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Der zerbrochne Krug

Auftritt 11-13

Zusammenfassung

(11)
Als Licht mit Brigitte erscheint, räumen die Mägde den Wein und die Gläser ab und Adam bekommt eine letzte Gelegenheit, Eve zu bedrohen.

Brigitte bringt eine Perücke mit, die sie unter Eves Kammerfenster im Spalier gefunden hat. Walter bietet Adam deshalb an, ihm nun heimlich seine Schuld zu gestehen, womit die öffentliche Bloßstellung eines amtierenden Richters verhindert würde. Doch Adam geht noch einmal zum Angriff über, wenn er behauptet, die gefundene Perücke sei diejenige seiner beiden Perücken, die er vor acht Tagen Ruprecht nach Utrecht mitgegeben habe. Er unterstellt, Ruprecht habe sich mit der Perücke verkappen, also unkenntlich machen wollen und sie dann im Spalier hängen lassen.

Brigitte widerspricht aber: Ruprecht könne die Perücke nicht haben hängen lassen, denn zwar habe sie, als sie gestern Abend noch aufs Vorwerk ging, in Marthes Garten Ruprecht und Eve miteinander streiten hören, doch als sie gegen Mitternacht zurückkehrte, sei ein kahlköpfiger, stinkender Kerl mit Pferdefuß aus dem Garten und an ihr vorbeigehuscht. Sie hält dies für eine Erscheinung des Teufels und zieht deshalb den Unmut des Gerichtsrats auf sich. Licht steht ihr bei und drängt darauf, sie vollenden zu lassen, obwohl er die Deutung ihrer Wahrnehmungen nicht unterstützen will.

Brigitte führt also weiter aus, dass sie heute, da sie gehört habe, was mit Marthes Krug geschehen sei, die Stelle am Spalier noch einmal untersucht und eine Spur im Schnee gefunden habe: die rechten Tritte stammten, wie es aussehe, von einem ordentlichen Menschen-, die linken aber von einem Pferdefuß. Sie habe Licht, der gerade dazugekommen sei, um sie zum Gericht zu führen, die Spur gewiesen und beide seien ihr gefolgt, um den Krugzertrümmerer zu finden.

An dieser Stelle unternimmt Adam noch einmal einen Versuch, den Prozess zu unterbrechen: Man müsse in der Synode im Haag erst ein Gutachten darüber bekommen, ob das Gericht befugt sei, den Teufel als Schuldigen zu benennen.

Brigitte fährt fort. Im Lindengang habe der Flüchtige einen Haufen Kot hinterlassen; weiter habe die Spur bis zum Dorfrichter Adam geführt und endete auch dort, wie Licht bezeugt. Adam sieht hier eine Möglichkeit, dem Teufel auch die schlecht verwaltete Registratur und die verwirrten Rechnungen des Gerichtsamts anzulasten, doch Walter entsinnt sich, bei Adam einen missgestalteten Fuß wahrgenommen zu haben. Er versucht vergeblich, ihn durch Vorwände zum Aufstehen zu bewegen, und fragt dann offen, ob jemand im Ort missgeschaffene Füße habe. Marthe weist auf den Richter, und Walter drängt ihn, die Sitzung jetzt rasch zu beenden.

Frau Brigitte weiß noch nicht, wie sie die Perücke erklären soll, falls es der Teufel war, dem sie begegnete. Als Adam abstreitet, dass die Perücke ihm gehöre, Licht sie ihm aber aufsetzt und beweist, wie gut sie ihm passt, begreifen Ruprecht, Marthe und Veit, dass Adam der Schuldige ist und brechen in Verwünschungen aus. Walter zwingt Adam, die Sitzung mit einem Urteilsspruch zu schließen. Adam erkennt Ruprecht für schuldig und setzt das Strafmaß fest. Walter erklärt die Verhandlung für beendet und legt, die Parteien zu beruhigen suchend, Ruprecht die Berufung in Utrecht nahe. Als Eve die Verurteilung ihres Verlobten vernimmt, beschuldigt sie Adam, und Walter kann den Tumult nicht mehr bändigen. Adam flieht, und Ruprecht schlägt auf den Mantel ein, den allein er noch erwischen konnte.

(12)
Zwischen Ruprecht und Eve kommt es nun zur Aussprache und Versöhnung. Eve legt ihre Motive offen und erfährt dadurch, dass die drohende Verschickung Ruprechts nach Ostindien eine Lüge von Adam war. Adam habe ihr gestern Nacht ein Attest für ihren Verlobten aufdrängen wollen und schändliche Forderungen an sie gestellt. Die Versöhnten sollen Pfingsten heiraten. Durch das Fenster sehen die Anwesenden, wie Adam das Winterfeld durchstapft und die Perücke ihm den Rücken peitscht. Walter lässt ihn durch Licht zurückrufen, um noch ein mildes Urteil über ihn sprechen zu können.

