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Der zerbrochne Krug

Rezeption und Kritik

Die Erstaufführung von »Der zerbrochne Krug« am Weimarer Hoftheater unter der Leitung Goethes (in 1808) machte das Lustspiel schon vor der ersten Buchausgabe 1811 bekannt.

Der Mitherausgeber der Zeitschrift »Phöbus«, Adam Müller (1779-1829), konnte Goethe durch die Übersendung des »Amphitryon« und des »Zerbrochnen Krugs« für eine Aufführung des Lustspiels interessieren. Goethe erhielt es am 8. August 1807 in Karlsbad und hat es noch am selben und dem folgenden Tage gelesen. Er antwortet Müller am 28. August mit folgender Einschätzung:

    Der zerbrochene Krug hat außerordentliche Verdienste und die ganze Darstellung dringt sich mit gewaltsamer Gegenwart auf. Nur Schade daß das Stück auch wieder dem unsichtbaren Theater angehört. Das Talent des Verfassers, so lebendig er auch darzustellen vermag, neigt sich doch mehr gegen das Dialectische hin; wie er es denn in dieser stationären Proceßform auf das wunderbarste manifestiert hat. Könnte er mit eben dem Naturell und Geschick eine wirkliche dramatische Handlung vor unsern Augen und Sinnen sich entfalten lassen, wie er hier eine vergangene sich nach und nach enthüllen läßt; so würde es für das deutsche Theater ein großes Geschenk seyn.

    Das Manuscript will ich mit nach Weimar nehmen, in Hoffnung Ihrer Erlaubnis, und sehen ob etwa ein Versuch der Vorstellung zu machen sey. Zum Richter Adam haben wir einen vollkommen passenden Schauspieler, und auf diese Rolle kommt es vorzüglich an; die andern sind eher zu besetzen. (Lebensspuren, Nr. 185)

Goethe kehrte am 11. September 1807 nach Weimar zurück. Ende des Jahres liefen die Vorbereitungen zu einer Aufführung an, die schließlich am 2. März 1808 erfolgte. Dem Lustspiel ging dabei die Darbietung einer einaktigen Oper voraus (»Der Gefangene«, von Pierre-Antoine-Dominique Della Maria, nach dem Libretto von Alexandre Duval).

Wie deutlich die Missfallensbekundungen des anwesenden Publikums waren, darüber divergieren die Berichte. Friedrich Wilhelm Riemer (1774-1845), Hauslehrer von Goethes Sohn August und ab 1803 Goethes engster Mitarbeiter, notierte in seinem Tagebuch noch am Abend der Aufführung: »Abends der Gefangene und der zerbrochene Krug, der anfangs gefiel, nachher langweilte und zuletzt von einigen wenigen ausgetrommelt wurde, während andere zum Schlusse klatschten. Um 9 Uhr aus.« (Lebensspuren, Nr. 239b)

Die zeitliche Nähe zur Aufführung und die Unwahrscheinlichkeit einer Parteinahme für Kleist bei Goethes Vertrautem verleihen diesem Zeugnis einige Glaubwürdigkeit. Geradezu komisch erscheint es vor diesem Hintergrund, dass sich der Kleist-Herausgeber Karl Siegen (1851-1917) im Jahr 1879 von dem »vielleicht letztverstorbenen Augenzeugen dieser Vorstellung«, dem ab 1805 in Weimar wirkenden Kupferstecher Karl August Schwerdtgeburth (1785-1878) bestätigen lässt, »daß sich an diesem Abend ein wahrer Heidenlärm im Theater erhoben und daß das ganze Publikum seinen Unwillen gegen die Aufführung des Stückes in demonstrativer Weise, durch Pfeifen, Zischen etc., kundgetan habe.« (Lebensspuren, Nr. 243)

Belegen lässt sich hingegen das ausgesprochene Missfallen der höfischen Kreise in Weimar. So schrieb Magdalena Henriette von Knebel (1755-1813), Hofdame der Prinzessin Caroline Louise von Sachsen-Weimar, ihrem Bruder Karl Ludwig von Knebel (1744-1834), der für die Vermittlung Goethes an den Weimarer Hof verantwortlich war:

