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Traumnovelle

6. Kapitel

Zusammenfassung

Am nächsten Morgen sucht Fridolin seinen Freund Nachtigall vergeblich im Kaffeehaus, erfährt aber in dessen Pension, dass dieser von zwei Männern abgeholt worden sei. Auch ein Versuch, mit der Tochter des Kostümverleihers zu sprechen, bleibt erfolglos. So muss er unverrichteter Dinge wieder zum Dienst ins Krankenhaus.

Später am Tag sucht er das Haus, in dem er in der Nacht zuvor war. Dort angekommen erhält er eine Mitteilung, nicht nach der Unbekannten von letzter Nacht zu suchen. An seiner Frau will er sich für deren Traum der letzten Nacht rächen und begibt sich dazu zunächst zu Marianne. Letztlich verführt er diese jedoch nicht, sondern verabschiedet sich von ihr.

Im Anschluss geht er zu Mizzi, die allerdings inzwischen im Krankenhaus liegt. Aus der Zeitung erfährt Fridolin von dem Selbstmord einer Baronin D. Weil er dahinter seine geheimnisvolle Unbekannte vermutet, will er sie besuchen, kommt aber zu spät. Nur die Leiche der Baronin kann man ihm in der Pathologie noch zeigen. Er fasst die Leiche an und beugt sich zu ihr hinunter; auf Wunsch des Pathologen hört Fridolin damit auf.

Analyse

Fridolin will seine erdachte Rache in die Tat umsetzen und begibt sich dazu erneut zu den Stationen, die er in der Nacht zuvor besucht hat. Dabei will er sich aus der zuvor passiven in eine nun aktive Position versetzen, indem er einem konkreten Plan folgt. Dieser Plan scheitert jedoch, weil die Stationen ihm auch diesmal keine Erfüllung verschaffen und ihm dadurch die Rache an Albertine verwehrt bleibt. Letzten Endes wird er wieder in eine passive Rolle verwiesen, da sich der Großteil der Geschehnisse ohne Fridolins Zutun auflöst.

Seine geplante Rache beginnt damit, dass er Marianne erneut aufsucht – an ihrem Beispiel zeigt sich das Vorhaben und Scheitern Fridolins besonders deutlich: Marianne als leichtes Ziel betrachtend, formuliert Fridolin seinen Racheplan: »Ja, verraten, betrügen, lügen, Komödie spielen [...] vor Marianne, vor Albertine [...] vor der ganzen Welt; – eine Art von Doppelleben führen, zugleich der tüchtige, verläßliche, zukunftsreiche Arzt, der brave Gatte und Familienvater sein – und zugleich ein Wüstling, ein Verführer, ein Zyniker, der mit den Menschen, mit Männern und Frauen spielte, wie ihm just die Laune ankam – das erschien ihm in diesem Augenblick als etwas ganz Köstliches [...], um so Vergeltung zu üben für das, was sie ihm in einem Traum Bitteres und Schmachvolles angetan hatte.« Dadurch, dass er Marianne anschließend wieder einmal zurückweist, versucht er sie zu beschämen und seine eigene Rolle umzukehren. Im Verlauf seiner Reise scheitert dieser Plan immer mehr, was parallel dazu die eigene Scham weiter bekräftigt.

Die Rekonstruktion der einzelnen Erlebnisse bringt ihm zusätzliche Scham anstelle von Erfüllung; er ist verwirrt, beschämt und findet die einzige Beruhigung und Stabilität in seiner Funktion als Arzt: »Fridolin fühlte sich beinahe glücklich, als er, von den Studenten gefolgt, von Bett zu Bett ging.« Die Rolle des Arztes nimmt er auch bei der Betrachtung der Frauenleiche ein: Er begutachtet diese eingehend und mit einer gewissen Lust, behält dabei die Kontrolle und ist zudem sicher vor ihren Blicken. Er befindet sich in diesem Moment in einem traumähnlichen, idyllischen Zustand, der nur durch das Einschreiten des Pathologen unterbrochen wird.

Veröffentlicht am 6. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 7. Oktober 2022.