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Traumnovelle

Zitate und Textstellen

  • »Vierundzwanzig braune Sklaven ruderten die prächtige Galeere, die den Prinzen Amgiad zu dem Palast des Kalifen bringen sollte. Der Prinz aber, in seinen Purpurmantel gehüllt, lag allein auf dem Verdeck unter dem dunkelblauen, sternbesäten Nachthimmel, und sein Blick – «
    – Tochter von Albertine und Fridolin, 1. Kapitel

    Bei dieser Textstelle handelt es sich um das Märchen, das die Tochter Albertines und Fridolins zu Beginn des Textes erzählt – es präfiguriert den Verlauf der Handlung, wobei man den Prinzen Amgiad auf Fridolin und dessen bevorstehende nächtliche Reise beziehen kann. Außerdem ist der Prinz, ebenso wie Fridolin später, verhüllt und symbolisiert dadurch die Scham de Arztes sowie dessen Wunsch, sich vor den Blicken der anderen zu verstecken.

  • »Marianne sähe sicher besser aus, dachte er, wenn sie seine Geliebte wäre. Ihr Haar wäre weniger trocken, ihre Lippen röter und voller. Wie alt mag sie sein?«
    – Fridolin, 2. Kapitel

    Fridolin ist hier um eine doppelte Sicherstellung seiner Kontrolle bemüht: Zum einen, indem er Marianne genauestens betrachtet und beurteilt – damit ist er derjenige, von dem der Blickkontakt ausgeht. Zum anderen deutet er hier auch an, Marianne verändern zu wollen und zu können, was ihm ebenfalls Kontrolle sichern soll.

  • »Tausendmal schlimmer wäre es ihm erschienen, der einzige mit unverlavtem Gesicht unter lauter Masken dazustehen, als plötzlich unter Angekleideten nackt.«
    – 4. Kapitel

    Dadurch, dass Fridolin sein Gesicht zu verhüllen sucht, versteckt er auch seine Individualität, seine Gefühle und Gedanken. Eben jene innerlichen und persönlichen Aspekte sind es, für die er sich schämt und die er daher um jeden Preis vor den Blicken der anderen Menschen bewahren will.

  • »Und mit fester Stimme sagte er: »Wenn einer von den Herren sich durch mein Erscheinen in seiner Ehre gekränkt fühlen sollte, so erkläre ich mich bereit, ihm in üblicher Weise Genugtuung zu geben. Doch meine Maske werde ich nur in dem Falle ablegen, daß Sie alle das gleiche tun, meine Herren.«
    – Fridolin, 4. Kapitel

    Um die Demaskierung zu verhindern, geht Fridolin sogar so weit, den Männern ein Duell anzubieten. Er überwindet hier seine Furcht vor körperlicher Verletzung, die er früher in der Novelle noch betont (beispielsweise bei dem Zusammenstoß mit dem Studenten). Die Textstelle führt die extremen Ausmaße seiner Scham vor Augen.

  • »Und nun erst dachte er an Albertine – doch so, als hätte er auch sie erst zu erobern, als könnte sie, als dürfte sie nicht früher wieder die Seine werden, ehe er sie mit all den andern von heute nacht, mit der nackten Frau, mit Pierrette, mit Marianne, mit dem Dirnchen aus der engen Gasse hintergangen.«
    – Fridolin, 4. Kapitel

    Hier manifestiert Fridolin seinen Racheplan gegen Albertine: Er will sie mit all den Frauen betrügen, denen er in seiner Abenteuernacht begegnet ist. All diese Frauen sind Doppelgängerinnen von Albertine – indem er sie alle verführt, glaubt er, über alle Facetten Albertines die Kontrolle zurückerlangen zu können. Letztlich geht sein Plan nicht auf und er geht mit keiner dieser Frauen fremd.

