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Der Trafikant

Abschnitt 3 (S. 48-79)

Zusammenfassung

Franz schlendert über den Wiener Prater. Unter anderem verbringt er Zeit im Spiegelkabinett, die allgemeine Fröhlichkeit nimmt er jedoch als bedrückend wahr. Er beobachtet das Ponykarussell und holt sich anschließend etwas zu essen. In der Märchengrottenbahn findet er sich als einziger Erwachsener wieder. Die dargestellten Geschichten erinnern ihn an seine Kindheit. Als ihn das Heimweh packt, beginnt er hemmungslos zu weinen. Gerade als er den Entschluss gefasst hat, den Rest des Tages in Alkohol zu ertränken, erblickt er das Gesicht eines Mädchens. Für ihn ist es das schönste Mädchen, das er je gesehen hat. Mit zwei Freundinnen fährt sie in einer Schiffsgondel.

Als sie aussteigen, nimmt Franz seinen Mut zusammen und spricht das Mädchen an. Seine Einladung zu einer Fahrt mit dem Riesenrad lehnt sie ab, möchte jedoch gerne den Schießstand aufsuchen. An ihrer Aussprache erkennt Franz, dass sie eine Böhmin ist. Im Gegensatz zu den Schüssen des Mädchens, gehen Franz' Versuche am Schießstand daneben. Noch dazu versucht er seine Erektion zu verstecken, die ihm der Anblick des Mädchens beschert hat. Franz schämt sich für sein fehlendes Talent, doch das Mädchen legt ihre Hand auf sein Gesäß und macht ihm ein Kompliment für seinen Hintern. In diesem Moment weiß Franz, dass er verloren ist.

Gemeinsam gehen sie etwas essen und trinken. Anschließend tanzen sie zusammen, obwohl Franz eigentlich nicht gerne tanzt. Doch er findet seine Freude am Tanz und die beiden hören erst auf, als ihre Füße schmerzen. Als die Musiker eine Bierpause machen, überlegen Franz und das Mädchen, was sie als nächstes tun könnten. Sie umarmt ihn, gibt ihm einen Kuss auf die Wange und verspricht, gleich wieder da zu sein. Das Mädchen kommt jedoch nicht zurück und Franz' Suche gestaltet sich erfolglos. Alleine fährt er eine letzte Runde im Riesenrad.

Am nächsten Morgen wird Franz von der wütenden Stimme Trsnjeks geweckt. Außerdem erkennt er die Stimme des Fleischermeisters und hört eine johlende Menschenmenge. Mit stechenden Kopfschmerzen verlässt er seinen Lagerraum. Wutentbrannt zeigt Trsnjek ihm das Trottoir und die Ladenfront, die mit Blut beschmiert sind. Franz liest die Worte: »Schleich dich Judenfreund« (61). Außerdem ist das Gebilde eines »Arsch mit Ohren« (ebd.) zu erkennen. Da es sich um Schweineblut handelt, verdächtigt Trsnjek seinen Nachbarn den Fleischermeister. An seinen Händen klebt ebenfalls noch Blut, was der Fleischermeister jedoch mit seiner beruflichen Tätigkeit rechtfertigt. Trsnjek wendet sich an die umstehende Menge, lässt sich über seinen Nachbarn aus und stellt die Frage in den Raum, wer als nächstes dran wäre, wo es jetzt bloß ein Schwein war. Trsnjek kritisiert die ausbleibenden Reaktionen und die damit einhergehende Passivität der Menschen. Er stellt klar, dass er anders sei und seinen Kopf noch eigenständig benutzen könne, ohne andere Glaubensmuster zu übernehmen. Erschöpft hält Trsnjek inne und geht schließlich mit seinen letzten Worten zu dem Fleischerhauer. Auch wenn er ein Bein im Krieg verloren hat, beharrt er darauf, dass eines genüge, um ihm in den Hintern zu treten. Anschließend verlässt er das Geschehen und knallt die Tür der Trafik hinter sich zu.

