deshalb für eine Verheißung halten« (Hartwig 2019).

Der österreichische Literaturwissenschaftler Markus Gasser weist ebenfalls darauf hin. »Ruhm« handele »von den Ruhmes schwarzer Kehrseite, seiner Bosheit, wie im traurigen Fall des schurkischen Esoterikfrömmlers Miguel Auristos Blancos, vom Verschwinden und Vergessenwerden, von den Myriaden flüchtiger Passanten auf der Straße, den bloßen, wie toten Namen im Telefonbuch und Anonymen aus dem Publikum bei Lesungen, den nowhere men, die sterben könnten, ohne jemanden damit zu behelligen, und die in Gestalt ihrer Todesanzeige ihren ersten und letzten Presseauftritt haben werden« (Gasser 2010 136). Insofern ließe sich sagen, »Ruhm« handele sehr wohl vom Ruhm, wenngleich der Text dies vornehmlich unter negativen Vorzeichen tut. Hinzu kommt, dass der Text sich mit dem Ruhm angesichts moderner Kommunikationsmittel auseinandersetzt. Allerdings tut er dies auf eine merkwürdig konservative Art. »Ruhm« ist 2009 erschienen und damit zwei Jahre nach dem ersten iPhone. Nur ein Jahr nach Erscheinen von »Ruhm« kam das erste iPad auf den Markt. Dass Kehlmanns Text nur von »Mobiltelefonen« statt  »Smartphones« oder wenigstens »Handys« spricht, dass er die Möglichkeiten und Wirklichkeiten des Internets lediglich in Form eines Forums porträtiert und dies auch noch völlig inadäquat, denn niemals hat irgendein User so geschrieben wie »mollwitt« (Mollwitz), steht in starkem Kontrast zu der Wahrnehmung, der Text lote die Möglichkeiten moderner Medien aus (vgl. Balinth 2020, S. 15 ff). Bei allem formalen Anspruch: »Ruhm« ist kein innovativer Roman. Aber das macht ihn kaum schlechter.

Veröffentlicht am 7. März 2020. Zuletzt aktualisiert am 18. September 2023.

Werke von Daniel Kehlmann