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Der zerbrochne Krug

Prüfungsfragen

  • Nennen Sie ein für das Stück zentrales, komisches Moment.

    Die dem Zugriff des Willens und des Bewusstseins teilweise stets entfliehende Zeichenhaftigkeit des eigenen Körpers liegt vielen Formen der Komik als anthropologisches Faktum zugrunde. Adam kann tun und sagen, was er will: Am eigenen Leib trägt er die Indizien, die zu seiner Überführung eigentlich genügen.

  • Gibt es einen klaren Ausgang des Prozesses?

    Obwohl für den Zuschauer alle Fragen am Ende des Stückes geklärt sind und der Schuldige gefunden wurde, ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten.

    Ruprecht wird wegen der Zerschlagung des Kruges schuldig gesprochen: Er soll in ein Halseisen eingeschlossen und öffentlich ausgestellt werden. Wegen ungebührlichen Verhaltens gegen die richterliche Autorität soll er überdies auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis geworfen werden (V. 1874-1880). Der Gerichtsrat Walter akzeptiert das absurde Urteil, um die Ehre des Gerichts zu wahren, und versucht deutlich zu machen, dass das Urteil niemals vollstreckt würde und Ruprecht nur in Utrecht appellieren, also in Berufung gehen müsse.

    Muss er aber in Berufung gehen? Am Ende spricht nur Frau Marthe davon, dass sie wegen des Krugs nach Utrecht gehen wolle. Es ist also unklar, wie die Ereignisse, die bereits jenseits des ordentlichen Verfahrens liegen, juristisch aufgefasst werden, und ob sie mit dem in dem Verfahren ergangenen Urteil verrechnet werden.

  • Charakterisieren Sie die Rolle des Schreibers im Prozess.

    Der Schreiber Licht hält sich weitgehend zurück, obwohl anzunehmen ist, dass er bereits sehr früh von Adams Schuld überzeugt ist. Dem Gerichtsrat Walter dient seine Übernahme der Verhandlungsführung als Druckmittel gegenüber Adam.

    Erst gegen Ende, und als Adam ohnehin beinahe überführt ist, kommt Licht, wenn er die Zeugin Brigitte herbeiholen soll, etwas aus der Deckung: Er führt mit ihr die letzten Untersuchungen durch, das heißt, er verfolgt die Schneespur bis zum Adams Haus. Und in dem wiederaufgenommenen Prozess verhindert er, dass Brigittes Aussagen durch ihre abergläubischen Fehldeutungen vollständig diskreditiert werden. Licht setzt Adam zudem in einem beinahe symbolischen Akt seine aus dem Spalier geholte Perücke auf und beweist so, dass sie ihm passt und dass sie ihm gehört.

  • Wodurch zeichnet sich Marthes Ekphrasis des Kruges aus?

    Der Krug ist nicht nur Trinkgefäß, sondern auch Medium einer bildlichen Darstellung. Marthe beschreibt den zerbrochenen Krug auf der Ebene der bildlichen Zeichen – des zerstörten Historienbildes also – obwohl zu erwarten wäre, dass sie den Krug vornehmlich als Krug, als Trinkgefäß, behandelt. Statt zu sagen: »Hier an dem Henkel fehlt ein Stück aus der Krugwand, aus dem Boden ist ein Stück herausgeschlagen« – sagt sie: »Die Gesandten reiten in der Luft – die Pferde fehlen; vom Erzbischof ist nur die Mütze geblieben« – und dergleichen.

  • Welche Bedeutungen bekommt der Krug im Laufe des Stücks zugewiesen?

    Der Krug steht für die Verlobung Ruprechts und Eves, für Eves Ehre, er wird mit Adams Kopf parallelisiert; immer wieder taucht das Sprichwort vom Krug, der so lange zum Wasser geht, bis er bricht, auf – etwa aus der Perspektive Ruprechts gewendet auf den vermeintlichen Treuebruch Eves.

    Die Zerstörung des Krugs steht für das schlechthin Unwiederbringliche, die verlorene Ganzheit, die verlorene Einheit von Zeichenträger und Zeichen. Durch das auf ihm aufgemalte Historienbild wird er mit dem niederländischen Staat, mit der aktuellen politischen und rechtlichen Verfassung assoziiert.

  • Nennen Sie in das Stück integrierte literarische Vorlagen.

    Zu nennen sind die Tragödie »König Ödipus« von Sophokles und die alttestamentliche Erzählung vom Sündenfall.

    Die attische Tragödie wird von Kleist in einer zu Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen Vorrede selbst als Vorlage ins Spiel gebracht, im Text selbst kann die Parallele zu Ödipus anhand des richterlichen Klumpfußes gezogen werden (dies ist die wörtliche Bedeutung des Namens Ödipus). Kleist übernimmt die Grundkonstellation des schuldigen Richters, kehrt aber bestimmte, entscheidende Verhältnisse um: Ödipus erfährt ermittelnd erst von seiner eigenen Schuld, während Adam von Anfang an von ihr weiß und versucht, sie zu verschleiern.