Franz sucht in den kommenden Wochen immer wieder auf dem Prater nach dem Mädchen. Er findet sie nicht und liegt nachts oft stundenlang wach und denkt an sie. Wirre Träume suchen ihn heim und er versucht, sich mit nächtlichen Spaziergängen abzulenken. In einer Karte an seine Mutter schreibt Franz, dass er sich in Wien immer fremder fühlt. Franz Mutter errät daraufhin, dass er sich verliebt hat. Auch Trsnjek bemerkt, dass Franz nicht gut aussieht. Nach kurzem Widerstand gibt Franz zu, sich verliebt zu haben. Trsnjek rät ihm, im Hallenbad zu schwimmen, um einen freien Kopf zu bekommen, lenkt jedoch ein, sich in dieser Hinsicht nicht mehr auszukennen. Franz solle sich lieber an seine Mutter wenden. Seitdem er sein Bein verloren hat, sei auch seine Jugend fort. Als positiven Aspekt erkennt Trsnjek, dass die Liebe ihn so auch nicht mehr verletzen kann.

In seinem Haus verspeist Sigmund Freud das gekochte Essen seiner Tochter Anna, da seine Frau krank im Bett liegt. Auch Anna ist inzwischen Psychoanalytikerin und Freud sieht sie als würdige Nachfolgerin. Anna teilt ihrem Vater mit, dass »er« seit drei Stunden draußen vor der Tür sitzt. Freud, der durch das Essen mit Schmerzen im Mundraum und seiner Kieferprothese zu kämpfen hat, beschließt, draußen zu rauchen.

Als er den Professor erblickt, springt Franz auf. Gemeinsam setzten sie sich. Franz hat eine Zigarre für Freud mitgebracht und versucht, ihn mit auswendig gelernten Fakten zu beeindrucken. Der Professor kommt jedoch schnell zum Punkt und möchte erfahren, was Franz von ihm möchte. Dieser gesteht, sich verliebt zu haben, woraufhin Freud ihm gratuliert. Franz klärt jedoch auf, dass es eine unglückliche Verliebtheit wäre. Weiterhin gibt er dem Professor die Schuld für seine Verfassung, da dieser ihm geraten hat, sich zu amüsieren und sich ein Mädchen zu suchen. Detailliert und verzweifelt schildert er, wie er mit seinem Zustand zu kämpfen hat. Schließlich fragt er sich, ob er selbst oder die ganze Welt verrückt geworden sei. Freud reagiert ruhig und stellt vereinzelte Fragen zu dem Mädchen. Außerdem möchte er wissen, was Franz nun von ihm erwartet. Franz erhofft sich von seinem Wissen Hilfe. Der Protagonist bemerkt die Zerbrechlichkeit des Professors und wickelt ihm seinen Schal um. Freud reagiert widerwillig, lässt den Schal jedoch an Ort und Stelle. Schließlich zeigt er Franz zwei Möglichkeiten auf: Entweder das Mädchen zurückzuholen oder sie zu vergessen. Franz zeigt sich unzufrieden mit diesem Ratschlag, was der Professor mit einem Seufzen quittiert. Freud weist ihn darauf hin, dass es nicht seine Aufgabe sei, Ratschläge zu erteilen und Franz ihn eigenständig aufgesucht habe. Dieser wird auf Anna aufmerksam, die im Fenster steht und ihren Vater auffordert, wieder in das warme Haus zu kommen.

Abschließend verschreibt der Professor Franz drei mündliche Rezepte. Um die Kopfschmerzen zu bekämpfen, soll er aufhören, über die Liebe nachzudenken. Um die Bauchschmerzen und seine Träume zu behandeln, soll Franz diese direkt nach dem Aufwachen aufschreiben. In Hinblick auf das dritte Rezept kommt Freud auf seine vorherigen zwei Möglichkeiten zurück. Franz muss das Mädchen entweder für sich gewinnen oder vergessen. Freud wünscht ihm viel Glück und meint, dass nach einer Erfüllung der Rezepte weitergesehen wird. Bevor der Professor zurück in sein Haus geht, wünschen sie sich noch gegenseitig frohe Weihnachten.

