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Traumnovelle

1. Kapitel

Zusammenfassung

Das erste Kapitel der Novelle erzählt von einem scheinbar intakten Familienleben des Wiener Arztes Fridolin (etwa 35 Jahre alt) und seiner Frau Albertine (etwa 25 Jahre alt). Fridolin ist als Arzt in der Wiener Poliklinik tätig, Albertine ist Hausfrau und Mutter; sie haben außerdem eine sechsjährige Tochter, deren Namen nicht genannt wird.

Nachdem sie einen Maskenball besucht haben, bei dem beide erotische Begegnungen hatten, einander aber treu geblieben sind, erzählen sie einander von ihren geheimen Begierden. In diesem Zusammenhang erzählt Albertine von einem Mann, den sie im Dänemark-Urlaub gesehen und der sie sexuell angezogen habe, während Fridolin erzählt, dass er parallel dazu ein sehr junges Mädchen beim Strandspaziergang gesehen habe, die ihn fasziniert habe.

Auch wenn beide treu geblieben sind, wird deutlich, dass Albertine erste Zweifel an ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter kommen. Außerdem trauert sie ihrer Jugend nach, die sie nicht so wie gewollt genießen konnte, weil sie als Jungfrau in die Ehe gehen sollte. Weil aber ein Ausbrechen aus diesem klassischen Familienalltag einem Affront gleichkäme, werden diese Bedenken immer wieder verworfen. Das Gespräch wird unterbrochen, als Fridolin zu einem Notfall gerufen wird.

Analyse

Bei der kurzen Geschichte, die zu Beginn der Novelle erzählt wird, handelt es sich um den Ausschnitt eines Märchen aus »Tausendundeiner Nacht«. Sie deutet den Verlauf der Handlung voraus: Die Reise des Prinzen symbolisiert die nächtlichen Erlebnisse Fridolins und der Mantel des Prinzen unterstreicht die Bedeutung des Ver- und Enthüllens für die Novelle. Außerdem werden Albertine und Fridolin hier als liebevolle Eltern eingeführt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang vor allem die Beobachtung, dass die beiden nur zu Beginn als »Vater« und »Mutter«, später immer als »Fridolin« und »Albertine« bezeichnet werden, was den Fokus weg von der Elternschaft hin zur intimen Liebesbeziehung der beiden lenkt und die familiären Aspekte in den Hintergrund rücken lässt.

Als sich Albertine und Fridolin von den jeweiligen Wünschen und Träumen sowie den Erlebnissen im Dänemark-Urlaub erzählen, löst dies in ihnen ein Gefühl der Scham aus, weil sie sich dem jeweils anderen öffnen und ihre emotionale Maske ablegen müssen. Dabei ergreift Albertine als erste die Initiative und berichtet von ihren Eindrücken aus dem Urlaub, die sich im Kern um das Erblicken eines attraktiven Dänen drehen, den sie begehrt, aber nicht verführt. Ihre Intention liegt darin, den anziehenden Mann erblicken und betrachten zu können – daraus zieht sie ihren Genuss und nicht etwa aus den Blicken des Mannes.

Anschließend berichtet auch Fridolin von seinen Erlebnissen im gemeinsamen Urlaub in Dänemark, muss von Albertine allerdings erst dazu aufgefordert werden, was zum Ausdruck bringt, dass Fridolin große Scham verspürt. Dieses Schämen wird darüber hinaus auch durch Gesten und Körpersprache unterstrichen: Während er erzählt, steht er mit seinem »Antlitz im Dunkel« und redet mit »verschleierter, etwas feindseliger Stimme«. Dadurch, dass er sein »Antlitz im Dunkel« versteckt hält, versucht er, vor Albertines Blick und Urteil zu fliehen; es ist ein Schutzmechanismus. Fridolin wirkt dadurch ängstlich und seine Erzählung wie ein dunkles, gefährliches Geheimnis. Für ihn sind der Blick beziehungsweise das Sehen von Erotik und Sexualität geprägt, die ihn geradezu lähmen – so auch, als er im Dänemark-Urlaub das Mädchen sieht und von ihrem Blick gefesselt wird. Dadurch fühlt er sich ohnmächtig – nicht nur in der Begegnung mit dem Mädchen selbst, sondern auch, als er Albertine von diesem Erlebnis berichtet. So findet Fridolin sich nach seinem Bericht an Albertine »unbeweglich« und »stumm« vor, was seine Schamgefühle weiter betont. Diese Schamgefühle beziehen sich dabei nicht nur auf seine Geschichte mit dem jungen Mädchen, sondern auch auf Albertine, die hier durch ihre Geschichte als Überlegene hervorgeht.

Deutlich wird ein Konflikt zwischen Fridolins Idealbild, seinem Selbstbild und der Meinung Albertines über ihn. Dabei steht Fridolins Bestreben, sich den gesellschaftlichen und beruflichen Ansprüchen anzupassen, den Bedürfnissen Albertines und seinen eigenen geheimen Begierden gegenüber. Ihn verwirrt zudem ein neues Bild, das er von seiner Frau erhält: Albertine fügt sich nicht in die konventionellen, von Frauen erwarteten Verhaltens- und Denkmuster, sondern macht sich selbst zum Subjekt und Entscheidungsträger. Dadurch – und durch die Tatsache, dass Albertine im Gegensatz zu ihm selbst in ihren Erlebnissen in Dänemark Erfüllung findet – fühlt sich Fridolin in seinem männlichen Selbstbewusstsein angegriffen.

Veröffentlicht am 6. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 7. Oktober 2022.