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Traumnovelle

4. Kapitel

Zusammenfassung

Immer noch läuft der Arzt ohne Ziel durch die nächtliche Innenstadt und kehrt in einem Kaffeehaus ein. Dort liest er von einem Mädchen, das sich selbst vergiftet hat und trifft auf Nachtigall, einen ehemaligen Kommilitonen, der sich als Musiker über Wasser hält. Fridolin erfährt durch Nachtigall von ausschweifenden Festen und Bällen, bei denen der Pianist mit verbundenen Augen auftritt. Trotz erheblicher Bedenken seitens Nachtigall machen sich beide auf den Weg zu einem dieser Bälle. Zunächst benötigt Fridolin jedoch eine Verkleidung, die er sich bei dem Kostümverleiher Gibiser besorgt. Als Fridolin dort nach einer Mönchskutte stöbert, begegnet er der als Pierrette verkleideten Tochter von Gibiser, die sich gerade mit zwei Männern in Femrichterkostümen vergnügt. Er rügt die Tochter und will die Polizei verständigen.

Ausgerüstet mit einem Kostüm trifft sich Fridolin mit Nachtigall, der ihm die geheime Zutrittsparole »Dänemark« verrät. In getrennten Kutschen fahren beide zu dem seltsamen Ball, wo Fridolin unter den zahlreichen anderen als Mönchen und Nonnen verkleideten Gästen umgehend auffällt. Trotz Unbehagen und dem Rat einer Nonne sofort zu gehen, entschließt sich der Arzt, zu bleiben. Der Abend beginnt mit erotischen Tänzen unter den Teilnehmern, wobei die Frauen nur noch ihr Gesicht verhüllen. Fridolin kommt erneut mit der Nonne ins Gespräch und will sie demaskieren. Die geheimnisvolle Schönheit aber schreckt zurück und berichtet von drastischen Strafen bei einer Demaskierung. Das Gespräch bleibt nicht unbemerkt und Fridolin wird als Fremder erkannt. Nachdem er nach einem weiteren Passwort gefragt wird, das Fridolin nicht kennt, muss er seine Maske ablegen. Die unbekannte Tänzerin will sich für ihn aufopfern, doch Fridolin wird des Saales verwiesen und gewarnt, Stillschweigen über die Geschehnisse der Nacht zu bewahren und keine Nachforschungen anzustellen. Draußen angekommen, wird er von einer Kutsche mitgenommen und auf einem Feld abgesetzt, woraufhin er sich auf den Heimweg begibt.

Analyse

Nachtigall wird Fridolin entgegengesetzt und ist zudem dessen düsterer Doppelgänger: Wie Fridolin hat der ehemalige Kommilitone zunächst Medizin studiert, dieses Studium allerdings für eine Musikerkarriere und das Leben als Abenteurer abgebrochen. Er verkörpert das Bild eines Verführers, das auch Fridolin anstrebt und für sich erfüllen will, woran er aber scheitert.

Als Doppelgängerin muss auch die Tochter des Kostümverleihers Gibiser bezeichnet werden: Sie spiegelt das junge Mädchen am Strand in Dänemark wider; die als Pierrette kostümierte Tochter Gibisers ist ein weiters junges Mädchen, zu dem sich Fridolin hingezogen fühlt. Sein Wunsch, als Verführer wahrgenommen zu werden, scheitert jedoch ein weiteres Mal. So auch auf dem Maskenball: Selbst die Maskierung kann ihn nicht zu diesem Verführer machen; hinter der Maske steckt immer noch der Arzt.

Auf dem Maskenball nimmt Fridolin die Rolle des Zuschauers ein: Dabei ist nicht ersichtlich, ob es sich bei dem Ball um eine Art Spiel handelt und wer die Spielleiter und wer die Spieler sein könnten. Der Eindruck, dass es sich bei Fridolin um einen Zuschauer handelt, wird durch passive Formulierungen verdeutlicht, die Fridolin umschließen. So heißt es beispielsweise »ein fremdartiger, schwüler Wohlgeruch [...] umfing ihn« und nicht »er roch«. Darüber hinaus begegnet ihm auf dem Ball eine weitere Doppelgängerin: Die unbekannte und ihn warnende Frau hinter der Maske entspricht sowohl dem jungen Mädchen am Strand als auch der Ehefrau Albertine. Deutlich wird das zum Beispiel daran, dass sowohl Albertine, aber auch die maskierte Frau dem Arzt weitere Fragen untersagen: So meint Albertine: »Frage mich nicht weiter«, als sie im ersten Kapitel von ihren Erlebnissen im Dänemark-Urlaub erzählt, während die unbekannte Warnerin nun auf dem Maskenball betont: »Frage nicht.« Die maskierte Frau entspricht damit der Begierde im Hinblick auf das Mädchen am Strand, aber auch den verwirrten Empfindungen Albertine gegenüber.

Als Passwort für den Ball dient das Wort »Dänemark« – man findet damit einen Verweis auf den im ersten Kapitel geschilderten Urlaub in Dänemark, der als Ursprung für Fridolins Schamgefühl gesehen werden kann. Die Gefühle, die er mit diesem Begriff verbindet, werden auf dem Ball ein zweites, aber intensiveres Mal erfahren und erlebt. Dass ihm das zweite Passwort auf dem Ball fehlt, kann als Bezugnahme auf Fridolins Probleme mit der Ehefrau gelesen werden. Ihm fehlen sowohl zu diesem Wort als auch auf Albertine der Zugriff, er kann sich nicht öffnen und soll letztlich dazu gezwungen werden. Als auf dem Ball Männer erscheinen, um ihm die Maske herunterzureißen, bricht in Fridolin Panik aus: »Tausendmal schlimmer wäre es ihm erschienen, der einzige mit unverlarvtem Gesicht unter lauter Masken dazustehen, als plötzlich unter Angekleideten nackt.« Deutlich wird hier, dass Fridolin keine Angst davor hat, seinen Körper nackt zu zeigen, sondern vielmehr sein Gesicht – und damit seine Individualität, seine Gefühle und Gedanken – zu offenbaren. Es sind dementsprechend auch keine äußerlichen Merkmale oder Auffälligkeiten, für die er sich schämt, sondern innere, psychische Aspekte.

Veröffentlicht am 6. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 7. Oktober 2022.