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Der Trafikant

Abschnitt 7 (S. 143-172)

Zusammenfassung

Wieder erfolgt ein Perspektivwechsel. Der rote Egon verfolgt im Radio, dass der österreichische Kanzler Schuschnigg, eingeschüchtert von Hitler, seine Truppen beauftragt hat, beim Einmarsch deutscher Truppen keinen Widerstand zu leisten. Im Anschluss an die Rede vernimmt der rote Egon direkt das Gebrüll österreichischer Nazis auf den Straßen. Die Szene schließt mit seinem Selbstmord.

Am nächsten Tag liest Trsnjek Franz von diesem Ereignis aus der Zeitung vor. Der Selbstmord wird als ein Anschlag auf stattfindende Veränderungen und das Reich ausgelegt. Trsnjek zeigt sich im Zuge dieser Darstellung empört.

Auch Franz beschäftigen die Inhalte der aktuellen Zeitungen, welche sich stetig zu widersprechen scheinen. Er hat Schlafprobleme und fällt nur in einen leichten Schlaf mit einem Traum von seiner Heimat. Als er aufwacht, notiert er seinen Traum nach wie vor, so wie Freud es ihm aufgetragen hat. Großer Lärm holt Franz zurück in die Realität. Es wurde ein Anschlag auf die Trafik ausgeübt. Die Auslage ist eingeschlagen und die Tür hängt schief. Die Waren sind überall verteilt. Die Trafik ist beschmiert und auf der Verkaufstheke liegen tierische Innereien sowie ein Hühnerkopf.

Am nächsten Morgen betrachtet Trsnjek schweigend die Auswirkungen des Anschlags. Über dem Eingang prangt der Schriftzug: »Hier kauft der Jud« (152). Gemeinsam reinigen Franz und Trsnjek für viele Stunden die Trafik.

Während Franz und Trsnjek im Anschluss gemeinsam ein Bier trinken, kommen verschiedene Personen an der Trafik vorbei, doch niemand hält an oder beachtet, was geschehen ist. Ein Wagen hält vor der Trafik und drei Männer in grauen Anzügen steigen aus. Mit Gewalt verschaffen sie sich Zutritt und verhaften Trsnjek aufgrund des Besitzes und Verkaufs pornografischer Magazine. Franz versucht Trsnjek zu helfen und gibt vor, es wären seine Magazine. Trsnjek leistet keinen Widerstand, als er abgeführt und mitgenommen wird. Franz, der zurückbleibt, erblickt den Nachbarn Fleischermeister Roßhuber, welcher lächelnd in seiner Ladentür steht. Als ein Kunde eintritt, bedient Franz diesen wie gewohnt.

Franz kümmert sich um neue Schaufensterscheiben für die Trafik, die er nun betreibt. Ebenfalls macht er alles ordentlich und streicht den Verkaufsraum. In dem Brief, den er an seine Mutter schreibt, schildert er eine allgemeine Verwirrung. Franz beschreibt den schönen Wiener Frühling und die Veränderungen, welche er an sich selbst wahrnimmt. Er schreibt von seiner Überforderung mit der Liebe und seiner Heimat. Auch die entstandene Freundschaft zu Sigmund Freud findet Raum. Franz schreibt zwar von der verwirrenden Zeit, erwähnt jedoch nicht Trsnjeks Verhaftung, stattdessen erzählt er, der Trafikant wäre krank.

Franz nimmt deutlich wahr, dass nur noch wenige Kunden die Trafik aufsuchen. Er hat die entstandene Leidenschaft für Zeitungen verloren und liest sie nur noch selten. Die Gedanken an Anezka treiben ihn weiterhin um. Immer wieder schreibt er ihren Namen auf Papier und schließlich auf seinen eigenen Körper.

Auch in Franz' Heimat ereignen sich Veränderungen, die seine Mutter in einem Brief schildert. Unter anderem erwähnt sie die Omnipräsenz von Hakenkreuzfahnen und Bildern Hitlers. Auch der Bürgermeister sei nun ein Nazi. Franz' Freundschaft zu Sigmund Freud betrachtet die Mutter mit leichtem Unbehagen. Sie macht sich Sorgen, weil Freud ein Jude ist. In Hinblick auf Franz' Liebeskummer zeigt sie sich ratlos, sie selbst wisse auch nichts über die Liebe.

