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Leutnant Gustl

[Durch die Innere Stadt zum Kaffeehaus] S. 360-364

Zusammenfassung

Gustl sieht zur Arbeit in ein Geschäft gehende Mädchen. Adel‘ arbeitete auch in einem Geschäft, und wenn er ganz über Steffi verfügen könnte, würde er dafür sorgen, dass sie Modistin oder etwas Ähnliches würde, denn diese Arbeit bewahre die Frauen vor dem sittlichen Verfall.

Weil er wieder daran denkt, wie Steffi die Nachricht von seinem Tode aufnehmen werde, ermahnt er sich, diese Affäre nicht so wichtig zu nehmen. Immerhin kenne er sie kaum ein halbes Jahr. Zu Weihnachten – so erinnert er sich – hat er ihr aus Graz Zuckerwerk mitgebracht und zu Neujahr schrieb sie ihm einen Brief.

Ihm fällt ein, dass der Brief von einem gewissen Fallsteiner diesem, bei ihm gefunden, Unannehmlichkeiten machen könnte und nimmt sich vor, alle Briefe zu verbrennen. Seine Bücher – darunter »In Nacht und Eis« (1897) von Fridtjof Nansen (1861–1930), der Bericht über seine Polarexpedition – will er einem gewissen Blany vermachen.

Aus einer Kirche (in der Handschrift: der Stephanskirche) hört er Orgelmusik von der Frühmesse und geht hinein. Ihn überkommen Wünsche, sich beichtend jemandem anzuvertrauen oder eine alte Frau um Fürbitte zu bitten. Die Melodie erinnert ihn an das gestrige Oratorium, und fliehend vor seiner eigenen Rührung verlässt er die Kirche. Er bereut, sich nicht gleich im Prater umgebracht zu haben.

Das Gehen beruhigt ihn. Hungrig, beschließt er, in sein Kaffeehaus zu gehen, das schon geöffnet hat und in dem er niemand Bekannten erwarten muss.

Er grüßt einen diensthabenden Wachmann und erinnert sich, wie gut er sein Kommando geführt habe. Er passiert den Burghof, in dem das Bosnisch-Herzegowinische Infanterie-Regiment Nr. 1 Wache hält und überlegt, ob er Kopetzky oder Wymetal auffordern könne, sich an seiner Statt mit dem Doktor zu schlagen. Im Volksgarten denkt er an eine Damenbekanntschaft, die er dort einmal gemacht hat, und die von einem Rochlitz übernommen wurde. Steffi schlafe jetzt, dann sehe sie sie immer kindlich und unschuldig aus. Er beschließt, doch vor dem Selbstmord noch Briefe zu schreiben. Wenn er bis sieben nicht fertig werde, sei ja immer noch genug Zeit.

Die Ringstraße passierend, entwirft er den Anfang der Briefe an Steffi und an die Schwester Klara. Wegen der dabei ihn überkommenden Rührung beschließt er, doch niemandem zu schreiben – oder allenfalls Kopetzky. Auf der Uhr ist es viertel vor sechs. Er sieht eine junge Frau, der er öfter in der Florianigasse begegnet ist und die er einmal ansprechen wollte.

Er erreicht das Kaffeehaus.

Analyse

Die Gedanken, die die Tatsächlichkeit des Selbstmordvorhabens und den drohenden Tod zum Inhalt haben, unterbrechen, seitdem Gustl zur Einsicht in die Notwendigkeit des Suizids gelangt ist, regelmäßig längere und harmlosere Reflexionen. Die zeitliche Annäherung an den gesetzten Termin führt zu keiner Änderung in diesem mittlerweile gewohnten (und leicht komischen) Rhythmus (»Oho, bin ich vielleicht deshalb so ruhig, weil ich mir immer noch einbild‘, ich muß nicht?... Ich muß! Ich muß! Nein, ich will!« – 361), aber die Intensität des Affekts nimmt doch zu und veranlasst ihn gleichsam zu Fluchtbewegungen: so aus der Kirche (»Fort, fort! das halt‘ ich gar nicht aus!...« – 361) und aus dem Vorhaben, an die Angehörigen noch Abschiedsbriefe zu schreiben (»Ah, ich schreib lieber gar nicht!... Nein, da wird mir zum Weinen… es beißt mich ja schon in den Augen, wenn ich dran denk‘…« – 363). Auch die witzige, mit dem Banalen spielende Behandlung des eigenen Selbstmords erweckt in ihm nun ein leichtes Grausen:

    Der da hat sicher auch die ganze Nacht nicht geschlafen. – Na, jetzt wird er schön nach Haus geh’n und sich niederlegen – ich auch! – Haha! jetzt wird’s ernst, Gustl, ja!... Na, wenn nicht einmal das biss’l Grausen wär‘, so wär‘ ja schon gar nichts dran – und im ganzen, ich muß’s schon selber sagen, halt‘ ich mich brav… (363 f.)

Der Weg geht einmal quer durch die Innere Stadt: an der Stephanskirche vorbei zum Innenhof der Hofburg, durch den Volksgarten und zur Ringstraße. Die genaue Adresse des Kaffeehauses ist nicht zu ermitteln.

Mit dem Spaziergang ist der Plan zur Verfassung von Abschiedsbriefen verknüpft. Es gibt eine Keimzelle noch vor dem Kirchenbesuch (»Sie wird sich ärgern, daß ich ihr’s nicht geschrieben hab‘…« – 360), dann greift er den Gedanken im Volksgarten wieder auf: »Ich sollt‘ ihr doch noch ein Wort schreiben… warum denn nicht? Es tut’s ja doch ein jeder, daß er vorher noch Briefe schreibt.« (362) Ihm fallen weitere Adressaten ein, dann bringt er die Briefe in eine Reihenfolge und macht in Gedanken erste Entwürfe. Der Gedanke an den Brief an die Schwester rührt ihn aber so sehr, dass er das ganze Vorhaben verwirft, um seine Haltung nicht zu verlieren.

Noch einmal gibt es zur Erstellung der rückwärtsgewandten Chronologie von Gustls Leben einen wichtigen Hinweis: Das Liebesverhältnis zu Steffi unterhält er erst seit kurz vor Weihnachten.

Veröffentlicht am 28. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. Dezember 2023.