(13)
Marthe erkundigt sich bei Walter nach dem Regierungssitz in Utrecht. Dort wolle sie bei der nächsten Gelegenheit wegen des Krugs Klage erheben.

Analyse

Überführt wird Adam schließlich anhand des neu erhobenen Beweismaterials. Tatsächlich bezeugt Frau Brigitte – deshalb hatte Marthe sie holen lassen –, dass sie am gestrigen Abend Eve und Ruprecht in Frau Marthes Garten Zwiesprache hatte halten hören. Wie sich aber herausstellt, beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung, sondern nur auf der gestrigen Aussage Eves, die die naheliegende Vermutung der Nachbarin kurzerhand bestätigt hatte, um sie nur los zu werden (vgl. V. 1674-1680).

Viel wichtiger ist, was Brigitte von ihrer Rückkehr vom Vorwerk gegen Mitternacht erzählt. Wenn sie um diese Zeit jemanden bei dem Garten davonlaufen sah, bestätigt dies allein Ruprechts Zeugnis, denn Ruprecht, wenn er auch den Krug zerschlagen hätte, ist nicht davongelaufen, sondern musste sich im Haus den Beschuldigungen Frau Marthes aussetzen. Die besondere Erscheinung des flüchtigen Richters nun – sein Klumpfuß, sein Durchfall, seine Kahlköpfigkeit – lässt die Zeugin auf den Teufel schließen und die Gewissheit, mit der sie diese Interpretation vertritt, diskreditiert sie in den Augen des aufgeklärten Gerichtsrats (V. 1700: »Blödsinnig Volk, das!«). Bliebe es dabei, könnte ihr Zeugnis hüben wie drüben für unbrauchbar erklärt werden, und für den Prozess wäre nichts gewonnen.

Doch an dieser Stelle kommt der Schreiber ins Spiel, der dafür Sorge trägt, dass die lediglich falsch interpretierten Indizien für die Verhandlung nicht verlorengehen (vgl. V. 1703-1708). Frau Brigitte geht der Sache bei Tageslicht selbst noch einmal nach, findet nun die Schneespur, die Perücke, die liegengebliebenen Exkremente, und folgt, zusammen mit Licht, der Spur bis zum Haus des Richters, wo sie endet. Jetzt kann in der Gerichtsstube ein Abgleich der auf die besondere Körperlichkeit des Flüchtigen deutenden Indizien mit der Leibesbeschaffenheit des Richters erfolgen und die Perücke seinem Besitzer zugeordnet werden. Die einander widersprechenden Erklärungen für das Fehlen der Perücke werden von Licht einander direkt gegenübergestellt (vgl. V. 1846-1849) und der Schreiber setzt Adam, um eine letzte Evidenz zu schaffen, den Kopfschmuck auf.

Für die gesamte Dramaturgie der Verhandlung ist diese Aufspaltung des letzten Zeugnisses zweckmäßig. Die ordentlichen und umständlichen Berichte Marthes und Ruprechts hatten die Reihe eröffnet, mit Schwerpunkten bei der Beschreibung des Krugs und bei dem Kampf mit dem Flüchtigen. Von da an wechselt die Art der Zeugnisse. Eve macht nur zu einem bestimmten Sachverhalt eine dezidierte Aussage und verweigert die Erzählung des Hergangs – sie entlastet nur (Ruprecht und Lebrecht) und belastet nicht. Adam wird außerhalb der Prozessordnung beiläufig mit Blick auf die körperlichen Zeichen befragt, die ihn jetzt verdächtig machen. Frau Brigitte liefert wieder einen vollständigen, chronologischen Bericht und missdeutet ihre Wahrnehmungen auf naive und abergläubische Art, die noch einmal in unwahrscheinlicher Überspitzung Adam und seinen Lügengespinsten zugutezukommen scheint (der denn die Sache mit dem Teufel gerne aufnimmt und weiterführt – vgl. V. 1742-1752, 1794-1800, 1833-1838). Die Übertreibung auf der einen, der phantastischen, die Wirklichkeit willentlich oder unwillentlich sprachlich manipulierenden Seite ruft im pedantischen Schreiber unmittelbar ihr Korrektiv hervor. Erst beides zusammen – die endlich unbestreitbare, nüchterne, neu erhobene Evidenz und die groteske Missdeutung der wahrhaft kläglichen Erscheinung des Flüchtigen – sorgt für ein hinreichend überraschendes, dynamisches Finale.