Analyse

Der Selbstmord des roten Egon verdeutlicht die sich zuspitzende Lage Österreichs. Menschen, die das Gedankengut des Nazi-Regimes nicht teilen, müssen sich für eine Flucht (aus dem Land oder in den Tod), oder einen aktiven Widerstand, mit der Aussicht auf den Tod, entscheiden. Die Personen, die »mit Hakenkreuzbinden, kurzen Totschlägern und mit vor Mordlust verzerrten Gesichtern aufs Dach gekrochen kamen« (145), geben den letzten Anstoß, den der rote Egon braucht, um sich in die Tiefe zu stürzen.

Der schwindende Wahrheitsgehalt in den Zeitungen beschäftigt Franz: »Die Wahrheit der Morgenausgabe ist praktisch die Lüge der Abendausgabe« (149). Die offensichtliche Widersprüchlichkeit, welche die Printmedien stellvertretend für den Staat ausstrahlen, nehmen Franz die letzte Sicherheit und das Vertrauen in Österreich.

Auch der zweite Anschlag auf die Trafik repräsentiert die sich zuspitzende Lage. Es scheint erneut der Fleischermeister Roßhuber für die Verwüstung und Beschmierung verantwortlich zu sein. Durch die Aufschrift: »Hier kauft der Jud« (152), wird der Grund für den Anschlag deutlich. Trsnjek wird offenkundig dafür verurteilt, dass er Juden weiterhin bedient und nicht ausschließt. Der »abgeschlagene[r] Hühnerkopf« (ebd.) kann als Morddrohung verstanden werden. Sollte Trsnjek weiterhin Juden bedienen, droht ihm das gleiche Schicksal wie dem Huhn.

Die Bürger Wiens, die der Trafik keine Beachtung schenken, spiegeln die Veränderungen in der Gesellschaft wider. Niemand traut sich, Widerstand zu leisten oder jemanden zu unterstützen, der Widerstand leistet. Die Bürger fügen sich dem Nazi-Regime. Auch während seiner Verhaftung steht Trsnjek zu seinen Werten und bleibt stark: »Schleichts euch, ihr Sauhund!« (155). Die Tatsache, dass Franz versucht, Trsnjek in Schutz zu nehmen und sich selbst als Besitzer der pornografischen Magazine darstellt: »Die Heftln gehören mit!« (156), ermöglicht einen deutlichen Hinweis auf seine voranschreitende Persönlichkeitsentwicklung. Statt naiv und unbeholfen zeigt er sich nun mutig und selbstsicher.

Die Aufräumarbeiten, welche Franz im Anschluss übernimmt, spiegeln ebenfalls sein neues Verantwortungsbewusstsein wider. Gleichzeitig könnte er durch die Ordnung der Trafik den Versuch unternehmen, wenigstens über etwas in dem chaotischen Österreich Kontrolle auszuüben. Die Farbe »weiß« (160), mit welcher er die gesamte Trafik streicht, steht symbolisch für die Reinheit, die verloren gegangen ist und die Franz versucht zurückzuholen. Gegenüber seiner Mutter verschleiert er, wie auch durch die Aufräumarbeiten, die Verhaftung Trsnjeks. Einerseits könnte dies ein Versuch sein, sich selbst die Wahrheit nicht eingestehen zu wollen, andererseits könnte Franz auch an dieser Stelle Verantwortung für die Mutter übernehmen. Er möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht.

Die raschen Veränderungen Wiens schlagen sich weiterhin in der Kundschaft nieder. Die wenigen Kunden die kommen ordnen sich eindeutig den Nazis zu: »Viele trugen nun braune Hemden, manche hatten Hakenkreuzbinden oder zumindest kleine Hakenkreuzanstecker am Kragen und die meisten schienen öfter zum Friseur zu gehen als früher« (165). Anezkas große Präsenz in Franz' Gedanken wird dadurch verdeutlicht, dass er ihren Namen auf seinen ganzen Körper schreibt. Er nimmt sie als unmittelbaren Teil seiner selbst wahr.

Aus dem Brief von Franz' Mutter geht hervor, dass sich in ganz Österreich grundlegende Veränderungen vollziehen. Auf die Freundschaft mit Freud und den Kontakt mit Juden reagiert sie ängstlich. Dass sie mit »deine Mutter« (172) ihren Brief unterschreibt, sticht Franz deutlich ins Auge. Diese Formulierung unterstreicht Franz' Erwachsenwerden: »Kinder haben Mamas, Männer haben Mütter« (ebd.).

Veröffentlicht am 13. Juni 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Juni 2023.