  • »Und wieder fiel ihm ein, daß er möglicherweise schon den Keim einer Todeskrankheit im Leibe trug. Wäre es nicht zu albern, daran zu sterben, daß einem ein diphtheriekrankes Kind ins Gesicht gehustet hatte? Vielleicht war er schon krank. Hatte er nicht Fieber? Lag er in diesem Augenblick nicht daheim zu Bett – und all das, was er erlebt zu haben glaubte, waren nichts als Delirien gewesen?«
    – Fridolin, 4. Kapitel

    Zum Ausdruck kommt hier Fridolins Furcht, sich mit einer tödlichen Krankheit zu infizieren. Diese Furcht hatte er vorher verdrängt und sie dient ihm nun als Mittel, eine Erklärung für die sonderbaren Erlebnisse zu finden. Allerdings verwirrt er sowohl sich selbst als auch den Leser auf diese Weise nur noch mehr.

  • »Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne.«
    – 5. Kapitel

    Diese Textstelle unterstreicht die Differenzen zwischen Albertine und Fridolin: Während Albertine ihre geheimen Wünsche stillen kann, gelingt dies Fridolin nicht. Außerdem hegen beide Rachegedanken, die sie auf verschiedene Arten auszuleben versuchen (was ebenfalls nur bei Albertine funktioniert) – und doch denken die beiden aneinander und verletzen den anderen nicht tatsächlich. Schließlich finden sie trotz allem eine Lösung für ihren Konflikt.

  • »Aber so wie jenes frühere Gefühl von Entsetzen und Scham über alles im Wachen Vorstellbare weit hinausging, so gibt es gewiß nichts in unserer bewußten Existenz, das der Gelöstheit, der Freiheit, dem Glück gleichkommt, das ich nun in diesem Traum empfand.«
    – Albertine, 5. Kapitel

    Diese Aussage stammt von Albertine, kurz nachdem sie Fridolin von ihrem Traum erzählt hat. Offensichtlich ist hier die Entspannung und Erfüllung, die ihr dieser Traum verschafft hat. Im Gegensatz zu Fridolin ist sie nicht länger den heimlichen Gelüsten verschrieben, sondern kann ihr Leben frei und glücklich weiterleben.

  • »Ich lief dir entgegen, auch du schlugst einen immer rascheren Gang ein – ich begann zu schweben, auch du schwebtest in den Lüften; doch plötzlich entschwanden wir einander, und ich wußte: wir waren aneinander vorbeigeflogen.«
    – Albertine, 5. Kapitel

    Auch hier berichtet Albertine von ihrem Traum: Albertine und Fridolin laufen einander zunächst entgegen, wenig später schweben sie einander entgegen, was bedeuten soll, dass sie sich zunächst auf einer Wellenlänge befinden, einander verstehen. Dadurch, dass sie dann aneinander vorbeifliegen, wird deutlich, dass momentan ein Konflikt herrscht, den Albertine nun träumerisch verarbeitet. Albertine und Fridolin entgleiten einander und müssen nun einen Weg finden, um wieder aufeinander zuzufliegen.

  • »Was sollen wir tun, Albertine?« Sie lächelte, und nach kurzem Zögern erwiderte sie: »Dem Schicksal dankbar sein, glaube ich, daß wir aus allen Abenteuern heil davongekommen sind – aus den wirklichen und aus den geträumten.«
    – Gespräch zwischen Albertine und Fridolin, 7. Kapitel

    Dieses Gespräch findet kurz nach Fridolins Beichte gegen Ende der Novelle statt. Es ist unsicher, ob Fridolin Albertine die (komplette) Wahrheit erzählt hat. Jedenfalls hat er ihr etwas gebeichtet, woraufhin sie wohlwollend und gütig reagiert. Sie betrachtet die Beichte als Endpunkt für die Differenzen und heimlichen Wünsche – damit ist die notwendige Grundlage für das Fortbestehen der Ehe geschaffen. Ob die beiden in Zukunft glücklich sind und wie lange die Ehe letztlich hält, wird offengelassen.

Veröffentlicht am 6. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 7. Oktober 2022.