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Der Trafikant

Abschnitt 8 (S. 172-197)

Zusammenfassung

In Franz' nächtlichem Traum wird erstmals sein verstorbener Vater erwähnt. Gemeinsam finden sie sich in einer verwirrenden Situation in einem Amt wieder, wo seinem Vater ein Stempel mit der Aufschrift »Zukunft« (173) auf die Stirn gedrückt wird. Zwischen den Buchstaben läuft Blut das Gesicht des Vaters herab. Franz wacht panisch auf und verschriftlicht den Traum. Da er mit niemandem über den Traum sprechen kann, klebt er ihn an die Schaufensterscheibe der Trafik. Die Passanten reagieren verständnislos auf die Traumnotiz.

Von diesem Tag an klebt Franz jeden Morgen eine Traumnotiz an die Schaufensterscheibe. Die Passanten reagieren stets unterschiedlich auf die Niederschriften. Ein Traum, der von einem Mädchen auf dem Riesenrad des Praters erzählt, welches anschließend alles niederwalzt, erweckt die Aufmerksamkeit von Frau Dr. Dr. Heinzl.

Franz ist bemüht, den Aufenthaltsort von Trsnjek herauszufinden. Die Polizeiwache verweist ihn auf die Geheime Staatspolizei, welche ihren Sitz in dem früheren Hotel Metropol hat. Provokant fragt Franz dort nach Otto Trsnjek, wird jedoch abgewiesen. Er bleibt hartnäckig und geht jeden Tag in das ehemalige Hotel, um nach Trsnjek zu fragen. Schließlich wird er von einem Mann hinausgeworfen und niedergeschlagen.

Die Perspektive wechselt und es wird von den Veränderungen drei Wochen später erzählt. Neben den üblichen, den Frühsommer Wiens auszeichnenden Vorgängen wird ebenfalls ein Ereignis im Keller des ehemaligen Hotels Metropol geschildert, wo fünfzehn jüdische Geschäftsleute sich vollständig entkleiden und auf eine Abholung zu einem Verhör warten müssen. Auch am Wiener Westbahnhof reihen sich sämtliche politische Gefangene ein und warten auf den Abtransport in das Konzentrationslager Dachau.

Zur gleichen Zeit trifft der Briefträger vor dem Haus Sigmund Freuds ein, wo seine Post jedoch zunächst von zwei externen Personen durchgesehen und teilweise zurückbehalten wird. Als der Briefträger seinen Weg fortsetzt sieht er Franz, der eine Traumnotiz an die Trafik klebt.

Die Erzählperspektive richtet sich wieder auf Franz, dessen Gedanken um Anezka kreisen. Der Briefträger überreicht Franz die Post, unter anderem ein behördliches Paket. Der enthaltene Brief teilt den Tod Otto Trsnjeks mit, Schuld an diesem sollen Probleme des Herzens gewesen sein, welche nicht näher konkretisiert werden. Infolgedessen wird Franz zum Geschäftsführer der Trafik ernannt. Das Paket enthält die Wertsachen Trsnjeks. Franz zieht sich zurück und weint.

Kurz vor Ladenschluss geht Franz in die benachbarte Fleischerei, wo er Roßhuber und seiner Frau die Hose von Otto Trsnjek präsentiert. Er erklärt, es wäre die Hose Trsnjeks gewesen, der nun tot ist. Die Angeklagten reagieren nervös und schockiert. Franz zeigt sich äußerst wütend und gibt ihnen die Schuld an Trsnjeks Tod. In einem Brief an seine Mutter erzählt Franz ihr, Trsnjek wäre friedlich aufgrund von Problemen am Herzen gestorben.

Analyse

Franz' Traum hat einen vorausdeutenden Charakter. Das Wort »Zukunft« (173) wird durch die Wahl der Großbuchstaben deutlich hervorgehoben. Die »dünnen Spuren Blut« (ebd.), die zwischen den Buchstaben hinunter laufen, deuten auf die blutigen und unheilvollen Entwicklungen hin, welche zukünftig nahen. Franz fühlt sich überfordert mit seinem Traum und hätte »gerne mit jemandem über seine Träume gesprochen« (174). Dass niemand zur Verfügung steht, repräsentiert die Einsamkeit, mit der er nun unmittelbar konfrontiert ist. Aus dieser Einsamkeit heraus beginnt er, seine Traumnotizen an die Scheibe der Trafik zu kleben.

