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Der zerbrochne Krug

Zitate und Textstellen

  • »Ei, was zum Henker, sagt, Gevatter Adam! | Was ist mit euch geschehn? Wie seht ihr aus?«
    – (Licht, V. 1-2)

    Die Eröffnungsverse charakterisieren das Lustspiel als analytisches Drama, in dem es um die Aufdeckung eines Geschehens geht, das dem Beginn des Stücks vorausliegt. Es ist das veränderte Aussehen, es sind die Wunden Adams, die die Fragen des Schreibers provozieren, der eigentlich nur gekommen ist, um die Ankunft des neuen Gerichtsrats Walter anzumelden. Die vertraute Anrede, der Fluch und die einleitende Interjektion markieren ein umgangssprachliches, niederes Sprachregister, wie es das Lustspiel fordert.

  • »Ja, seht. Zum Straucheln braucht’s doch nichts, als Füße. | Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier? | Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt | Den leid’gen Stein zum Anstoß in sich selbst.«
    – (Adam, V. 3-6)

    In für Kleist charakteristischer Weise werden konkrete und übertragene Bedeutungen miteinander vermengt. Adam erfindet einen Unfall aus dem Nichts, weil er sein gestriges Missgeschick, den Sturz aus Eves Kammerfenster, vertuschen will. Für die Begründung des anlasslosen Stolperns über die eigenen Füße bemüht er ein sprichwörtlich gewordenes Bibelwort (Jes. 8, 14), in dem der Stein metaphorisch als Ursache für moralische Verstrickung, für einen Fall im übertragenen Sinn, also einen Abfall vom Guten und von Gott eingesetzt wird. Dabei ruft er ein anderes theologisches Axiom auf, die seit dem Sündenfall dem Menschen von Grund her, also anlasslos mitgegebene Sündhaftigkeit. Er plausibilisiert das anlasslose Hinfallen mit der Disposition des Menschen zum anlasslosen Sündigen.

    Die prominente Position der Stelle am Beginn des Stückes macht sie für die Bedeutung desselben insgesamt relevant. Obwohl die Rezipienten wissen, heißt das, dass Adam schon an dieser Stelle schwindelt und seine Wunden nicht auf ein anlassloses Hinfallen zurückgehen, sondern auf die überstürzte Flucht aus Eves Kammer, kann angenommen werden, dass auf einer höheren Bedeutungsebene doch die allgemein-menschliche Sündhaftigkeit am Beispiel des Dorfrichters Adam verhandelt wird.

    Den Strauch, dessen Fehlen Adam hier noch konstatiert, wird er übrigens später zur Erklärung seiner Kratzwunden noch hinzuerfinden (vgl. V. 1479 f.).

  • »Wollt ihr die Hosen anziehn? Seid ihr toll?«
    – (Licht, V. 171)

    Die am Ofen hängenden, noch nassen Hosen Adams sind ein früh eingeführter, später aber auffällig vernachlässigter Hinweis auf die Schuld Adams. Er hatte sich bei der Flucht aus Marthes Garten in die Hosen geschissen, ja auf dem Schnee einen Haufen hinterlassen, den später Frau Brigitte bemerkte. Der dabei entstandene Gestank hilft ihm sogar, denn Frau Brigitte hält ihn nicht zuletzt aufgrund der »Schwefeldämpfe« (V. 1767) für den Leibhaftigen. Die ungläubige Nachfrage Lichts (»toll« hier im Sinne von verrückt) zeugt von der Verwirrung, in der Adam sich angesichts der drohenden Ankunft des Gerichtsrats schon befindet.

  • »Meint er, daß die Justiz ein Töpfer ist?«
    – (Frau Marthe, V. 434)

    Marthe streitet als Klägerin im Streit mit Veit, dem Vater des Beklagten Ruprecht, ab, dass der Gerichtsgang den Schaden, um dessentwillen sie klagt, eigentlich beheben könnte. Der lapidar hingeworfene Satz drückt eine rechtsphilosophische Grundwahrheit aus. Anders etwa als die Medizin, die dem regenerativen Vermögen des Körpers sekundiert, kann das Recht nur das wirklich wiederherstellen, was es selbst definiert hat – das Recht. Auch die Bestrafung desjenigen, der den Krug zerbrochen hat, stellt den Krug nicht wieder her.

  • »Ich will nichts wissen.«
    – (Eve, V. 509)

    Adam bittet Eve vor Prozessbeginn auf »[e]in Wort« (V. 509) beiseite – er will wissen, auf welche Klage er sich in der Verhandlung gefasst machen muss (»Was bringt ihr mir?« – V. 510). Die zitierte, abwehrende Antwort Eves gleicht im Wortlaut dem Ausruf, mit dem in der »Marquise von O…« die Marquise den Antrag des Grafen F. genauso zurückweist wie seine Offerte, ihr mit nur einem Wort das Geheimnis ihrer Lage zu erklären. Dort heißt es: »Ein einziges, heimliches geflüstertes –! sagte der Graf, und griff hastig nach ihrem glatten, ihm entschlüpfenden Arm. – Ich will nichts wissen, versetzte die Marquise, stieß ihn heftig vor die Brust zurück, eilte auf die Rampe und verschwand.« (S. 171 in Bd. III der vierbändigen Werkausgabe Heinrich von Kleists im Deutschen Klassiker Verlag, hg. v. Ilse-Marie Barth u. a.).

  • »Den Krug, den sie zu Wasser trug, zerschlug ich, | Und der Flickschuster hat im Kopf ein Loch. –«
    – (Ruprecht, V. 1044 f.)