Analyse

Franz' Ausflug auf den Wiener Prater steht für seine Orientierungslosigkeit in Wien und sein langsames Zurechtfinden in der Fremde. In dem Spiegelkabinett, das als »glänzende(r) Irrgarten« (48) beschrieben wird, findet er den Ausgang nur mit Hilfe. Die allgemeine Fröhlichkeit legt sich ihm »ein bisschen bitter aufs Gemüt« (ebd.), da er niemanden bei sich hat, mit dem er ebenso fröhlich sein könnte. Die Ponys im Ponykarussell, welche mit »schweren Köpfen trotteten« (ebd.) spiegeln auch Franz' Gemütszustand wider. Umgeben von guter Laune fühlt er sich bedrückt und traurig.

Das Gesicht des Mädchens erblickt Franz zur richtigen Zeit. Es lässt ihn seine Traurigkeit vergessen und stellt eine Möglichkeit dar, von seiner Einsamkeit erlöst zu werden und dem Ratschlag Freuds nachzukommen. Franz tritt erstmals mit einer Entschlossenheit auf, die zuvor noch nicht sichtbar war. Der Eigensinn des Mädchens wird bereits an dem Punkt deutlich, als sie die Einladung für eine Fahrt mit dem Riesenrad ablehnt und stattdessen die Schießbude aufsuchen möchte. Hier ereignet sich ein Tausch gesellschaftlicher Rollenbilder. Während das Mädchen trifft, schießt Franz stets daneben. Dieses Ereignis unterstreicht das Bild des Protagonisten als zarte und eher passive Person mit Mädchenhänden.

Bei einem Blick in die Augen des Mädchens verwendet Franz die Metapher eines »Kopfsprung[s] mitten in die Glückseligkeit« (53), welche er sich durch das Mädchen verspricht. Diesem Gedanken stellt er ein Ereignis aus seiner Kindheit gegenüber. In diesem Fall ist er durch einen Kopfsprung in ein Regenfass auf eine tote Ratte gestoßen. Diese Stelle könnte als Vorausdeutung interpretiert werden. Ein Verlieren in den Augen des Mädchens erscheint Franz wie ein Kopfsprung in sein Glück, könnte aber mit Ungewissheiten und negativen Folgen einhergehen. Die Geschichte seiner Erinnerung verdeutlicht, dass man vor einem Kopfsprung nie wissen kann, was einen unter der Oberfläche erwartet.

Auch die anschließenden Ereignisse zeigen, wie Franz sich nach und nach in die Böhmin verliebt. Obwohl er im Regelfall weder gerne tanzt noch tanzen kann, findet er mit ihr Freude an dieser Tätigkeit. Er befindet sich in einem »Augenblick seliger Geistlosigkeit« (57). So scheint er sogar noch mehr als die fröhlichen Menschen, die er zuvor beneidet hat, erreicht zu haben. Den Grund für die positive Entwicklung seiner Stimmung sieht er in dem Mädchen, das er so überhöht, dass er sie sogar als »Königin« (ebd.) bezeichnet. Die Metapher der brennenden Füße zeigt auf, dass die beiden bis zur Erschöpfung tanzen. Der erstarrte Blick des Mädchens, als Franz ihr unterbreitet, was sie noch gemeinsam unternehmen könnten, stellt einen Hinweis darauf dar, dass sie erkennt, dass die Begegnung für Franz sehr viel mehr bedeutet als für sie selbst. Als sie ihn stehen lässt und nicht zurückkommt, gleitet Franz zurück in seine vorherige Traurigkeit und geht mit »hängendem Kopf« (59), wie zuvor die Ponys im Ponykarussell, über den Prater.

