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Leutnant Gustl

Aufbau des Werkes

Die Novelle hat auf dreißig Seiten (in der vorliegenden Ausgabe) eine klare Struktur. Es gibt einen Vorlauf, der etwas weniger als ein Viertel des Gesamtumfangs ausmacht. Dann gibt es zwei Dialoge, die die ganze Handlung ausmachen: den Vorfall an der Garderobe und die erlösende Nachricht über den Tod des Bäckermeisters. Der zweite Dialog steht am Schluss der Novelle, beide Dialoge rahmen also eine lange, zwei Drittel des Gesamtumfangs ausmachende Mittelpartie, in der (bezogen auf die kausale Struktur der Handlung) nichts geschieht:

7                 (337-343)                Vorlauf im Konzert

1                    (343-344)                Der Vorfall an der Garderobe

20                  (344-364)                Spaziergang, Schlaf, Spaziergang

3                    (364-366)                Die erlösende Nachricht im Kaffeehaus

Die Mittelpartie ist ihrerseits durch den etwa dreistündigen Schlaf Gustls in zwei Teile unterteilt: Die erste Partie umfasst knapp dreizehn, die zweite dann noch knapp acht Seiten. Während in der ersten Partie Gustl zunächst in Bewegung ist, dann aber auf der Parkbank sitzen bleibt (ab Seite 351), ist er in der zweiten Partie durchgängig in Bewegung.

Die Chronologie lässt sich anhand von Uhrzeitangaben relativ genau nachvollziehen. Die Novelle setzt um viertel vor zehn Uhr ein (337), elf Uhr ist es auf etwa halbem Weg zur Aspernbrücke (346). Auf der Bank im Prater sitzend meint er, Mitternacht sei vorüber (354).  Er wacht um drei Uhr auf (356), auf der Nordbahnuhr ist es, als er dort vorübergeht, halb vier (358). Der Bursche, der die Nachricht vom Tod Habetswallners in das Kaffeehaus brachte, ist dort um halb fünf Uhr hingekommen (365), und kurz bevor Gustl das Kaffeehaus erreicht, ist es viertel vor sechs (363).

Insgesamt ist das Verhältnis von Textumfang und in der Geschichte verlaufender Zeit so recht konstant: Die vierzehn Seiten bis zum Einschlafen decken vielleicht zweieinhalb, die sechzehn Seiten nach dem Aufwachen knappe drei Stunden. Man mag aber bezweifeln, ob jemand für den Weg vom Prater zu dem Kaffeehaus nahe der Ringstraße (auch den kurzen Kirchenbesuch eingerechnet) wirklich drei Stunden bräuchte.

So klar und übersichtlich die äußere Handlung ist, so filigran ist das motivische Netz, das dank der Entscheidung zum konsequenten Gedankenbericht vom Autor gesponnen werden kann. Nach dem entscheidenden Vorfall bildet sich ein Rhythmus aus, in dem längere Abschweifungen und knappere Erinnerungen an den Ernst der Lage alternieren. Die Abschweifungen betreffen Steffi und andere Geliebte, die Familie in Graz, die Stationierung in Galizien und das morgige Duell. Gustl kann kaum über seine eigene Lage reflektieren, ohne an Exempeln aus seinem Bekanntenkreis Halt zu suchen, sodass eine Fülle von Anekdoten Eingang in die Novelle findet.

Neben der transparenten zeitlichen Organisation ist auch die räumliche Dimension der Novelle klar strukturiert. Es gibt, vom Musikverein aus, einen Hinweg in den Prater, und dann, nach dem Schlaf, einen Rückweg in die Innere Stadt. Ziel des Rückwegs ist zunächst die eigene Wohnung, dann aber das Kaffeehaus. Im übertragenen Sinne führt die Novelle Gustl aus der Gesellschaft in die (relative) Einsamkeit und Unbeobachtetheit, und wieder in die Gesellschaft zurück.

Veröffentlicht am 28. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. Dezember 2023.