    Ruprecht führt hier mehrere Ebenen zusammen, auf denen der Krug als Symbol eingesetzt wird. Hintergrund ist zum einen das erotisch ausgedeutete Sprichwort »Der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht«, das noch in der berühmten Komödie von Beaumarchais »La Folle Journée ou le mariage de Figaro« von 1784 in einer witzigen Abwandlung zitiert worden war. Dort sagt Bazile: »Tant va la cruch à l’eau qu’à la fin – elle s’emplit.« (dt.: so lange geht der Krug zum Wasser, bis er sich am Ende – füllt.)

    Ruprecht meint nun, er habe dem unweigerlichen Brechen des Kruges gleichsam vorgegriffen, indem er den Treuebruch frühzeitig erkannt und unterbunden hat. Zum anderen aber schafft er eine Assoziation von Krug und Richter, wenn er das Loch im Kopf des »Flickschuster« – er glaubt ja, er habe mit Lebrecht gekämpft – und den zerbrochenen Krug in einer parallelen, konklusiven Satzkonstruktion zusammenbindet.

  • »Ich bin ein Schelm, wenn’s nicht der Lebrecht war.«
    – (Adam, V. 1205)

    Die redensartliche Beteuerung Adams gerät in für das Stück typischer Weise zum verkappten Eingeständnis der eigenen Schuld. Ähnlich der Vers 1092 – auch hier spricht der Dorfrichter: »Doch wenn ihr’s heraus bekommt, bin ich ein Schuft.« – Wenn die Erfindung tropischer Ausdrucksformen ein Grundverfahren poetischen Sprechens ist, so besteht ein anderes Grundverfahren darin, in der Sprache habitualisierten tropischen Ausdrucksformen die Übertragungsleistung zu verweigern, sie also wörtlich zu nehmen.

    Kleist führt an dieser Stelle beide Bedeutungen parallel. Im gegebenen Kommunikationskontext auf der Bühne meint Adam den Ausdruck im gewohnten hyperbolischen, also übertragenen Sinne: »Es ist so unmöglich, dass es der Lebrecht nicht war, wie dass ich ein Schelm bin.« Der Zuschauer bemerkt, dass auch der wörtliche Sinn zutrifft: »Wenn Lebrecht als möglicher Schuldiger ausscheidet, werde ich als der Schelm entdeckt werden, der ich bin.«

  • Eve: »Und da ich frag‘, was dies auch mir bedeute? | Läßt er am Tisch jetzt auf den Stuhl sich nieder, | Und faßt mich so, bei beiden Händen, seht, | Und sieht mich an.«
    Frau Marthe: »Und sieht – ?«
    Ruprecht: »Und sieht dich an – ? |«
    Eve: »Zwei abgemessene Minuten starr mich an.«
    Frau Marthe: »Und spricht – ?«
    Ruprecht: »Spricht nichts – ?«
    Eve: »Er, Niederträcht’ger, sag‘ ich, | Da er jetzt spricht; was denkt er auch von mir?«
    – (Variant, V. 2213-2119)

    Kleist hat die ursprünglich vorgesehene, lange Erzählung Eves im zwölften Auftritt in der Buchfassung nur mehr als Variant angehängt. Die Passage ist für eine vollständige Aufklärung aber wichtig, insofern nur hier unmissverständlich ausgesagt wird, wie weit Adam bei Eve gehen konnte. Der letztlich harmlose Charakter des erotischen Kontakts ist Grundbedingung des versöhnlichen Ausgangs und für die mittlere Bewertung des Dorfrichters wichtig. So schändlich seine Absichten waren, macht es nicht den Anschein, als hätte er es über sich bringen können, körperliche Gewalt zu üben.

  • »Seht! Seht! | Wie die Perücke ihm den Rücken peitscht!«
    – (Mehrere, V. 1958 f.)

    Auch bei der Züchtigung des Richters greift eine merkwürdige Logik der Ersetzungen und Übertragungen. Ruprecht schlägt »[i]n Ermangelung des Buckels« (V. 1904) auf den Mantel des entflohenen Richters ein. Weil der Mantel dessen Amtsgewalt repräsentiert, droht der Gerichtsrat Walter, Ruprecht für sein sinnloses Schlagen zu bestrafen.

    Die Perücke wiederum unterstreicht die richterliche Würde: Ohne sie kann das Amt nur zur Not ausgeführt werden. Jetzt diente die Perücke, die Adam unter Eves Kammer im Weinspalier hatte hängen lassen, seiner Überführung und jetzt wird er durch sie, als handle sie eigenständig, als übertrüge sie die Schläge Ruprechts, ausgepeitscht.

  • »Gut! Auf die Woche stell‘ ich dort mich ein.«
    – (Frau Marthe, V. 1974)

    Das Schlusswort des Lustspiels gehört der Klägerin und gleichsam dem titelgebenden Klagegegenstand, dem Krug. Marthe hatte in dem Streit mit Veit vor Verhandlungsbeginn darauf aufmerksam gemacht, dass auch ein Gericht ihr den Krug nicht wieder in den vorherigen Zustand zurückversetzen könnte.

    Am Ende konstatiert sie, dass selbst die Mittel, die das Gericht hat, wegen des Krugs nicht zum Zuge gekommen sind. Damit hat sie recht. Der Prozess endete formal mit der Verurteilung Ruprechts durch den Richter Adam; freilich wird niemand, angesichts der darauffolgenden Zeugenaussage Eves und der Suspension des Dorfrichters durch den Gerichtsrat die Sentenz anerkennen oder umsetzen. Das bedeutet aber nur: Es hat wegen des Kruges so gut wie gar keinen Prozess gegeben. Die Überführung Adams geschieht außerhalb der eigentlichen Prozessordnung und verlangt, wie Marthe richtig schließt, einen eigenen Prozess.

Veröffentlicht am 2. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. Juli 2023.