Skip to main content

Ruhm

Stimmen

Zusammenfassung

Protagonist Ebling hat sich gerade ein Mobiltelefon gekauft und schon klingelt es. Das wundert ihn, da er seine Nummer ja noch niemandem hat geben können. Am anderen Ende der Leitung ist eine Frau, die einen gewissen Ralf sprechen möchte. Wahrheitsgemäß verkündet Ebling, dass er nicht diese Person sei und legt auf. Am Abend jedoch erfolgt der nächste Anruf, wieder wird Ralf verlangt. Ebling schaltet das Handy aus – seine Frau hatte ihn schon vorwurfsvoll angeschaut.

Ebling versucht den Kundendienst davon zu überzeugen, dass die ihm zugewiesene Nummer bereits vergeben sei, allerdings verkündet die Callcenter-Mitarbeiterin, dass das überhaupt nicht möglich sei, weswegen auch keine Maßnahmen erfolgten, der Sache nachzugehen. Es bleibt also dabei und Ebling empfängt weiterhin Anrufe, die nicht für ihn bestimmt sind.

Man erfährt von der tiefen Frustration Eblings. Diese führt schließlich dazu, dass Ebling auf einen der Anrufe – am anderen Ende ist eine Frau – eingeht und performativ (also ohne es direkt zu behaupten, sondern dadurch, dass er mitspielt) vorgibt Ralf zu sein. Davon erschreckt, versucht er noch einmal den Kundendienst zu benachrichtigen, doch wieder ohne Erfolg.

In der Folge gibt er seine Zurückhaltung auf und nimmt die Anrufe so entgegen, als gälten sie ihm. Er kann es kaum erwarten, bis er wieder angerufen wird, flirtet mit den anrufenden Frauen; er verabredet sich sogar mit einer der Frauen in einer Bar namens »Pantagruel«. Weil er nicht Ralf ist, geht er nicht hin. Dafür bedrängt er seine Frau und schläft mit ihr. Es könnte sich um eine Vergewaltigung handeln.

Beim nächsten Anruf greift er in die Karriere von Ralf ein, schließlich meldet sich die Frau wieder, die er versetzt hat. Ebling verabredet sich ein weiteres Mal mit ihr. Auch weitere Eingriffe in die Karriere Ralfs unterlässt er nicht – und das ohne zu wissen, worum es eigentlich genau geht (vgl. 18).

Mit der Zeit erwacht bei Ebling jedoch auch ein Interesse jenseits des bloßen Genusses. Er will erfahren, wer Ralf eigentlich ist. Der Verdacht, es handele sich um Ralf Tanner, einen berühmten Schauspieler, wird von Ebling zurückgewiesen. Während der folgenden Telefonate macht Ebling sich Notizen, versucht, sich die Namen der anrufenden Frauen zu erschließen.

Sein Versuch, selbst jemanden als Ralf anzurufen, scheitert. Auf die Rückfrage des anderen Teilnehmers, welcher Ralf am Apparat sei, legt Ebling schnell auf. Schließlich ruft ihn jemand an, der droht, sich umzubringen. Ebling rät ihm dazu, dies zu tun und legt schnell auf.

Schließlich aber verstummen die Anrufe, Ebling muss wieder zurück in seinen Alltag. Die Rückkehr in den Alltag verläuft für alle Beteiligten – außer Ebling selbst – unproblematisch. Ebling sabotiert Computer, macht seine Arbeit in der Folge absichtlich schlecht. Doch der Rest sieht in ihm die gleiche Figur wie zuvor.

Analyse

Schon die erste Interaktion zwischen Ebling und seiner Frau lässt auf ein Zerwürfnis innerhalb ihrer Beziehung schließen. Genau deswegen ist Ebling aber auch so anfällig für das scheinbar viel aufregendere Leben des am Telefon immer wieder verlangten Ralfs. Allein dass es so viele unterschiedliche Menschen sind, die Ralf anrufen wollen – und Ebling erreichen –, zeigt den Unterschied zwischen den beiden Männern an. Der auktoriale Erzähler ist ziemlich deutlich darin, Eblings Widerwillen gegen seine eigene Existenz auszudrücken: »Es gab viel, das Ebling an seinem Leben nicht mochte. Es störte ihn, daß seine Frau so geistesabwesend war, daß sie so dumme Bücher las und daß sie so erbärmlich schlecht kochte. Es störte ihn, daß er keinen intelligenten Sohn hatte und daß seine Tochter ihm fremd vorkam« (9). Die tiefe Frustration Eblings zeigt sich auch in dem Umstand, dass er genau dann das erste Mal vorgibt, Ralf zu sein, nachdem seine Frau ihm telefonisch einen Besorgungsauftrag übermittelt hat (vgl. 10).