Auch die weiteren Träume von Franz können als unheilvolle Vorausdeutungen interpretiert werden. Unter anderem wird eine dauerhafte, schmerzhafte Trennung von der Mutter angedeutet (179 f.). In einem anderen Traum rollt in Folge aufblitzender Hakenkreuze das Riesenrad des Praters »über die Stadt und walzt alles nieder« (180). Das Nazi-Regime bedeutet demnach den Untergang Wiens. Das Mädchen auf dem Prater soll für Anezka stehen, die nach wie vor einen großen Platz in Franz' Gedanken einnimmt und einen Kontrast zu der negativen Komponente seines Traumes darstellt. Die Hartnäckigkeit, mit der Franz versucht, den Verbleib Trsnjeks in Erfahrung zu bringen, untermauert seinen Wandel zu einer mutigen und reflektierten Persönlichkeit.

Der Frühsommer Wiens, welcher im Rahmen eines Perspektivwechsels beschrieben wird, stellt die Normalität der Abnormalität gegenüber. Die Veränderungen in der Natur: »Ein angenehm laues Lüftchen trieb die Nachtkühle aus den Straßen und über die Donau weit in die Schwechater Ebenen hinaus« (185), ereignen sich wie jedes Jahr gleich und werden äußerst positiv beschrieben. Dem gegenüber steht die Schreckensszene im Keller der Gestapo Dienststelle, wo nackte Juden zum Verhör abgeholt werden sollen. Auch die Häftlinge am Wiener Westbahnhof spiegeln den Schrecken der Zeit wider. Dieser Szene wird ebenfalls die Banalität bzw. vermeintliche Normalität einer weiteren Szene gegenübergestellt (auch wörtlich): »Am gegenüberliegenden Bahnsteig saßen eine alte Frau und ein kleiner Bub nebeneinander auf einer Bank und bissen abwechselnd von einem großen Butterbrot ab« (186).

Auch die Zustellung der Post hat sich verändert: In erster Linie wird Freuds Post nun von »zwei Zivilen« (187) kontrolliert. Der Postbote scheint von Gewissensbissen geplagt zu werden, versucht jedoch, sich diese auszureden und die allgemeine Sichtweise auf die Juden anzunehmen: »Immerhin war dieser Freud ein Professor und zweitens ein Jud, und bei beidem konnte man ja bekanntlich nie so genau wissen« (189).

Es lässt sich davon ausgehen, dass das »nicht näher zu bestimmende[n] Herzleiden« (192), welches in dem behördlichen Brief als Trsnjeks Todesursache angegeben wird, als Vertuschung seiner Ermordung dient. Trsnjek und sein geleisteter Widerstand wurden als eine Bedrohung für das Gedankengut des Nazi-Regimes gesehen. Franz behandelt die verbliebenen Wertsachen Trsnjeks mit großer Sorgfalt und sieht die Schönheit des Herzens Otto Trsnjeks in ihnen: »Die Sachen auf der Verkaufstheke sahen schön aus« (193). Franz verlässt für kurze Zeit seine neu erlangte Stärke: »Und dort blieb er liegen und weinte, bis er keine Tränen mehr hatte« (193).

Mit neu gewonnener Stärke und großer Wut konfrontiert er schließlich Roßhuber mit seinem Verrat. Aus der Reaktion des Fleischermeisters: »Roßhuber wurde blass« (194) lässt sich schließen, dass seine ursprüngliche Intention nicht der Tod Trsnjeks war und er Schwierigkeiten hat, mit dieser Schuld umzugehen. Franz vergleicht Roßhuber mit Marmor, wodurch er dem Fleischermeister eine kalte und gemeine Persönlichkeit zuschreibt: »Wie Marmor, dachte Franz, wie einer von diesen Marmorheiligen, die in den Kirchen herumstehen und die Leute mit ihren kalten Steinaugen anschauen: groß, blass und starr« (194). Das Verschleiern von Trsnjeks Todesursache vor seiner Mutter könnte erneut für sein Verantwortungsbewusstsein stehen. Er möchte die Mutter schützen.

Veröffentlicht am 13. Juni 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Juni 2023.