Bezug genommen wird durch das letzte Eingreifen des Schreibers ferner auf die vor Prozessbeginn aufgeworfene Frage, ob Licht den Besuch des Gerichtsrats im Sinne seiner eigenen Beförderung nutzen wird: Jetzt scheint er es zu tun. Andererseits hat er sich lange zurückgehalten und das Spiel Adams in einer gewissen ironischen Distanz mitgespielt; scheint Walter schon sehr früh den Entschluss zur Absetzung Adams gefasst zu haben; ist es gut möglich, dass Licht am Ende nur beschleunigend, nicht entscheidend wirkt. Insofern bleibt sein Handeln ambivalent.

Die Eindeutigkeit des Stückausgangs, wie es sich dem Zuschauer präsentiert, lässt sich in die juridische Ordnung, die das Lustspiel doch über lange Strecken dominiert, nicht einfach übersetzen.

Zunächst zur Bilanz, die der Zuschauer zieht: Ruprecht und Eve sind wieder versöhnt und werden Pfingsten heiraten, Eves Ehre bleibt unangetastet. Ruprecht muss nicht nach Ostindien, sondern wird, wie zuerst gedacht, im Landesinneren eingesetzt werden. Adam ist seines Verbrechens überführt: Er hat Amtsdokumente gefälscht, um Eve in erotischer Absicht zu erpressen; bevor er in ihrer Kammer auf ihren Protest hatte reagieren können, musste er fliehen und stieß dabei den Krug von dem Gesims. Er wird seines Amtes enthoben, aber weiter nicht gedemütigt werden; wahrscheinlich bekommt der Schreiber seinen Posten.

Damit steht Kleist in guter Lustspieltradition, die sowohl ein wiedervereintes, zur baldigen Hochzeit bereites Liebespaar, wie auch die milde Bestrafung einer mit einer bestimmten Charakterschwäche vorgeführten Hauptfigur fordert.

Wird so der Prozess, den jedes Theaterstück in übertragenem Sinne bedeutet, befriedigend zum Abschluss gebracht, sieht es mit dem dargestellten Gerichtsverfahren anders aus. Walter sieht Adam bis zum Ende durch die »Ehre des Gerichts« (V. 1841) geschützt; er möchte, um dieser Ehre Willen, die schmachvolle Absetzung des Dorfrichters noch während der Verhandlung unbedingt vermeiden, und nimmt dafür in Kauf, dass Adam auf groteske Weise doch noch umsetzt, was er in dem ersten gewaltsamen Schnelldurchlauf durch das Verfahren als den von ihm gewünschten Ausgang schon angezeigt hatte: »Die Sache jetzt konstiert, | Und Ruprecht dort, der Racker, ist der Täter.« (V. 1874 f. – vgl. V. 608-610)

Walter geht davon aus, dass dieses Urteil und die festgesetzte Strafe niemals umgesetzt werden, weil Ruprecht unverzüglich in Utrecht Berufung einlegen und dort seinen Prozess gewinnen wird. Doch ihm gelingt es nicht, den beteiligten Parteien die Unwirksamkeit der nur um der Form Willen gefällten Sentenz begreifbar zu machen und Eve rückt, Walter unterbrechend und voller Empörung über das falsche Urteil, nun doch mit ihrer Anklage heraus: »Der Richter Adam hat den Krug zerbrochen!« (V. 1893). Indem Ruprecht seiner Wut gegen den Richter freien Lauf lässt und auf den Mantel einschlägt, den Adam zurückgelassen hat, droht er sich die Strafe, die er niemals verbüßen sollte, doch noch zuzuziehen (vgl. V. 1905-1907).

Wie die nach dem Urteilsspruch gewonnenen Erkenntnisse juristisch verarbeitet werden; ob das Urteil Adams aufgehoben wird, oder ob Ruprecht doch nach Utrecht ziehen muss, bleibt am Ende offen. Entscheidend für die Anlage der poetischen Erfindung ist aber, dass die für den Zuschauer gültige Auflösung nicht in der von Walter vorgesehenen Weise erfolgt, sondern spontan und außerhalb der künstlichen Verfahrensordnung. Schließlich: Was bleibt nach der Versöhnung des Liebespaars und der angekündigten Bestrafung Adams als möglicher Prozessgegenstand eines weiteren Verfahrens überhaupt übrig? – Die Antwort gibt Frau Marthe in ihrem Schlusswort.

Veröffentlicht am 2. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. Juli 2023.