Nach einem eher halbherzigen Versuch, die Angelegenheit über den Kundendienst zu klären, ergibt er sich seinem vermeintlichen Schicksal und nimmt sämtliche Anrufe als Ralf entgegen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, massiven Einfluss auf die Existenz von Ralf zu nehmen. Ebling lebt seine Traumexistenz auf Kosten eines anderen aus. Dabei geht er nicht nur ohne »schlechtes Gewissen« (19) vor, er verhält sich geradezu wie ein Drogensüchtiger:

    Er zögerte es hinaus. Das Telefon blieb ausgeschaltet. während er mit der S-Bahn nach Hause fuhr, es blieb ausgeschaltet, als er im Supermarkt Gurken kaufte, und auch während des Essens mit Elke und den zwei einander unter dem Tisch tretenden Kindern ruhte es in seiner Tasche, aber er konnte nicht aufhören daran zu denken. (13)

Nach dem Essen schleicht sich Ebling in den Keller und frönt seiner Sucht. Durch den ständigen Umgang mit den Freunden und Bekannten Ralfs verschwimmt für Ebling die Grenze zwischen dem, was seine Existenz betrifft und dem, was Ralfs Existenz ausmacht: »Er hätte gerne mehr über Ralfs Leben gewußt; schließlich war es zu einem kleinen Teil nun auch seins« (16 f.). Wenig später zeigt sich aber auch, warum Ebling diesen Weg geht: Er ist neidisch. In erlebter Rede heißt es vom Erzähler: »Warum bekamen einige alles und andere wenig; manchen gelang so viel, anderen nichts, und mit Verdienst hatte das nichts zu tun« (17). Wohlgemerkt, das ist die erlebte Rede eines Mannes, der weder genau weiß, was er auf der Arbeit eigentlich macht, noch was seine Familie eigentlich so treibt. Durch den selbstmitleidigen Tonfall gibt der Erzähler zu verstehen, dass die ungleiche Verteilung vielleicht doch etwas mit Verdienst zu tun haben könnte. Ebling ist definitiv eine negativ gezeichnete Figur.

Besonders deutlich wird dies wohl in der Szene, in der er – durch das Telefonat mit der fremden Frau erregt – über Elke, seine Ehefrau herfällt:

    Zunächst war sie nur verblüfft, dann fragte sie, was denn los sei mit ihm und ob er getrunken habe, dann gab sie nach. Lange dauerte es nicht und während er sie noch unter sich spürte, war ihm, als täten sie etwas Ungehöriges. Ihre Hand klopfte an seine Schulter: Sie kriege keine Luft. Er entschuldigte sich, aber es dauerte noch ein paar Minuten, bevor er von ihr abließ und sich zur Seite rollte. Elke machte Licht, sah ihn vorwurfsvoll an und zog sich ins Badezimmer zurück. (15)

Ob der so geschilderte Geschlechtsverkehr eine regelrechte Vergewaltigung ist, mag dahingestellt sein, dennoch handelt es sich keinesfalls um consensual sex. Moralisch verwerflich wird der Akt außerdem dadurch, dass Ebling sich an einer anderen Frau erregt und seine Ehefrau somit nur zur Triebabfuhr benutzt. Onanie wäre die ethischere Maßnahme gewesen. Und überhaupt ist Ebling kein ethischer Mensch. Er rät einem Lebensmüden dazu, die entsprechenden Pillen zu nehmen und bezeichnet ihn dann als »armselig« (21). Wie sehr Ebling seine Existenz hasst, wird aber erst gegen Ende deutlich, der Chef bezeichnet ihn als »verdienten Mitarbeiter«, woraufhin Ebling »vor Wut die Tränen in die Augen« steigen (22).

Ebling ist von seiner Existenz zutiefst frustriert, gibt sich aber nicht selbst die Schuld daran. Stattdessen trägt er Aggressionen nach außen. Es ist allerdings fraglich, ob er in eine Existenz wie die Ralfs überhaupt passen würde. Auch hier erweist er sich ja als rücksichtslos, aggressiv und roh. Die Existenz Ralfs würde ihm kaum etwas helfen, da er auch diese zugrunde richten würde. In diesem Sinne ist es ein großes Glück, dass er nur einen eingeschränkten Wirkungsbereich hat. Ebling wäre – wenn er tatsächliche Macht besäße – eine Gefahr. Damit reaktiviert die Story Figuren, wie sie von Heinrich Mann bekannt sind: Etwa Professor Unrat oder Diederich Heßling. Es sind diese braven Bürgerfiguren – die autoritären Charakter Adornos (vgl. Adorno 1973) –, die den Faschismus tragen. Ebling ist damit wenigstens als potenzieller Faschist zu bezeichnen.

Veröffentlicht am 18. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. September 2023.