Durch den anschließenden Szenenwechsel liegt der Fokus nicht mehr auf der Problematik des Innenlebens des Protagonisten, sondern auf den gegenwärtigen politischen Problemen. Das Motiv des Blutes, mit dem die Trafik beschmiert wird, tritt hier in Verbindung mit einem Konflikt auf und steht gleichzeitig für eine Drohung und den damit einhergehenden Tod. Die Verwendung des Blutes soll in Trsnjek Angst auslösen und verfolgt das Ziel, dass er die Stadt verlässt oder zumindest keine Juden mehr bedient. Metaphorisch spricht Trsnjek von der »schwarzen Gemeinheit« (62) im Herzen des mutmaßlichen Täters. Die Farbe schwarz wird hier als Zeichen des Bösen gewählt. In diesem Zuge verdeutlicht Trsnjek weiterhin seine Toleranz gegenüber den Juden. Durch seine Ansprache an die gesamte Menschenmenge möchte er die Personen zum Nachdenken anregen und bewirken, dass sie die aktuellen politischen Entwicklungen hinterfragen. Im Kleinen passiert in dieser Szene, was vor dem Hintergrund des NS-Regimes im Großen passiert. Deutlich kritisiert Trsnjek die Passivität der Menschen: »Einer hat Blut an den Händen, und die anderen stehen da und sagen nix« (63). Dies lässt sich auf die politischen Verbrechen übertragen, die bereits gegenwärtig und zukünftig von der breiten Menge hingenommen, verdrängt oder auch unterstützt werden.

Darüber hinaus ereignet sich auch im Innenleben des Protagonisten einiges. Die politischen Entwicklungen, sein Liebeskummer sowie sein Heimweh kommen zusammen und schlagen sich in wirren Träumen nieder. Auch in der Karte an seine Mutter wird deutlich, dass er den Bezug zu sich selbst verliert und ein Bedürfnis nach Sicherheit verfolgt. In dieser Orientierungslosigkeit erkennt seine Mutter sein Verliebtsein. Auch Trsnjek kann Franz seinen gegenwärtigen Zustand ansehen. Franz’ seufzende Reaktion auf die Jahreszeit »Winter« (67) verdeutlicht, dass er sich so fühlt, als wäre auch sein Gemütszustand im Winter. Als Franz eingesteht, sich verliebt zu haben, bemerkt Trsnjek, ihm in dieser Hinsicht nicht helfen zu können, da mit seinem Bein auch seine »Jugend im Schützengraben« (69) liegen geblieben ist. Die Metapher verdeutlicht, dass der Krieg seine Jugend zum Ende geführt hat. Mit der Jugend verknüpft er so scheinbar auch die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich zu verlieben, denn dazu kam es im Anschluss nicht mehr.

So begibt sich Franz für einen erneuten Ratschlag zu Sigmund Freud und wartet vor seinem Haus so lange, dass er seine steifen Beine mit Brettern vergleicht. Durch eine Aufzählung all seiner wirren und teilweise widersprüchlichen Empfindungen verdeutlicht Franz, wie sehr er unter seinem Zustand des Verliebtseins leidet. Er stellt die sonstigen Ereignisse seines Lebens dem Treffen mit dem Mädchen gegenüber, wodurch er die Diskrepanz in seiner Innenwelt zu untermauern versucht: »Ich putze Schweineblut von der Auslage und sitze heulend in der Grottenbahn. Ich tanze mit dem schönsten Mädchen der Welt« (ebd.). Wobei er auch hier auf eine Hyperbel zurückgreift und das Mädchen stark erhöht. Freud zieht eine Verbindung zwischen den Entwicklungen in Franz' persönlicher Welt und denen der gesamten Welt: »Ja, die Welt ist verrückt geworden. Und drittens: Gib dich keinen Illusionen hin, sie wird noch viel verrückter« (75). Weiterhin setzt er die Weiblichkeit mit Klippen gleich, an welchen Schiffe zerschellen: »An den Klippen zum Weiblichen zerschellen selbst die Besten von uns« (77), wodurch er zu verdeutlichen versucht, was die Gefühle der Liebe in einem Menschen auslösen können. Da Rezepte allgemein mit Ärzten und nahender Heilung verknüpft werden, verschreibt Freud Franz mündlich drei Rezepte. Dies soll ihn besänftigen und an zukünftige Besserung glauben lassen.

Veröffentlicht am 12. Juni 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Juni 2023.