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Der Trafikant

Abschnitt 6 (S. 115-143)

Zusammenfassung

Es erfolgt ein Perspektivenwechsel und der Leser findet sich im Leben Sigmund Freuds wieder, der sich in einer psychoanalytischen Sitzung mit einer hysterischen Amerikanerin befindet. Sie liegt auf der Couch, an deren Kopfende er sitzt. Während sie sich über ihr Körpergewicht beschwert, gibt sie auf Nachfrage von Freud an, nur beim Essen von Torten Lust zu empfinden. Er erteilt ihr daraufhin den Rat, dieses zu unterlassen.

Im Anschluss steht Freud alleine am Fenster und widmet seine Gedanken der gegenwärtigen politischen Lage. Die Nazis werden auch in Österreich stetig präsenter und ihre Anhänger radikaler. Freuds Tochter unterbricht seine Gedanken und weist ihn darauf hin, dass Franz sich erneut vor dem Haus aufhält. Freud möchte zu ihm gehen, Anna zeigt sich jedoch besorgt, sobald ihr Vater in seinem Zustand und bei der aktuellen politischen Situation das Haus verlässt. Freud zeigt sich stur und geht dennoch zu Franz.

Die beiden Männer unternehmen einen gemeinsamen Spaziergang, bei dem Franz die Gebrechlichkeit des alten Mannes auffällt. Inhalt ihres Gesprächs sind Zigarren und die Entwicklungen mit Anezka. Franz lässt sich vor diesem Hintergrund über seine Unwissenheit aus und hofft auf erneute Unterstützung durch den Professor. Er hat Angst, an seinen Gefühlen zugrunde zu gehen und wünscht sich eine Verbesserung seiner aktuellen Situation. Auf die Frage Freuds, ob er Anezka liebe, reagiert Franz mit unentschlossener Verwirrung. Der Professor erklärt ihm daraufhin den Unterschied zwischen Liebe und Libido. Währenddessen beobachten die beiden das seltsame Verhalten eines Pestvogels. Das Gespräch richtet sich auf die aktuellen Ereignisse in der Welt und Freud enthüllt seine düstere Sicht auf die Zukunft.

Franz zeigt sich neugierig in Hinblick auf Freuds berufliche Tätigkeit und den Ablauf seiner Therapiesitzungen. Der Professor gibt ihm einige vage Antworten, bis sich das Gespräch wieder auf Franz' Problem konzentriert. Freud fügt seine Lage in das Große Ganze ein und erklärt auf dieser Grundlage, Franz nicht helfen zu können. Liebe und Partnerwahl zählen, nach ihm, zu den größten Herausforderungen im Leben eines Menschen. Franz stellt die These auf, dass auch die Therapiesitzungen des Professors das Ziel verfolgen, die Patienten mit Herausforderungen und Orientierungslosigkeit zu konfrontieren, um ihren eigenen Weg zu finden.

Der Professor beendet den gemeinsamen Spaziergang und weist auf den nahenden Sonnenuntergang hin. Vor Freuds Haus verabschieden sie sich mit einem Händedruck voneinander. Franz muss das Gespräch kurz verdauen, entscheidet dann aber, sich in einem Wirtshaus zu stärken.

Analyse

Freuds Rat wirkt an dieser Stelle eher banal und wenig professionell. Den Fokus der Therapiesitzung scheint er darauf zu legen, dass sich die Amerikanerin alles von der Seele redet und er geduldig zuhört. Nur in Hinblick auf die Wichtigkeit von Scham und Lust hält Freud einen strengen Vortrag.

Die Banalität der Sorgen seiner Patientin stehen der Ernsthaftigkeit der Sorgen Freuds gegenüber, welche sich auf die gegenwärtige politische Lage richten. Mit Hilfe des Vergleichs: »Österreich lag vor ihm wie ein dampfendes Schnitzel auf dem Teller« (121) wird verdeutlicht, dass Österreich kurz davor ist, zerteilt zu werden. Anschließend wird es nicht mehr so sein, wie es war.

Es wird deutlich, dass der Professor die Zeit mit Franz schätzt. Die beiden bilden einen großen Gegensatz, doch insbesondere diese Tatsache scheint Freud als angenehm und inspirierend zu empfinden:

    Nein, in diesem jungen Menschen pulsierte das frische, kraftvolle und obendrein noch ziemlich unbedarfte Leben. Außerdem stellte der kolossale Altersunterschied zwischen ihnen automatisch die Distanz her, die er für angenehm erachtete [...] (123).

Während Franz das Leben noch vor sich hat, befürchtet der Professor, dass sein eigenes sich dem Ende zuneigt. Auch Franz bewundert Freud: »Der Professor war dermaßen klug, dass er sich die Bücher, die er lesen wollte, gleich auch selber schreiben konnte« (127). Gleichzeitig nimmt er die Zerbrechlichkeit des alten Mannes wahr und macht sich Sorgen: »Dieses Altwerden ist doch eigentlich ein einziges Elend, dachte Franz wehmütig und gleichzeitig ein bisschen wütend« (ebd.). Die Andersartigkeit der beiden Figuren ermöglicht eine gegenseitige Bereicherung und eine Verbindung, die auch durch eine altersbedingte Distanz Stabilität beweist.

Als Franz von seinen Erlebnissen mit Anezka berichtet, zeigt sich erneut, wie ihn seine Gefühle sowie die Ereignisse aufwühlen: »Und jede Stelle, die sie berührt hat, brennt noch immer!« (132). Freud bezeichnet die Liebe daraufhin metaphorisch als einen Flächenbrand »den niemand löschen will und löschen kann« (ebd.). So stellt er die Liebe als allgemeines Problem für die Menschheit dar, mit dem Franz nicht alleine ist. In dem großen Wunsch, das Feuer dennoch zu löschen, wird Franz' gegenwärtige Verzweiflung deutlich.

Während des Gesprächs wird immer wieder Franz' persönliche Lage auf die Lage in der Welt bezogen: »Jetzt sind sogar die Spatzen verrückt geworden« (137). Freud bemerkt, dass es sich nicht um einen Spatzen, sondern um einen Pestvogel handelt, sein Auftritt dient an dieser Stelle als Vorausdeutung für die nahenden politischen Entwicklungen: »Es heißt, dass er immer nur vor dem Ausbruch von Seuchen, Kriegen und anderen Katastrophen auftaucht« (ebd.). Der Professor ist sich sicher, dass eine Katastrophe eintreffen wird.

Während der Verabschiedung wird erneut die Zerbrechlichkeit Freuds aufgezeigt. Der ausführliche Vergleich seiner Hände mit Fischgräten: »wie die Gräten der vom Wurm befallenen Karpfen, die statt auf den Tellern der Wirtshausgäste bei den Katzen gelandet waren und deren Gerippe einem in den Händen zerbröselte« (142), könnte auf das nahende Schicksal des Professors hindeuten.

Veröffentlicht am 13. Juni 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Juni 2023.