    Ein fürchterliches Lustspiel, was wir am vorigen Mittwoch haben aufführen sehen und was einen unverlöschbaren unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hat und auf uns alle, ist der zerbrochene Krug von Herrn von Kleist in Dresden, Mitarbeiter des charmanten Phöbus. Wirklich hätte ich nicht geglaubt, daß es möglich wäre, so was Langweiliges und Abgeschmacktes hinzuschreiben. Die Prinzeß meint, daß die Herrens von Kleist gerechte Ansprüche auf den Lazarusorden hätten. Der moralische Aussatz ist doch auch ein böses Übel. Ich glaube, bei diesen Herrens hat sich das Blut, was sie sich im Krieg erhalten haben, alles in Dinte verwandelt. Im nächsten Phöbus, den Dir die Prinzessin bald schicken wird, tritt dieser selbe Autor auch gleich mit so einer abscheulichen Geschichte [Marquise von O …] auf, lang und langweilig im höchsten Grad. (Lebensspuren, Nr. 244)

Während moralische Bedenken bei dieser Einschätzung maßgeblich sein dürften, klagt auch die am 11. März publizierte Rezension in der »Allgemeinen Deutschen Theater-Zeitung« in Leipzig über die Länge des Stücks – sie wird dort mit zweieinhalb Stunden angegeben (vgl. Lebensspuren, Nr. 247; da der Abend um halb sechs begann – vgl. den Theaterzettel, Lebensspuren Nr. 240 – und um neun Uhr endete, dauerte die einaktige Oper also eine Stunde).

Ähnlich urteilte der Rezensent der »Zeitung für die elegante Welt« am 14. März (vgl. Lebensspuren, Nr. 248a), der vor allem die Länge des dritten Akts betonte (» […] und besonders wird im letzten Akt so entsetzlich viel und alles so breit erzählt, daß dem sonst sehr geduldigen Publikum der Geduldfaden endlich riß, […] «). Offenbar hat Goethe die längere Fassung des Stücks, also inklusive des als »Variant« erst in der Buchausgabe ausgesonderten, längeren Schlusses, gespielt (mit der Akteinteilung 1.-9. Auftritt; 10. Auftritt; 11.-13. Auftritt).

Den Eindruck der Länge und der Langatmigkeit mag die Deklamation des Hauptdarstellers Becker begünstigt haben. Der Weimarer Schauspieler Anton Genast (1756-1831) – Goethes Vertrauter in der Leitung des Theaters – wird in dem 1862 erschienen »Tagebuch eines Schauspielers« von seinem Sohn folgendermaßen zitiert:

    Schon bei der ersten Vorstellung wurde dem Stück der Stab gebrochen, und es fiel unverdienterweise total durch. Hauptsächlich traf die Schuld des Mißlingens den Darsteller des Adam, der in seinem Vortrag so breit und langweilig war, daß selbst seine Mitspieler die Geduld dabei verloren. Trotz allen Rügen Goethes bei den Proben war er aus seinem breitspurigen Redegang nicht herauszubringen, und den kurzen Imperativ bei ihm anzubringen, wäre wahrlich ganz in der Ordnung gewesen, denn das Zerren und Dehnen war nicht zu ertragen. (Lebensspuren, Nr. 242)

Hierfür könnte mittelbar Goethes Regie verantwortlich gewesen sein, der, nach einem im Nachlass gefundenen Zeugnis des theaterbegeisterten Schriftstellers und Pädagogen Johann Daniel Falk (1768-1826), gesagt habe, »er müsse die Schauspieler im Spielen ordentlich einhalten und Pausen machen lassen, damit die Zuschauer Zeit behielten, sich auszulachen.« (Lebensspuren, Nr. 241) Es ist leicht vorstellbar, wie langsames Sprechen und häufiges Innehalten das auf Tempo und Tumult angewiesene Stück um einen guten Teil seiner Wirkung bringen kann.

Interessant ist – um nun in der Zeit etwas zu springen – das Missfallen, dass gerade die Realisten Theodor Storm und Theodor Fontane dem Stück entgegenbrachten. Wiederholt ist dem Lustspiel der Vorwurf des Kalten, nur Geistreichen, des Technischen und Virtuosen gemacht worden (am pointiertesten von Friedrich Gundolf in seinem Kleist-Buch: Heinrich von Kleist, Berlin 1924, S. 61-63) und auch Storm findet im »Zerbrochnen Krug« ein Stück vor, »wo fortwährend nur Geist und Verstand, nicht eine Secunde lang aber unser Gefühlsanteil in Anspruch genommen wird.« (Theodor Storm – Erich Schmidt. Briefwechsel. Kritische Ausgabe, hg. v. Karl Ernst Laage, Bd. 2: 1880-1888, Berlin 1976, S. 135 f.)