    Der Bezug zur Paradieserzählung läuft hauptsächlich über den Namen und die Figur des Dorfrichters – es gibt ansonsten keine engeren Parallelen, es sei denn, man wollte annehmen, dass bei dem Treffen in Eves Kammer doch etwas mehr geschah, als nur ein langes Ansehen seitens des Dorfrichters.

  • Nennen Sie in das Stück integrierte bildliche Vorlagen.

    Für die Entstehung von »Der zerbrochne Krug« ist der Kupferstich mit dem Titel »Le juge ou la cruche cassée« (dt.: Der Richter oder Der zerbrochene Krug) entscheidend, der auf ein Gemälde Louis-Philibert Debucourts (1757-1824) zurückgeht, das 1781 in Paris unter dem Titel »Le juge du village« (dt.: der Dorfrichter) ausgestellt worden war. Die Gerichtsszene ist hier vorgebildet, mit Ausnahme des überwachenden Gerichtsrates.

    Außerdem hat in dem Kupferstich das Mädchen den Krug in der Hand – dies ist eine Übernahme eines von Jean Baptiste Greuze (1725-1805) geschaffenen Motivs aus einem Gemälde mit dem Titel »La cruche cassée« (1777, dt.: Der zerbrochene Krug).

    Ein Kupferstich mit dem Titel »Overdragt der Nederlanden door Keizer Karel den V. aan zynen zoon Filips, in’t jaar 1555« von Simon Fokke wird Vorlage für das auf den Krug aufgemalte Historienbild gewesen sein. Kleist fand es in einem Geschichtswerk.

  • Weshalb wurde das Stück oftmals als niederländisches Genrebild bezeichnet?

    Kleist nahm irrtümlich an, der Kupferstich von Jean-Jacques Le Veau gehe auf ein niederländisches Gemälde zurück. Vielleicht hat er deshalb das Lustspiel in den Niederlanden spielen lassen. Die niederländische Genre-Malerei, deren Stil für Debucourts maßgeblich gewesen sein mag, widmet sich mit Vorliebe dörflichen Szenen. Kennzeichnend ist ein beinahe grob anmutender Realismus. Kleist setzte diese Vorgabe sprachlich um.

  • Welcher Moment in der Verhandlung kann am ehesten als Peripetie aufgefasst werden?

    Die Zeugenaussage Eves kann als Peripetie gesehen werden. Während Ruprecht und Marthe Einsicht in die Ereignisse des Vortages an entscheidender Stelle verwehrt bleibt, ist von ihr zu erwarten, dass sie alles weiß.

    Sie verrät aber, als sie als Zeugin aufgerufen wird, noch nicht alles, um Adam weiter zu decken, da sie glaubt, dass er Ruprechts Leben in der Hand hat. Dennoch sagt sie genug: Sie entlastet Ruprecht und Lebrecht, die einzig plausiblen Kandidaten. Damit steht der Handlungsausgang fest, ohne bereits eingetreten zu sein.

  • Charakterisieren Sie die Phase der Exposition des Stückes.

    Es handelt sich um eine recht ausführliche, mehrfach durch eine Erweiterung des auf der Bühne präsenten Personals gestaffelte Exposition. Entscheidend ist für die Einführung in das Stück freilich das Zwiegespräch zwischen Licht und Adam, entscheidender nächster Schritt ist die Hinzukunft des Gerichtsrats, die mehrfach vorbereitet wird. Die Mägde mit ihren Zu- und Abgängen sorgen für etwas Tumult, der dem Gemütszustand des Richters entspricht. Wichtig ist außerdem die kurze Entspannung im dritten Auftritt, wenn Adam von seinem bösen Traum spricht.

  • Begründen Sie die umfängliche Kürzung des zwölften Auftritts in der Buchfassung.

    Tatsächlich löst Eve in der Erstfassung die Erwartung vollumfänglich ein, die der neugierige Zuschauer das ganze Stück über an sie stellen konnte. Dabei fügt sie aber dem bereits Erfahrenen substanziell nichts Neues hinzu. Außerdem steht ihr Bericht – der längste des ganzen Stücks – schon außerhalb des Gerichtsverfahrens und in Abwesenheit Adams, dessen Reaktion auf ihre Aussage gerade interessiert hätte. Der Konflikt ist also, als sie zu sprechen anfängt, bereits gelöst, die Spannung abgebaut – das Publikum will sich erfrischen und in die kühle Abendluft.

    So legen die Berichte über die Erstaufführung des Lustspiels in Weimar nahe, dass vor allem der lange Schluss für den Misserfolg verantwortlich war.

Veröffentlicht am 2. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. Juli 2023.