Arnold Zweig (1887-1968) meinte dazu in einem 1925 erschienenen Essay »Versuch über Kleist«, dass ein einziger Monolog, »in dem der Richter uns den vollen Blick auf seine Taten gönnte«, genügt hätte, das Publikum für ihn zu gewinnen (Arnold Zweig: Versuch über Kleist, in: Lessing, Kleist, Büchner. Drei Versuche, Berlin 1925, S. 111 f.).

Auch Fontane hatte offenbar Schwierigkeiten, sein Unbehagen gegenüber den Derbheiten des bäuerlichen Milieus zu überwinden:

    Kleists ›Zerbrochener Krug‹, der folgte, machte den Eindruck, den er, von der Bühne her, von jeher auf mich gemacht hat: man wird seiner nicht recht froh. Es ist ein Lesestück. Da bewundert man die Kunst des Aufbaus, die Konsequenz der Durchführung, die Schärfe der Sprache, vor allem ihre Knappheit, und was Häßliches mit darunter läuft, wird einem – Pardon für den Ausdruck – wenigstens nicht direkt unter die Nase gestoßen. Hat man dies Greuel von Dorfrichter aber dreiviertel Stunde lang beinah auf Handnähe vor sich, sieht man ihn sich die gequetschte Wade gemächlich verbinden und wird man unausgesetzt zum Augen- und Ohrenzeugen seiner Brutalitäten, Lügen und Pfiffigkeiten, ohne in diese sich auch schon äußerlich als Schmuddelwelt charakterisierende Gerichtsstube nur einen einzigen Licht- und Schönheitsschimmer (denn der zu Tage tretende Humor ist au fond wenig erquicklich) einfallen zu sehen, so wird man der unbestreitbaren und beinah grandiosen Vorzüge des Stückes, nämlich seiner Charakteristik und seiner Ökonomie, nicht recht froh. (Sämtliche Werke, hg. v. Walter Keitel, Abt. III, Bd. 2: Theaterkritiken, München 1969, S. 698)

Die literaturwissenschaftliche Forschung hat in unermüdlicher Arbeit die verschiedenen Bedeutungsschichten des Lustspiels offengelegt (auf dem Feld der Psychoanalyse, der Diskurshistorie, Kulturanthropologie, Zeichen- und Medientheorie usw.) – und natürlich gab es von Beginn an auch uneingeschränkt positive Einschätzungen, etwa durch den Herausgeber von Kleists »Gesammelten Schriften« (1826) Ludwig Tieck, Friedrich Hebbel (vgl. Nachruhm, Nr. 264), Klabund (vgl. Nachruhm Nr. 442) und von Georg Lukács (vgl. Lukács: Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts, Bern 1951, S. 42), die hier abschließend zitiert sei:

    Für die marxistische Literaturbetrachtung ist das gestaltete Werk und seine Beziehung zur objektiven Wirklichkeit entscheidend. Und im ›Zerbrochenen Krug‹ haben wir ein großartiges Gemälde des damaligen Preußen vor uns, das – gleichviel ob aus politischen oder ästhetischen Gründen – als patriarchalisches Holland vor uns steht. Die holländischen Züge sind nur sekundär und artistisch dekorativ. Das Wesentliche ist auch hier, wie in ›Michael Kohlhaas‹, die künstlerische Zerstörung der romantischen Idylle von der ›guten alten Zeit‹. Die Willkür der patriarchalischen Gerichtsbarkeit auf dem Lande, die Mißhandlung der Bauern durch die Obrigkeit, das tiefe Mißtrauen der Bauern allem gegenüber, was von ›oben‹ kommt, ihr Gefühl, daß man sich vor der Behörde nur durch Bestechung und Betrug schützen kann, einerlei, ob diese Bestechung durch Geld, Geschenke oder durch sexuelle Nachgiebigkeit geschieht, ergibt zusammen ein hervorragendes realistisches Bild des damaligen ländlichen Preußen.

Die erste von insgesamt acht Verfilmungen gab es 1934 unter der Regie von Ernst Angel, das erste von über zwanzig Hörspielen stammt aus dem Jahr 1925. Sowohl im Film- wie im Hörspielmedium gibt es Realisierungen in einem bestimmten Dialekt (Kölsch, Bairisch, Niederdeutsch, Österreichisch etc.). Viermal ist das Stück als Oper umgesetzt worden, zuletzt durch den italienischen Komponisten Flavio Testi (Uraufführung 1997 in Bologna).

Veröffentlicht am 2. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. Juli 2023.